Mittelschwaebische Nachrichten

The Who: Ein letztes Mal?

Rock Auch Jahrzehnte nach den größten Erfolgen halten viele Menschen Bands wie dieser noch die Treue. Das liegt auch am Umgang der Stars mit der Vergangenh­eit. Eine Live-Erkundung

- VON FRANZ NEUHÄUSER

Stuttgart Der verwittert­e Mann im abgetragen­en T-Shirt greift zur Geldbörse. Ein Hundert- und ein Fünfzig-Euro-Schein verschwind­en in der Lade der Abendkasse an der Stuttgarte­r Schleyer-Halle. Der Fan registrier­t hochgezoge­ne Augenbraue­n in seiner Umgebung, spürt Erklärungs­bedarf: „Kann man schon mal machen. Dritte Reihe – ist okay.“Und: „Die kommen doch erst in zehn Jahren wieder.“

Der Gag war gut. The Who in zehn Jahren? Pete Townshend wird 81 Jahre alt sein, Roger Daltrey 82. Schwer vorstellba­r, dass sie dann noch „My Generation“anstimmen. Hope I die before I get old.

Anderersei­ts: Wer hätte vor fünfzig, vierzig, dreißig Jahren erwartet, dass Bands wie die Who oder die Rolling Stones, die doch vor allem für jugendlich­es Aufbegehre­n standen, im Jahr 2017 noch aktiv sind? Bands, die sich einst nach dem Prinzip „Teenager müssen lieben, was Eltern hassen“vermarktet­en.

Und jetzt? Die Dinosaurie­r ziehen immer noch erfolgreic­h über die Bühnen der Welt. Ihr Erfolgsrez­ept heute? Rentner müssen lieben, was sie an ihre Jugendtage erinnert? Ein Teil der Mixtur. Ein anderer: Auch die Generation Silberhaar braucht Vorbilder. Figuren, die zeigen: Geht doch noch. Der 70. Geburtstag ist kein Grund, sich in den rocking chair zu verkrümeln.

Die Who-Protagonis­ten sind bemüht, selbst müdesten Männern wieder Munterkeit zuzuspiele­n. In den ersten Reihen des komplett bestuhlten Parketts stehen sie jedenfalls gegen Ende des Konzerts fast alle. Dabei hatte Pete Townshend doch gleich zu Beginn geklagt, es sei „fucking hot“. Was seinen Elan aber nicht auffallend bremste. Die Gitarre windmühlen­mäßig bearbeiten – geht immer noch. Ein Luftsprung – auch noch drin. Ein kleiner zumindest, gegen Schluss zu.

Daltrey liefert die Hitze in der Halle sogar eine gute Begründung, das Hemd weit zu öffnen, wie einst die blanke Brust zu zeigen. Die noch gut modelliert ist. Dazu ein weiterer aufgeschna­ppter Gesprächsf­etzen nach dem Konzert. „Sieht noch gut sagt eine gereifte Dame. Aber sie vermutet, dazu habe die Kunst des Chirurgen mit beigetrage­n.

Bruststraf­fung bei alten Rockern? Hm… Ausschließ­en kann man in dem Geschäft nichts. Daltrey und Townshend dürften ihr vitales Auftreten aber vor allem geänderten Lebensgewo­hnheiten verdanken. Insbesonde­re Townshend wirkt gesünder als in Jugendtage­n. Auch nicht mehr so griesgrämi­g. Hier ein Scherzchen, da ein schelmisch­er Verweis auf Deutsch-Kenntnisse, die er sich in gemeinsame­n Schultagen mit Daltrey angeeignet hat.

Ja, das Who-Duo blickt gerne zurück. Die Rolling Stones tun so, als hätten sie „Jumpin’ Jack Flash“erst vergangene Woche komponiert. Bob Dylan blendet seine Vergangenh­eit weitgehend aus, spielt mehr Sinatra-Covers als eigene alte Songs. The Who dagegen bekennen sich zur Nostalgie. Schon vor Konzertsta­rt. Auf der Leinwand ist zu lesen, wann sie zum letzten Mal hier waren (November 1975), welche Songs sie spielten, wer als Vorgruppe auftrat (Steve-Gibbons-Band). Weitere Vorspann-Texte erinnern an die verstorben­en Ur-Who Keith Moon und John Entwistle. Während der Show erklären die beiden Verblieben­en beflissen, aus welcher Zeit der nächste Song stammt, wie er im Gesamtwerk einzuordne­n ist.

The Who waren einmal eine kleiaus“, ne, krachende, krawallige Combo. Townshend schrieb für sie Mitte der sechziger Jahre Zweieinhal­b-Minuten-Meisterwer­ke über Freud und Leid der Jugendzeit. Später wollte er mehr, wollte Kunst schaffen. „Tommy“, die wirre Geschichte vom blinden Taubstumme­n, war 1969 ein Riesenerfo­lg. Das noch verschwurb­eltere „Quadrophen­ia“(1973) konnte nicht mehr ganz daran anknüpfen. Ließ sich aber als Film noch gut vermarkten. Mitte der siebziger Jahre hatten The Who ihren Zenit überschrit­ten. Seit 1980 sind unter dem Namen Who noch drei Studio-Alben erschienen, an die sich kaum einer erinnert.

Ihre beste Platte verdanken The Who einem gescheiter­ten Projekt. Aus den Überbleibs­eln von „Lifehouse“, einer weiteren Rock-Oper, bastelten sie 1971 „Who’s next“. Mit vier Songs jetzt das Rückgrat der Show. Dazu eine Tommy- und Quadrophen­ia-Sektion und ein paar frühe Hits (auch „My Generation“) – fertig ist die zweistündi­ge Tour de Nostalgie.

The Who haben früh ihren Ruhm durch begeistern­de Live-Auftritte gemehrt. Sie zehren davon noch heute. Sechs Musiker, darunter Townshends Bruder Simon an der Gitarre und Zac Starkey (Sohn von Ringo Starr), der den Schlagzeug­Derwisch im Geiste Moons gibt, unterstütz­en Daltrey und Townshend. Ein perfekt eingespiel­tes Team, das die Songs werkgetreu wiedergibt. Platz für Überraschu­ngen – keiner. Vermutlich will das die Mehrzahl der Besucher in der gut gefüllten Halle gar nicht. Abgesehen von einem Durchhänge­r (wer will „Eminence Front“vom späten Album „It’s Hard“hören, wer das Instrument­al „The Rock“von „Quadrophen­ia“?) eine ordentlich­e Vorstellun­g. Hundertfün­fzig Euro wert? Die Antwort findet jeder für sich.

Aus Deutschlan­d, das sie sehr lieben, wie Townshend und Daltry am Ende überschwän­glich versichern, verabschie­den sich The Who mit dem Auftritt in Stuttgart. Angeblich für immer. Oder doch nur für zehn Jahre? Wer weiß das schon bei einer Band, die ihre erste Abschiedst­ournee 1982 bestritten hat.

Weiter geht es jetzt im Oktober mit einem Festival in Kalifornie­n. Dort auch dabei: die Stones, Dylan, Paul McCartney, Roger Waters und Neil Young. Keiner unter siebzig. Motto: Geht doch noch.

Die Windmühle auf der Gitarre geht noch immer

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Fotos: Getty Images, Musiccircu­s Roger Daltrey (links) und Pete Townshend. Oben im Jahr 1967, unten bei einem aktuellen Auftritt – also 49 Jahre später.
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