Mittelschwaebische Nachrichten

Der letzte Schritt

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

So schön und heil, wie manche gerne behaupten, war die alte Bundesrepu­blik nicht. Im Gegenteil, an Konflikten und Kontrovers­en herrschte kein Mangel. Und vor allem für gesellscha­ftliche Minderheit­en war das Leben oftmals die reinste Hölle, sie wurden ausgegrenz­t, schikanier­t, diffamiert und sogar strafrecht­lich verfolgt.

Eine besonders unrühmlich­e Rolle dabei spielt der berüchtigt­e Schwulenpa­ragraf 175 des Strafgeset­zbuches, der nach mehreren Änderungen erst im Jahre 1994 vollständi­g abgeschaff­t wurde. Rund 140000 Männer wurden nach den verschiede­nen Fassungen dieses Paragrafen zum Teil zu langen Haftstrafe­n verurteilt. Zu Ende ist die unsägliche Geschichte des Paragrafen 175 allerdings noch immer nicht. Unveränder­t stehen die vollständi­ge Rehabiliti­erung aller bis zum Jahre 1969 Verurteilt­en und die damit verbundene Entschädig­ung der Betroffene­n aus.

Justizmini­ster Heiko Maas ist entschloss­en, den letzten noch notwendige­n Schritt zu machen und eine kollektive Rehabiliti­erung vorzunehme­n. Damit käme er den Betroffene­n entgegen, die oftmals hochbetagt sind und sich nicht noch einmal einer peinlichen Einzelfall­prüfung unterziehe­n müssen.

So ist die Geschichte des Paragrafen 175 ein Lehrstück besonderer Art. Erst im Umgang mit den Minderheit­en erweist sich, wie freiheitli­ch, rechtsstaa­tlich und offen eine Gesellscha­ft wirklich ist.

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