Mittelschwaebische Nachrichten
Zootiere auf Reisen
Wer in den Zoo geht, kann viele exotische Lebewesen sehen. Doch wie werden die Tiere ausgewählt? Und wie kommen sie nach Deutschland? Hier gibt es strenge Regeln. Ein Blick hinter die Kulissen des Augsburger Zoos
Augsburg Der Schreibtisch der Augsburger Zoodirektorin Barbara Jantschke sieht selbst aus wie ein kleiner Zoo. Zwischen Telefon, Ordner und Kugelschreiber stehen Nashörner, Nilpferde, Bisons und Elefanten. Keine echten natürlich, sondern Modelle aus Kunststoff, Stein oder Holz. Und doch bekommt man hier einen kleinen Vorgeschmack auf das, was sich vor den Türen ihres Büros, in den Tiergehegen des Augsburger Zoos abspielt. Dort trampeln nämlich die echten Nashörner und Elefanten herum. Nilpferde und Bisons sucht man jedoch vergeblich. Auf der ganzen Welt gibt es rund 30 Millionen Tierarten. Der Augsburger Zoo hat sich aus dieser riesigen Menge für 242 Arten entschieden. Da stellt sich die Frage: Wie wählt der Zoo eigentlich seine Tiere aus?
„Das ist ein ziemlich komplizierter Prozess, der von vielen Dingen abhängt“, sagt Barbara Jantschke. „Theoretisch können wir jedes Tier der Welt nach Augsburg holen. Praktisch gibt es aber viele Einschränkungen.“Zum einen gibt es die Frage nach der Größe eines Zoos: Ist genügend Platz für ein bestimmtes Tier vorhanden? „Es muss einen passenden Standort geben“, sagt die 53-jährige Zoodirektorin. Zum anderen sind finanzielle Aspekte zu beachten: Ist genügend Geld für die Anschaffung und Haltung eines Tiers vorhanden? Oft erst ganze Gehege neu gebaut werden. „Schließlich kann man einen Tiger nicht einfach zu den Elefanten ins Gehege setzen“, sagt Jantschke. Hinzu kommen hunderte Gesetze zu Mindesthaltungsnorm, Artenschutz, Personal, tierärztlicher Versorgung, Sicherheit und ein 50-seitiges EU-Dokument mit ZooRichtlinien.
Jantschke bezeichnet die tierärztliche Versorgung und den Artenschutz als die zwei Hauptpunkte, die es bei der Wahl des Tierbestands zu bedenken gibt – neben der Geldund der Platzfrage natürlich. So hatte der Augsburger Zoo lange Zeit Bisons, musste diese jedoch nach dem geplanten Bau der neuen Elefantenanlage aus Platzmangel abgeben. Auch der Alligator hatte einfach keinen Platz im neuen Reptilienhaus und musste daher Augsburg verlassen. Manchmal sind Tiere schlichtweg zu langweilig für den Zoo: So wurden in Augsburg einst die Roten Pandabären nicht mehr weitergezüchtet, weil sie immer schliefen und somit für die Besucher nicht attraktiv genug waren. Stattdessen holte man die aktiveren und deswegen auch attraktiveren Nasenbären in den Zoo.
Neben den vielen Gesetzen und EU-Richtlinien gibt es auch die natürlichen Gegebenheiten, die es bei der Auswahl des Tierbestands zu bedenken gilt. „Viele Tiefseebewohner würden in einem Zoo nicht überleben“, schildert Jantschke. Und von den rund 30 Millionen Tierarten weltweit sind immerhin etwa 25 Millionen Arten Tiefseebewohner oder Insekten.
Letztendlich hat jeder Zoo bei der Auswahl seiner Tiere einen bestimmten Schwerpunkt: Im Innsbrucker Zoo begrenzt er sich beispielsweise auf die Tiere der Alpenregionen, im Düsseldorfer AquaZoo hingegen mehrheitlich auf Fische. „Jeder Zoo hat seine eigene Philosophie“, sagt Jantschke.
In Augsburg ist „Wasser“der Schwerpunkt. Deswegen auch die vielen Wasserbewohner wie einheimische Fische, Wasservögel, Biber, Otter oder Seehunde. „Das Wasser ist hier Lebensraum und Abgrenzung zugleich. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt Jantschke.
Früher war der Ursprungsgedanke eines Zoos, den Menschen die Möglichkeit zu geben, exotische Tiere zu sehen, die sie sonst nie sehen würden. „Das hat sich aber geändert“, sagt Jantschke. Das viele Reisen und die Medien hätten dazu geführt, dass die Menschen schon vieles kennen. Deswegen seien die Aufgaben eines Zoos mittlerweile folgende: Erstens: Den Besuchern Erholung bieten. Zweitens: Tierund Artenschutz erhalten. Drittens: Die Besucher bilden. Viertens: Tierforschung betreiben. Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben komme der Zoo zu seinem Tierbestand. „Der Erholungsaspekt ist für den Besucher der wichtigste“, erklärt die 53-Jährige. Wobei der aufklärende Aspekt zu Tier- und Armüssen tenschutz als Teil einer Umweltbildung immer wichtiger werde.
Die Herkunft und Anzahl vieler Zootiere wird europaweit von strengen Zuchtprogrammen mitbestimmt, die eine gesunde Fortpflanzung regeln, Inzucht verhindern und somit den Artenschutz erhalten sollen. „Diese Programme entscheiden auch darüber, welcher Zoo welches Tier bekommt“, sagt Jantschke. Etwa 150 Tierarten haben ihr eigenes Zuchtprogramm.
So zum Beispiel auch das GrevyZebra: „Da wir zu gut gezüchtet haben, war die Augsburger Linie überrepräsentiert und wir mussten unseren Zebra-Hengst im Rahmen des Zuchtprogramms vorübergehend abgeben“, schildert Jantschke. Ein anderer Hengst durfte dafür nach Augsburg kommen. „Die von den Zuchtprogrammen vorgegebene Höchstzahl ist von Tierart zu Tierart anders“, erklärt Jantschke. Bei den Pelikanen sei sie beispielsweise größer, bei den Tigern hingegen kleiner.
Die Tiere kommen in der Regel aus europäischen Zoos nach Augsburg. „Ganz selten auch aus Amerika, Australien oder Asien“, sagt Jantschke. So gibt es im Augsburger Zoo zum Beispiel einen PlumploriHalbaffen aus Hongkong. Wer denkt, dass Zootiere viel Geld kosten, täuscht sich. Sie gibt es in der Regel zum Nulltarif. Zoos tauschen nämlich ihre Tiere untereinander aus. „Nur für den Transport fließt Geld“, sagt Jantschke. Den zahlt der importierende Empfänger-Zoo. „Unseren Nashornbullen hatten wir beispielsweise aus einem holländischen Zoo. In Augsburg hat er unsere Nashornweibchen gedeckt und ist dann nach Belgien weiterverliehen worden“, erzählt Jantschke. Der Tieraustausch zwischen den Zoos ist ein reges Geben und Nehmen. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz und unterstützen uns daher gegenseitig.“
Haupttransportmittel der Tiere sind Autos und Lkw. Früher wurden auch die Bahn und die Post benutzt, „die erlauben Tiertransporte jedoch nicht mehr“, sagt Jantschke. Wenn die Wege etwas weiter sind, reisen die Tiere per Schiff oder fliegen mit dem Flugzeug. Aber nicht etwa auf einem Passagiersitz, sondern im beheizten Frachtraum des Flugzeugs. So kam auch besagter Plumplori mit dem Flieger nach Deutschland. Bei der Anschaffung von Tieren gilt die Grundregel, dass sie nur von anderen Zoos oder Privatleuten geholt werden – nie aus der freien Natur.
Als Nächstes will Jantschke zwei weitere Elefanten für das neue Elefantenhaus „verpflichten“. Dann gäbe es insgesamt vier Rüsseltiere im Augsburger Zoo. Streng genommen wären es sogar fünf. Es gibt schließlich noch den kleinen Steinelefanten auf Barbara Jantschkes Schreibtisch. Ob der allerdings für die Zoobesucher attraktiv genug ist? Dann wohl doch lieber ein „langweiliger“Roter Pandabär.