Mittelschwaebische Nachrichten
Asselborn will Ungarn rauswerfen
Europäische Union Luxemburgs Außenminister greift die Regierung in Budapest um Premier Viktor Orbán scharf an. „Nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge“
Brüssel Vorwürfe, Beleidigungen, gegenseitige Beschimpfungen – nur zwei Tage vor dem Gipfeltreffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs im slowakischen Bratislava brechen die Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten offen auf. Besonders drastisch holte am Dienstag der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn aus. Ziel seiner Attacke: die ungarische Führung unter Premier Viktor Orbán.
„Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, erklärte der 67-Jährige in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. Der Zaun, den die Regierung bauen lasse, werde „immer länger, höher und gefährlicher.“Ungarn sei „nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“Asselborn weiter: „Und das in einem Land, aus dem 1956 hunderttausende Menschen vor den Sowjets nach Europa geflohen sind.“Es seien „Typen wie Orbán“, die es der EU „eingebrockt haben, dass sie in der Welt dasteht wie eine Union, die sich anmaßt, nach außen Werte zu verteidigen, aber nach innen nicht mehr fähig ist, diese Werte auch aufrechtzuerhalten.“
Die Reaktion in gleicher Schärfe ließ nicht lange auf sich warten. Budapests Außenamtschef Peter Szijjártó keilte zurück und bezeichnete Asselborn als eine „unernste Figur“. „Er hat sich selbst aus der Reihe der ernst zu nehmenden Politiker ausgeschlossen“, sagte Szijjártó. Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka reagierte ebenfalls ohne Verständnis: „Ich halte es für Unfug, die Gräben zu vertiefen und lautstark nach dem Ausschluss von Mitgliedstaaten zu rufen“, sagte er gestern.
Der Streit reißt eine offene Wunde Europas wieder auf, die über die Sommerpause nicht richtig verheilt war: Orbáns Blockade gegen jede Zusammenarbeit mit den EU-Partnern in der Flüchtlingsfrage ist auch Berlin ein Dorn im Auge. Dass der umstrittene Premier sein vier Meter hohes Stacheldraht-Bollwerk auch noch offen als „ein nahezu ideales Mittel gegen die Migrantenflut“verteidigte, hat in vielen Hauptstäd- ten Verärgerung hervorgerufen. Damit nicht genug: Im Januar warb der Premier ungeschminkt für ungarischen Stacheldraht, der in den Gefängnissen des Landes hergestellt werde – man habe so viel auf Lager, dass man bereits mehrere hundert Kilometer an Mazedonien, Bulgarien und Slowenien verkauft habe. Zynischerweise hat der Mann recht: Zäune sind wieder gefragt in Europa. Neben Ungarn haben auch Slowenien, Bulgarien, Tschechien, Griechenland und Österreich zumindest Teile ihrer Grenzen mit Abwehranlagen gesichert.
Einzelfälle sind das nicht: Großbritannien finanziert gerade den Bau eines Walls um das Flüchtlingslager im französischen Calais, um sie an der Flucht über den Ärmelkanal zu hindern. Spanien sichert seine marokkanischen Exklaven Ceuta und Melilla seit Jahren mit hohen Stacheldrahtanlagen. Die Bewacher sind mit scharfen Waffen ausgerüstet. Auch wenn Asselborn, der dienstälteste Außenminister in der
„Er hat sich selbst aus der Reihe der ernst zu nehmenden Politiker ausgeschlossen.“Ungarns Außenminister Peter Szijjártó
Union, über ein Verfahren zum Ausschluss Ungarns offen nachdenkt, weiß er natürlich, dass ein solcher Schritt gar nicht möglich ist. Denn dazu müssten alle anderen EU-Mitglieder die Hand heben. Diese Einstimmigkeit jedoch ist nicht herstellbar – weder jetzt noch in absehbarer Zeit.
Doch den Sozialdemokraten aus dem Großherzogtum treibt eine Sorge um, die nicht wenige in Europa durchaus teilen: „Die EU kann scheitern. Indem sie innerlich auseinanderbricht, ohne Sinn, ohne Kompass, ohne Zusammenhalt. Wir sind auf dem Weg dahin.“Asselborns Weckruf ist allerdings nicht neu. Und er hat bisher zu nichts geführt. Das wird auch beim Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs (ohne Großbritannien) am Freitag in Bratislava so bleiben. Denn nicht nur Ungarns Ministerpräsident Orbán hat angekündigt, seine strikte Ablehnung einer europäischen Lösung in der Flüchtlingsfrage zu verteidigen.