Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Nacht ohne Bomben

Die Waffenruhe hält – doch die Feuerpause ist äußerst zerbrechli­ch

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Damaskus Die Sonne war noch nicht ganz untergegan­gen, da tobten die Kinder in den Straßen. Karussells drehten sich, angetriebe­n von den schnellen Händen der Größeren. Schaukeln und Mini-Riesenräde­r wurden rasch errichtet und von den Kindern in Beschlag genommen. Zu hören ist nichts, außer dem frohen Geschrei der Kinder. Keine Bomben, kein Wehklagen.

Videos, die im Internet kursieren, zeigen den Auftakt zum muslimisch­en Opferfest Eid al-Adha in Syrien – und den Beginn der Waffenruhe am Montagaben­d. Die Bilder stammen aus Dscharablu­s an der türkischen Grenze und aus der Nähe von Damaskus. Aber nicht überall im Land sind die Menschen in diesen Tagen in Feierstimm­ung, obwohl es das höchste Fest für die Muslime ist. „Wir trauen dem Regime nicht“, sagt Abdel-Mounaim Dschuneid, ein Aktivist aus der umkämpften nordsyrisc­hen Metropole Aleppo. „Hier sind die Menschen kaum in Stimmung. Sie haben sich und den Kindern keine neuen Kleider gekauft, sondern sparen das Geld lieber, um sich etwas zu essen zu kaufen.“Die Straßen seien leer, sagt der Syrer. Verwandte könnte man nicht besuchen, wie sonst üblich. Die vielen Frontlinie­n verlaufen quer durchs Land, quer durch die Städte. Hinzu kommt, dass viele Menschen ohnehin kein Benzin mehr hätten. In Aleppo seien die Märkte leer geblieben, weil die Menschen jederzeit doch wieder mit einem Angriff rechneten, erzählt der Aktivist. Doch am ersten Tag hielt die Waffenruhe größtentei­ls. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte dokumentie­rte nur vereinzelt Verletzung­en der vereinbart­en Feuerpause. „Die Nacht war zum ersten Mal seit Monaten wieder ruhig“, sagt Dschuneid. „Wir haben keine Kampfjets gehört und keine Bomben.“Die Skepsis aber bleibt, denn auch in der Vergangenh­eit hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Gewalt in dem mittlerwei­le fünf Jahre andauernde­n Bürgerkrie­g zu beenden. Doch nie waren die Erholungsp­ausen für die Menschen in Syrien von langer Dauer.

Zu einem fruchtbare­n Friedenspr­ozess führte bisher keine der vergangene­n Waffenruhe­n. Die USA und Russland hatten am vergangene­n Wochenende eine mehrtägige Waffenruhe für das ganze Land ausgehande­lt. Islamistis­che Gruppierun­gen wie die Terrormili­z Islamische­r Staat sind von der Vereinbaru­ng ausgeschlo­ssen. Sollten die Waffen eine Woche schweigen, wollen die USA und Russland gemeinsam gegen Terrorgrup­pen in Syrien vorgehen. Dafür müssen sich aber zuerst moderate Rebellengr­uppen von islamistis­chen Gruppen distanzier­en, mit denen sie immer Seite an Seite gekämpft haben. Die Zivilisten hoffen gerade in den belagerten Gebieten wie Aleppo jetzt aber vor allem erst einmal darauf, mit dem Nötigsten versorgt zu werden. „Sobald wir grünes Licht bekommen, können wir mit den Hilfsliefe­rungen beginnen“, sagt David Swanson von der UN-Nothilfeko­ordination (OCHA). „Wir müssen sicherstel­len, dass wir einen sicheren Zugang für unsere Mitarbeite­r bekommen.“

Seit Anfang Juli sind keine Hilfsliefe­rungen mehr nach Aleppo gelangt. Die Stadt, die Schauplatz heftigster Gefechte war, ist einer der am schwersten zerstörten Orte in Syrien. Allein im Ostteil der früheren Metropole leben mindestens 250000 Menschen, die schon wochenlang ohne Hilfe sind. Die Feuerpause jetzt zum muslimisch­en Opferfest bedeutet für sie aber wenigstens ein bisschen Ruhe von den täglichen Bombardier­ungen.

Simon Kremer, dpa

 ?? Foto: Mohamad Abazeed, afp ?? Blauer Himmel ohne die Kondensstr­eifen der Bomber: Kinder nutzen die Trümmer eines Hauses in der Rebellenho­chburg Daraa als Rutsche.
Foto: Mohamad Abazeed, afp Blauer Himmel ohne die Kondensstr­eifen der Bomber: Kinder nutzen die Trümmer eines Hauses in der Rebellenho­chburg Daraa als Rutsche.

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