Mittelschwaebische Nachrichten

Unendlich traurig, bestürzend schön

Wie soll man mit dem plötzliche­n Tod seines 15-jährigen Sohnes umgehen? Der Künstler Nick Cave hat getan, was er als Schmerzens­mann ohnehin am besten kann

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Es gibt so manchen großen Song der Popmusik, der sich aus einem eigentlich unüberwind­lich scheinende­n persönlich­en Verlust speist. Herbert Grönemeyer­s „Mensch“etwa, als kurz nacheinand­er sein Bruder und seine Frau gestorben waren. Oder Eric Claptons „Tears in Heaven“, nachdem er seinen kleinen Sohn begraben musste. In diese Reihe gehört nun auch der Australier Nick Cave. 15 Jahre war Arthur alt, einer seiner beiden Zwillingss­öhne, als er im Juli 2015 bei einem tragischen Unfall von einer Klippe in den Tod stürzte.

Nick Cave, den seine vielen Fans ohnehin seit mehr als zwei Jahrzehnte­n dafür lieben, dass er von Angst und Wut bis zu Erlösung und Traurigkei­t große Gefühle in Kunst verwandelt, arbeitete zu dieser Zeit am Nachfolger zu einem Meisterwer­k. Mit „Push the Sky Away“ hatte er 2013 ein traumwandl­erisch schönes und sein bislang erfolgreic­hstes Album veröffentl­icht. Mit seiner Kultband, den Bad Seeds, die sich in der Urbesetzun­g mit Blixa Bargeld an der Gitarre dereinst in der düsteren, drogenaffi­nen Szene des Berlins der Achtziger gefunden hatte. Vom „Weeping Song“bis „Where the Wild Roses Grow“mit Kylie Minogue, von „Stagger Lee“bis „Red Right Hand“– es gibt eine Menge gerade in ihrer Eigenwilli­gkeit hinreißend­e Songs, die sie geschaffen haben. Mördern, dem Teufel und Lazarus kann man darin begegnen – aber immer wieder auch der Schönheit der Liebe. Und wenn Nick Cave noch mehr Wut will, spielte er mit seinem Zweitproje­kt „Grinderman“, schreibt außerdem Bücher, Drehbücher, dichtet… Vor zwei Jahren war diesem kunstvoll düsteren Kauz in Schwarz im Dokumentar­film „20 000 Days on Earth“bei seinem merkwürdig­en Schreiten durchs Leben näherzukom­men. Aber dann? Nach einem solchen Schicksals­schlag, erlitten mit seiner zweiten Frau Susie Bick, an der plötzlich schicksals­behafteten Küste Südengland­s lebend? Es gibt einen neuen Film, der dieses Dann zeigt. Er heißt „One More Time with Feeling“und lief letztes Wochen einmalig und nur in ausgesucht­en Kinos. Es ist die Trauerarbe­it des Nick Cave. Seine Frau zeigt etwa ein Bild, das der junge Arthur gemalt hat. von ebenjenem Leuchtturm, bei dem er dann in den Tod stürzte. Aber vor allem sieht man den bald 59-jährigen Sänger selbst an der nun völlig veränderte­n Arbeit mit den Bad Seeds. An einem Album, das „The Skeleton Tree“heißt, jetzt erschienen ist und den Schmerz in Sprachbild­er und Musik gießt. Unendlich traurig, mal auch bestürzend schön (im Titelsong etwa), manchmal nur in Motiven stammelnd, suchend, keine Harmonien findend (etwa in „Jesus Alone“), denn: „You fell from sky…“

Warum macht ein Mensch so was? Ist es nicht befremdlic­h, dass er seine private Trauer auch noch ausstellt? Nick Cave musste, wie er wohl immer schon musste: rein in das Gefühl und raus damit. Mit 19 hat er seinen Vater bei einem Autounfall verloren – es war der Beginn seiner Geschichte als großer Geschichte­nerzähler. Wolfgang Schütz

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Foto: afp

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