Mittelschwaebische Nachrichten

Merkels tiefer Sturz in der Gunst des Publikums

Nach einer weiteren Niederlage in Berlin droht der CDU eine Debatte um die Zukunft der Kanzlerin. Warum Merkel so rasch so viel Vertrauen verloren hat

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Vor zwei Wochen hat die CDU die Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern krachend verloren. Jetzt wählen die Berliner, und wieder birgt eine bundespoli­tisch unbedeuten­de Landtagswa­hl reichlich Brisanz. Denn der CDU droht nach einer Serie von Niederlage­n die nächste Pleite. Kommt es so, und alles spricht dafür, dann wird die Debatte um die Flüchtling­spolitik Merkels und die Zukunft der Kanzlerin noch hitziger werden. Wieder eine Schlappe für die Union, ein weiterer Erfolg für die rechte „Alternativ­e für Deutschlan­d“: Das belegt ja den scheinbar unaufhalts­amen Niedergang der Volksparte­i CDU, der Millionen von Wählern davongelau­fen sind und die noch bei ganzen 25 Prozent gehandelt wird – in jener Zone also, in der die SPD vor sich hindümpelt. Die Partei, die noch vor einem Jahr wie die sichere Siegerin der nächsten Bundestags­wahl aussah, ist auf einem (vorläufige­n) Tiefpunkt angelangt.

Der Absturz in der Gunst des Publikums ging rasend schnell und trägt einen Namen: Angela Merkel. Die Kanzlerin, die das Land über ein Jahrzehnt lang solide regierte, Krisen am Fließband managte und der CDU/CSU als Garantin der Machterhal­tung über 2017 hinaus galt, steht plötzlich mit dem Rücken zur Wand. Aus der beliebten, über Parteigren­zen hinweg respektier­ten Regierungs­chefin ist eine heftig angefeinde­te CDU-Vorsitzend­e geworden, die in weiten Teilen der Bevölkerun­g viel von dem zu Recht erworbenen Vertrauens­kapital eingebüßt hat. Noch droht ihr kein offener Aufstand in der CDU, noch halten starke Kräfte in der Partei zu ihr. Und noch immer besteht ja die Hoffnung, dass Merkel das Blatt beizeiten wenden kann.

Doch so unangefoch­ten, wie Merkel über viele Jahre war, ist sie nicht mehr. Man spürt die leichte Erosion ihrer Machtbasis, die mit einem schwindend­en Einfluss auf der europäisch­en Bühne einhergeht. Man spürt die um sich greifende Angst, mit Merkel an der Spitze die Macht – und viele Abgeordnet­enmandate – zu verlieren. Die Krise Merkels ist nicht nur der Flüchtling­spolitik geschuldet. Der Unmut vieler, zumal konservati­ver Wähler ist älteren Datums und hat nun ein Ventil in der AfD. Auch die ständigen und harten Attacken der CSU, die ihre Mehrheit in Bayern retten will und diesem Ziel alles andere unterordne­t, tragen zum Autoritäts­verlust der Kanzlerin bei. Aber es war die ultraliber­ale, um den Preis eines staatliche­n Kontrollve­rlustes betriebene Politik der offenen Grenzen, die diese Entfremdun­g zwischen der Kanzlerin und einem beträchtli­chen Teil des Volkes bewirkt hat.

Es stand und steht Deutschlan­d gut zu Gesicht, Menschen in Not zu helfen und großzügig Asyl zu gewähren. Doch Merkel hat es versäumt, die Masseneinw­anderung zu steuern. Sie hat die Dinge treiben lassen und – das war ihr Kardinalfe­hler – den Eindruck erweckt, als nehme sie auf die Sorgen und Gefühle der Deutschen keine Rücksicht. Sie hat ihren Kurs längst korrigiert, behauptet jedoch zugleich, nichts ändern zu wollen und alles richtig gemacht zu haben. Seltsam entrückt und rechthaber­isch wirkt die Kanzlerin, außerstand­e zu einem Befreiungs­schlag, der die Stimmung wenden könnte.

Entschiede­n ist nichts – weder der Streit um die „Obergrenze“noch die Zukunft Merkels. Es sieht so aus, als ob Merkel noch einmal antreten will. Die CDU wird ihr folgen, die CSU nach einigem Getöse murrend mitmachen. Seehofer will keinen Bruch, sondern eine Kursänderu­ng. Das ist der Preis, den er für die Unterstütz­ung Merkels einfordert. Gut möglich, dass Merkel diesen Preis entrichtet – und sei es in Form eines unmissvers­tändlichen Signals, dass auch sie die Zuwanderun­g strikt begrenzen will.

Tritt sie bei der nächsten Wahl noch einmal an?

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