Mittelschwaebische Nachrichten
Anforderungen an Azubis sind stark gewachsen
Auch die Berufsschule muss sich darauf einstellen. Und dann sind da auch noch die jungen Flüchtlinge
Landkreis Das hätte es früher nicht gegeben: Rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler des Berufsschulzentrums Günzburg haben Abitur. Was das heißt? Es hat sich einiges verändert in der Ausbildungslandschaft, denn früher waren es vor allem die Mittel- und Realschüler, die eine duale Ausbildung anstrebten. Doch mittlerweile gibt es Berufe, die Mittelschüler kaum mehr erreichen können, denn die Ansprüche an die Azubis sind massiv gestiegen. Das ist nur eine der Herausforderungen, mit denen die Schule konfrontiert ist. Und dann sind da ja noch die Flüchtlinge. Über die Veränderungen sprachen wir mit Wolfgang Kiesecker, der mittlerweile als Schulleiter ausgeschieden ist, und seinem Nachfolger Martin Neumann.
Veränderungen gab es schon immer, darüber kann Wolfgang Kiesecker ausführlich berichten, denn er hat in seiner Lehrerlaufbahn einiges erlebt. 13 Jahre lang arbeitete er an der Günzburger Berufsschule, sieben davon als ihr Leiter. Was die Wirtschaftsstruktur der Region betrifft, so gibt es nichts zu klagen, findet Kiesecker: Hier arbeiten viele Firmen mit sehr hoher Ausbildungsbereitschaft. Allerdings sind die Berufsbilder deutlich anspruchsvoller geworden, was natürlich auch eine große Herausforderung für die Schule mit sich bringt, die am Standort Günzburg 1500 Schülerinnen und Schüler unterrichtet, sowie in Krumbach rund 450. Nehmen wir den einstigen Automechaniker. Da ist es mit Schrauben allein schon lange nicht mehr getan, denn die Fahrzeuge enthalten immer mehr Elektronik. Nach den Worten von Neumann gleichen sie mittlerweile rollenden Netzwerken. Deshalb müssen die jungen Leute in Netzwerktechnik fit sein: „Mechaniker, das ist heute ein High-Tech-Beruf.“Selbst im Sanitärbereich-und Hei- zungsbereich geht es nicht mehr ohne IT-Kenntnisse, denn die Anlagensteuerungen sind immer komplexer geworden. Ein Anlagenmechaniker muss mit IT-gesteuerten Systemen zurechtkommen. Und ein Industriekaufmann sollte bei der Produktionssteuerung nach dem Prinzip Industrie 4.0 auf keinen Fall Bahnhof verstehen. Kiesecker: „All diese komplexen Herausforderungen muss natürlich auch die Schule bedienen.“Dazu gehören etwa zusätzliche Angebote wie Sprachen, die immer stärker nachgefragt werden. Beispielsweise gibt es viele Bedienungsanleitungen nur auf Englisch. Das will beherrscht sein. Doch zusätzliche Angebote bedeuten auch mehr zusätzliches Engagement der Lehrer. Das werde in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen, bedauern Kiesecker und Neumann. In die neue Metallwerkstatt müsse man sich eben erst gründlich einarbeiten, das gehe nicht so nebenbei. Neumann: „Das ist richtig Arbeit.“Deshalb müssten die Schulleiter auf das hohe freiwillige Engagement der Kollegen bauen, denn das könne man nicht verordnen.
Eine Dauerherausforderung bleiben die jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, aber ihre Schulpflicht erfüllen müssen. Das seien in Günzburg und Krumbach zusammen rund 100 Jugendliche. Denen müsse man Einblicke in verschiedene Berufe geben, in der Hoffnung, dass sie doch noch etwas für sich finden.
Ähnlich verhält es sich mit den jungen Asylbewerbern. In diesem Schuljahr sind es an beiden Standorten acht Flüchtlingsklassen. Sie sollen integriert und an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Das dürfte schwieriger werden, als mit der ersten Flüchtlingsklasse, die vor Kurzem nach zwei Jahren entlassen wurde: „In der ersten Welle hatten wir viele mit höherer Bildung, denn Syrien besitzt ein gutes Bildungssystem“, erklärt Kiesecker. Jetzt sei die Zusammenstellung „sehr gemischt“. Von jungen Leuten mit Hochschulreife bis zum Analphabeten sei alles dabei.
Eine der Schwierigkeiten für die Schule bestehe darin, den Geflüchteten klar zu machen, wie das hiesige System funktioniert: Dass ohne deutsche Sprache und vor allen ohne vernünftige Ausbildung hier nichts geht. Neumann: „Für den Helferbereich brauchen wir die Flüchtlinge nicht.“Ihnen müsse klar gemacht werden, dass sie von 8,50 Euro Mindestlohn nicht leben können, wenn sie zuhause noch eine Familie zu ernähren haben.
Allerdings mangelt es nicht wenigen an der Motivation, wenn ihr Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist und sie nicht wissen, ob sie in Deutschland überhaupt bleiben können. Das schüre natürlich auch Ängste. Zudem müssten die jungen Menschen erst spüren, dass die Schule für sie ein sicherer Ort sei. „Das haben sie ja bisher nicht unbedingt erfahren“, sagt Neumann. Seiner Ansicht nach bietet die Schulpflicht eine gute Chance, etwas für Flüchtlingsmädchen zu tun und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Ihnen könne nun vermittelt werden, wie Deutschland tickt, denn: „Bei uns laufen die Frauen nicht drei Meter hinter den Männern her.“
Der Wechsel an der Spitze der Berufsschule ist zwar bereits vollzogen, doch hochoffiziell wird die Amtsübergabe erst im Herbst zelebriert. Martin Neumann, der zuletzt vier Jahre lang die Berufsschule in Nördlingen geleitet hat, ist zumindest von Landrat Hubert Hafner bereits offiziell begrüßt worden.