Mittelschwaebische Nachrichten
Aldi erfindet sich neu
Handel Der Discounter setzt nicht nur auf Markenartikel oder Backautomaten, sondern wirbt plötzlich auch im Fernsehen
Essen Deutschlands größter Discounter Aldi bricht mit Tabus. Jahrzehntelang galten für den Handelsriesen feste Regeln: Die Läden waren spartanisch eingerichtet. Es gab keine Markenartikel. Und teuere TV-Werbung war ein Tabu. Alles vorbei. Schritt für Schritt hat der Billiganbieter in den letzen Jahren viele scheinbar eherne Grundsätze seines Konzepts über Bord geworfen. Erst hielten Backautomaten Einzug in die Läden, um die Kunden mit frisch aufgebackenen Brötchen zu versorgen. Dann kamen die Markenartikel von Coca-Cola bis zu Pampers. Das Ladendesign wurde aufgehübscht. Und jetzt startet Aldi als letzter großer deutscher Lebensmittelhändler auch noch mit Fernsehwerbung.
Bisher stand vor allem eines im Vordergrund: der Preis. Bei seiner TV-Premiere kürzlich geht das Unternehmen jetzt ganz andere Wege. Der Discounter mit seinem überschaubaren Angebot von rund 1200 Artikeln präsentiert sich unter dem Motto „Aldi. Einfach ist mehr“als Hort des entschleunigten und entspannten Einkaufens in einer von Stress und Hektik geprägten Konsumwelt, in der angesichts übervoller Supermarktregale die Kaufentscheidung immer schwerer fällt. Typisch für die Kampagne ist ein Spot, in dem sich Kinder über die Zeitnot der Eltern beklagen. Er gipfelt in den Sätzen: „Wir brauchen keinen Supermarkt, der so groß ist, dass ihr euch nicht entscheiden könnt. Warum glaubt ihr, dass ihr mehr braucht?“
Mit seiner Imagekampagne ist Aldi ein Nachzügler. Erzrivale Lidl investiert schon seit langem Millionen in TV-Spots – mit Imagekampagnen wie „Lidl lohnt sich“oder mit der aktuellen Kampagne „Du hast die Wahl“, bei der der Discounter Markenartikel und Lidl-Eigenmarken gegenüberstellt und damit kaum verhohlen Aldis Kernkompetenz – preisgünstige Eigenmarken – angreift. Auch Edeka („Wir lieben Lebensmittel“) und Rewe („Rewe – Dein Markt“) sind immer wieder im Fernsehen präsent. Über die Kosten der Werbeoffensive schweigt Aldi. Doch zeigen Zahlen des Marktforschungsunternehmens Nielsen über Lidls Werbeausgaben, dass derartige Kampagnen einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kosten können.
Für Aldi ist es jedoch wichtig, sein Image aufzupeppen. Denn billig allein reizt die Bundesbürger immer weniger zum Kauf. Eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ergab, dass die Deutschen beim Lebensmitteleinkauf der Qualität immer häufiger Vorrang vor dem Preis einräumen. Auch aus einem anderen Grunde ist eine Imageoffensive wichtig, wie der GfK-Handelsexperte Wolfgang Adlwarth betont: Aldi habe zwar heute noch bei älteren Kunden eine riesige treue Stammkundschaft. Doch bei den jüngeren Verbrauchern fehle es an einer ähnlich festen Bindung zu dem Discounter. Kein Wunder also, dass der jüngeren Zielgruppe bei der aktuellen Werbeoffensive großes Augenmerk gewidmet wird. Das Unternehmen hat einen Song mit dem Berliner Rapper Fargo zum Thema „Einfachheit“aufgenommen. Und in Zusammenarbeit mit Napster ist das MusikStreaming-Angebot „Aldi life“entwickelt worden. Aldi Süd hat eine Filiale gar zum Laufsteg gemacht, um eine von der Designerin Jette Joop für den Discounter entworfene Modekollektion zu präsentieren.
Doch bei allem Willen zur Modernisierung gibt es Punkte, an denen sich Aldi dem Zeitgeist verweigert. Etwa beim Thema Internet. Im Gegensatz zu Lidl, Rewe oder der Drogeriemarktkette dm verzichtet der Billiganbieter in Deutschland nach wie vor komplett auf einen Online-Shop. Das letzte Wort muss aber auch das nicht sein. Denn in Großbritannien sammelt Aldi bereits mit Wein und Aktionsware erste Erfahrungen im Online-Handel.
Erich Reimann, dpa