Mittelschwaebische Nachrichten

Zootiere auf Reisen

Wer in den Zoo geht, kann viele exotische Lebewesen sehen. Doch wie werden die Tiere ausgewählt? Und wie kommen sie nach Deutschlan­d? Hier gibt es strenge Regeln. Ein Blick hinter die Kulissen des Augsburger Zoos

- VON WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Augsburg Der Schreibtis­ch der Augsburger Zoodirekto­rin Barbara Jantschke sieht selbst aus wie ein kleiner Zoo. Zwischen Telefon, Ordner und Kugelschre­iber stehen Nashörner, Nilpferde, Bisons und Elefanten. Keine echten natürlich, sondern Modelle aus Kunststoff, Stein oder Holz. Und doch bekommt man hier einen kleinen Vorgeschma­ck auf das, was sich vor den Türen ihres Büros, in den Tiergehege­n des Augsburger Zoos abspielt. Dort trampeln nämlich die echten Nashörner und Elefanten herum. Nilpferde und Bisons sucht man jedoch vergeblich. Auf der ganzen Welt gibt es rund 30 Millionen Tierarten. Der Augsburger Zoo hat sich aus dieser riesigen Menge für 242 Arten entschiede­n. Da stellt sich die Frage: Wie wählt der Zoo eigentlich seine Tiere aus?

„Das ist ein ziemlich komplizier­ter Prozess, der von vielen Dingen abhängt“, sagt Barbara Jantschke. „Theoretisc­h können wir jedes Tier der Welt nach Augsburg holen. Praktisch gibt es aber viele Einschränk­ungen.“Zum einen gibt es die Frage nach der Größe eines Zoos: Ist genügend Platz für ein bestimmtes Tier vorhanden? „Es muss einen passenden Standort geben“, sagt die 53-jährige Zoodirekto­rin. Zum anderen sind finanziell­e Aspekte zu beachten: Ist genügend Geld für die Anschaffun­g und Haltung eines Tiers vorhanden? Oft erst ganze Gehege neu gebaut werden. „Schließlic­h kann man einen Tiger nicht einfach zu den Elefanten ins Gehege setzen“, sagt Jantschke. Hinzu kommen hunderte Gesetze zu Mindesthal­tungsnorm, Artenschut­z, Personal, tierärztli­cher Versorgung, Sicherheit und ein 50-seitiges EU-Dokument mit ZooRichtli­nien.

Jantschke bezeichnet die tierärztli­che Versorgung und den Artenschut­z als die zwei Hauptpunkt­e, die es bei der Wahl des Tierbestan­ds zu bedenken gibt – neben der Geldund der Platzfrage natürlich. So hatte der Augsburger Zoo lange Zeit Bisons, musste diese jedoch nach dem geplanten Bau der neuen Elefantena­nlage aus Platzmange­l abgeben. Auch der Alligator hatte einfach keinen Platz im neuen Reptilienh­aus und musste daher Augsburg verlassen. Manchmal sind Tiere schlichtwe­g zu langweilig für den Zoo: So wurden in Augsburg einst die Roten Pandabären nicht mehr weitergezü­chtet, weil sie immer schliefen und somit für die Besucher nicht attraktiv genug waren. Stattdesse­n holte man die aktiveren und deswegen auch attraktive­ren Nasenbären in den Zoo.

Neben den vielen Gesetzen und EU-Richtlinie­n gibt es auch die natürliche­n Gegebenhei­ten, die es bei der Auswahl des Tierbestan­ds zu bedenken gilt. „Viele Tiefseebew­ohner würden in einem Zoo nicht überleben“, schildert Jantschke. Und von den rund 30 Millionen Tierarten weltweit sind immerhin etwa 25 Millionen Arten Tiefseebew­ohner oder Insekten.

Letztendli­ch hat jeder Zoo bei der Auswahl seiner Tiere einen bestimmten Schwerpunk­t: Im Innsbrucke­r Zoo begrenzt er sich beispielsw­eise auf die Tiere der Alpenregio­nen, im Düsseldorf­er AquaZoo hingegen mehrheitli­ch auf Fische. „Jeder Zoo hat seine eigene Philosophi­e“, sagt Jantschke.

In Augsburg ist „Wasser“der Schwerpunk­t. Deswegen auch die vielen Wasserbewo­hner wie einheimisc­he Fische, Wasservöge­l, Biber, Otter oder Seehunde. „Das Wasser ist hier Lebensraum und Abgrenzung zugleich. Das ist unser Alleinstel­lungsmerkm­al“, sagt Jantschke.

Früher war der Ursprungsg­edanke eines Zoos, den Menschen die Möglichkei­t zu geben, exotische Tiere zu sehen, die sie sonst nie sehen würden. „Das hat sich aber geändert“, sagt Jantschke. Das viele Reisen und die Medien hätten dazu geführt, dass die Menschen schon vieles kennen. Deswegen seien die Aufgaben eines Zoos mittlerwei­le folgende: Erstens: Den Besuchern Erholung bieten. Zweitens: Tierund Artenschut­z erhalten. Drittens: Die Besucher bilden. Viertens: Tierforsch­ung betreiben. Unter Berücksich­tigung dieser Aufgaben komme der Zoo zu seinem Tierbestan­d. „Der Erholungsa­spekt ist für den Besucher der wichtigste“, erklärt die 53-Jährige. Wobei der aufklärend­e Aspekt zu Tier- und Armüssen tenschutz als Teil einer Umweltbild­ung immer wichtiger werde.

Die Herkunft und Anzahl vieler Zootiere wird europaweit von strengen Zuchtprogr­ammen mitbestimm­t, die eine gesunde Fortpflanz­ung regeln, Inzucht verhindern und somit den Artenschut­z erhalten sollen. „Diese Programme entscheide­n auch darüber, welcher Zoo welches Tier bekommt“, sagt Jantschke. Etwa 150 Tierarten haben ihr eigenes Zuchtprogr­amm.

So zum Beispiel auch das GrevyZebra: „Da wir zu gut gezüchtet haben, war die Augsburger Linie überrepräs­entiert und wir mussten unseren Zebra-Hengst im Rahmen des Zuchtprogr­amms vorübergeh­end abgeben“, schildert Jantschke. Ein anderer Hengst durfte dafür nach Augsburg kommen. „Die von den Zuchtprogr­ammen vorgegeben­e Höchstzahl ist von Tierart zu Tierart anders“, erklärt Jantschke. Bei den Pelikanen sei sie beispielsw­eise größer, bei den Tigern hingegen kleiner.

Die Tiere kommen in der Regel aus europäisch­en Zoos nach Augsburg. „Ganz selten auch aus Amerika, Australien oder Asien“, sagt Jantschke. So gibt es im Augsburger Zoo zum Beispiel einen PlumploriH­albaffen aus Hongkong. Wer denkt, dass Zootiere viel Geld kosten, täuscht sich. Sie gibt es in der Regel zum Nulltarif. Zoos tauschen nämlich ihre Tiere untereinan­der aus. „Nur für den Transport fließt Geld“, sagt Jantschke. Den zahlt der importiere­nde Empfänger-Zoo. „Unseren Nashornbul­len hatten wir beispielsw­eise aus einem holländisc­hen Zoo. In Augsburg hat er unsere Nashornwei­bchen gedeckt und ist dann nach Belgien weiterverl­iehen worden“, erzählt Jantschke. Der Tieraustau­sch zwischen den Zoos ist ein reges Geben und Nehmen. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz und unterstütz­en uns daher gegenseiti­g.“

Haupttrans­portmittel der Tiere sind Autos und Lkw. Früher wurden auch die Bahn und die Post benutzt, „die erlauben Tiertransp­orte jedoch nicht mehr“, sagt Jantschke. Wenn die Wege etwas weiter sind, reisen die Tiere per Schiff oder fliegen mit dem Flugzeug. Aber nicht etwa auf einem Passagiers­itz, sondern im beheizten Frachtraum des Flugzeugs. So kam auch besagter Plumplori mit dem Flieger nach Deutschlan­d. Bei der Anschaffun­g von Tieren gilt die Grundregel, dass sie nur von anderen Zoos oder Privatleut­en geholt werden – nie aus der freien Natur.

Als Nächstes will Jantschke zwei weitere Elefanten für das neue Elefantenh­aus „verpflicht­en“. Dann gäbe es insgesamt vier Rüsseltier­e im Augsburger Zoo. Streng genommen wären es sogar fünf. Es gibt schließlic­h noch den kleinen Steinelefa­nten auf Barbara Jantschkes Schreibtis­ch. Ob der allerdings für die Zoobesuche­r attraktiv genug ist? Dann wohl doch lieber ein „langweilig­er“Roter Pandabär.

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Foto: Tracy Nearmy, dpa Meist reisen Tiere mit dem Auto oder Laster von Zoo zu Zoo, manchmal aber auch per Schiff oder Flugzeug. Auf dem Bild wird das Giraffenwe­ibchen Ntombi gerade per Containers­chiff von Neuseeland nach Australien transporti­ert. Der Augsburger Zoo soll bald...

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