Mittelschwaebische Nachrichten
Thomas Manns Villa droht der Abriss
Besitzerwechsel Das US-Anwesen des Schriftstellers steht zum Verkauf. Eine deutsche Initiative will das verhindern
Los Angeles Pacific Palisades, am Westrand von Los Angeles, ist eine begehrte Adresse. Stars wie Steven Spielberg, Arnold Schwarzenegger und Nicole Kidman kauften sich in dem Luxusviertel ein. Auf dem San Remo Drive mit der Hausnummer 1550 steht seit Wochen ein Anwesen für knapp 15 Millionen Dollar zum Verkauf. „Erstmals seit über 60 Jahren auf dem Markt“, preisen die Immobilienmakler das Objekt an, „auf einer der begehrtesten Straßen der Pacific Palisades Riviera“in der „ultra-exklusiven“Nachbarschaft.
Für den Millionenpreis wird ein zweistöckiges Haus mit fünf Schlafzimmern und sechs Badezimmern geboten, informiert die Maklerwebseite. Die Fotos zeigen eine von hohen Bäumen umgebene Villa mit einem Pool. „Kreieren Sie Ihr Traum-Anwesen oder renovieren und vergrößern Sie das bestehende Haus“, so die Empfehlung. Mit keinem Wort wird der berühmte Vorbesitzer des historischen Domizils erwähnt. Es ist die ehemalige Villa von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955).
Die Familie Mann hatte nach der Emigration aus Nazi-Deutschland von 1942 an zehn Jahre in dem Haus am San Remo Drive gelebt. Der Schriftsteller ließ die Villa von dem deutschstämmigen Architekten Julius Ralph Davidson bauen. Hier schrieb er Werke wie „Joseph, der Ernährer“, „Doktor Faustus“und „Der Erwählte“. Die auf Luxusanwesen spezialisierte Maklerin Joyce Rey will sich zum Verkauf der Thomas-Mann-Villa nicht äußern. Nur so viel teilte ihr Mitarbeiter Stephen Apelian mit: „Die Immobilie ist weiter auf dem Markt und wir zeigen sie ständig“. Allerdings nur „geeigneten“Käufern, sagt Apelian, also Interessenten mit entsprechenden finanziellen Mitteln.
„Wird das Haus von Thomas Mann abgerissen?“, betitelte die angesehene US-Zeitschrift The New Yorker unlängst einen Beitrag. Das Haus steht nicht unter Denkmalschutz. Der künftige Besitzer könnte mit der Abrissbirne anrücken und das Grundstück neu bebauen. Das wollen die mehr als 2500 Unterstützer einer Online-Petition der Gesellschaft für Exilforschung, darunter viele Autoren, Verleger und Künstler, an der Spitze LiteraturNobelpreisträgerin Herta Müller, verhindern. Sie fordern die Bundesrepublik auf, das Haus zu erwerben und zu einem Erinnerungs- und Begegnungsort auszubauen. Der Ausgang ist ungewiss. Aus der Bundesregierung hieß es kürzlich nur, eine mögliche Übernahme werde „ergebnisoffen“geprüft. Auch wurde darauf verwiesen, dass die Bundesrepublik in Los Angeles mit der Villa Aurora bereits über eine kulturelle Begegnungsstätte verfügt.
Dort, im Haus des deutschen Schriftstellers Lion Feuchtwanger und seiner Frau Marta, war Thomas Mann mit anderen Emigranten häufig zu Gast. Es war ein Treffpunkt prominenter Nazi-Flüchtlinge, unter ihnen Bertolt Brecht, Arnold Schönberg, Kurt Weill, Theodor Adorno und Albert Einstein. Seit 1995 ist das Haus eine Stätte der Begegnung und des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs. Jährlich werden über ein Dutzend dreimonatige Stipendien für Künstler, Komponisten und Filmschaffende vergeben. Der gemeinnützige Verein wird zum größten Teil durch Mittel des Auswärtigen Amtes finanziert. Auch die Villa Aurora war zeitweise vom Verkauf bedroht. Als Marta Feuchtwanger 1987 starb, machten sich in Deutschland zahlreiche Persönlichkeiten für den Erhalt des Exil-Kulturdenkmals stark. Für 1,9 Millionen Dollar wurde sie schließlich gekauft, deutlich weniger als die knapp 15 Millionen Dollar, die jetzt der Käufer der Thomas-Mann-Villa aufbringen muss.
1952 zog Mann mit seiner Familie nach Europa zurück, in die Schweiz. Der kalifornische Anwalt Chet Lappen und seine Frau Jon erstanden das Haus in Pacific Palisades. Im Jahr 2005 erzählte das Ehepaar in einem Interview, dass häufig Fremde an der Tür klingeln würden. „Bei uns kommen Besucher aus aller Welt vorbei, die Thomas Manns Exil-Adresse aus seinen Tagebüchern kennen“, sagte die Hausbesitzerin damals. Zudem äußerte sie den Wunsch, dass Manns früheres Wohnhaus wie auch die Villa Aurora als Kulturzentrum für die Nachwelt erhalten bliebe. Ihre Sorge: der nächste Besitzer könnte die Villa abreißen und auf dem großen Grundstück vier neue Häuser bauen. Chet Lappen starb 2010, zwei Jahre später kam das Haus als Mietobjekt auf den Markt. Jetzt könnte Jon Lappens Befürchtung wahr werden. Das Überleben des historischen Hauses ist nicht garantiert.
Barbara Munker, dpa