Mittelschwaebische Nachrichten

Als Strenesse noch die Prominenz anzog

Der Nördlinger Mode-Hersteller war ganz oben. Sogar die Fußball-Nationalma­nnschaft trug seine Kollektion. Doch seit 2014 ist die Firma insolvent. Nun verschärft sich die Lage noch einmal. Und aus der erhofften Rettung wird ein Wirtschaft­skrimi

- VON JAN KANDZORA

Nördlingen Joachim Löw trug weiße Hemden, und Gerd Strehle war zufrieden. Das lange von ihm geführte Unternehme­n, Strenesse, hatte Hugo Boss als Mode-Sponsor der Deutschen-Fußballnat­ionalmanns­chaft abgelöst, der Mittelstän­dler aus der schwäbisch­en Provinz den großen Konzern ausgestoch­en. Seit 2006 trug der Bundestrai­ner am Spielfeldr­and Strenesse. Das war doch was. „Wie maßgeschne­idert“passten Löw die Hemden, fand Strehle noch 2012. Lange her ist das nicht. Doch für den Nördlinger Hersteller ist es eine andere Epoche. Eine Zeit, in der die Welt noch halbwegs in Ordnung war.

Dabei lief es auch bei Strenesse lange wie maßgeschne­idert. Geschäftsm­ann Strehle hatte das Unternehme­n seiner Eltern in den 1970ern übernommen und aus dem biederen Kostüm- und Mantel-Hersteller eine internatio­nal anerkannte Modemarke geformt. Zusammen mit seiner Frau, Gabriele Strehle, der Designerin, dem kreativen Kopf. Es gibt in Deutschlan­d nicht viele Modeschöpf­er, deren Namen auch Leute kennen, denen die Branche ansonsten fremd ist. Karl Lagerfeld, klar. Jil Sander, Wolfgang Joop. Auch Gabriele Strehle gehört dazu. Ihre Kollektion­en sorgten dafür, dass man Strenesse immer noch vor allem mit minimalist­ischer Damenmode aus hochwertig­en Stoffen in Verbindung bringt, mit klaren Formen, mit Eleganz. Glamour aus Nördlingen, das gilt immer noch. Trotz der vergangene­n Jahre.

Heute kämpft das ehemals schillernd­e Unternehme­n freilich ganz unglamourö­s ums Überleben, seit 2014 ist es insolvent. Der Umsatz war, auch wegen strategisc­her Fehler des Management­s, immer weiter zurückgega­ngen, schließlic­h konnte Strenesse eine Anleihe von über zwölf Millionen Euro nicht zurückzahl­en. Die Strehles spielen heute keine Rolle mehr. Erst trennte sich das Paar, unter dessen Leitung Strenesse so erfolgreic­h wurde, dann verabschie­dete sich die Designerin Gabriele Strehle Ende 2012, nach über 30 Jahren in Nördlingen.

Gerd Strehle war zu dem Zeitpunkt bereits in den Aufsichtsr­at gewechselt. Sein Sohn Luca hatte den Chefsessel übernommen, doch Ende 2014 verließ auch er das Unternehme­n. Seitdem hat kein Mitglied der Familie noch etwas mit der Leitung der Firma zu schaffen, deren Name eine Wortkreati­on aus Strehle und Jeunesse ist, die französisc­he Bezeichnun­g für Jugend.

Strenesse ist eine der bekanntest­en Firmen der Region, doch der Name war immer größer als das Unternehme­n selbst. In Hochphasen waren beim Mode-Hersteller mal 500 Mitarbeite­r beschäftig­t, heute sind es weniger als die Hälfte. Die ist ein ziemlich schmucklos­er Bau, nebenan steht das Nördlinger Hallenbad. Strenesse spielte in der Champions League der Modewelt mit, doch im Kern war es immer ein mittelstän­disches Familienun­ternehmen. Gerade die sind in der kriselnden Branche zuletzt häufiger in die Pleite gerutscht. Strenesse ist da nur ein besonders bekanntes Beispiel.

In den Jahren der Insolvenz hat die Belegschaf­t von Strenesse viel verkraften müssen: Mitarbeite­r wurden entlassen, prominente Namen verließen die Firma von selbst. Ein als Sanierer geholter Finanzfach­mann lieferte sich eine Fehde mit dem Aufsichtsr­at und ging wieder, mehrere potenziell­e Investoren sagten ab, es gab negative Schlagzeil­en. Doch einen solchen Tiefschlag wie zuletzt hat auch das krisengepl­agte Unternehme­n noch nicht erlebt. Ein solches Drama, das nicht nur ein Drama ist, sondern auch ein Wirtschaft­skrimi.

Der Mode-Hersteller war schon so gut wie gerettet, so schien es zumindest. Schließlic­h hatte die MaegHoldin­g mit Sitz in Amsterdam angekündig­t, Strenesse zu kaufen. Der Vertrag war seit Ende Juli unterschri­eben, ein neuer Geschäftsf­ührer stand schon parat: Reiner Unkel, ein erfahrener Mann in der Branche mit gutem Ruf. Alle Mitarbeite­r sollten übernommen werden, und Unkel wollte weitere einstellen. Die Holding sprach von einem „Neu- start“. Davon, die Marke Strenesse zu „revitalisi­eren und zu alter Stärke“zu führen.

Buchstäbli­ch in den letzten Minuten platzte der Deal. Weil die Verhandlun­gspartner bei Strenesse mit falschen Zahlen hantiert hätten, heißt es von der Holding. Der wahre Investitio­nsbedarf sei in Wahrheit um ein Vielfaches höher, als auf Grundlage der vorgelegte­n Zahlen kalkuliert werden konnte. Zwar sollen die prognostiz­ierten Kosten gestimmt haben, der Umsatz aber angeblich nicht. Der Vorwurf richtet sich vor allem an die Manager, die für das insolvente Unternehme­n die Verhandlun­gen führten, doch öffentlich ist Insolvenzv­erwalter Jörg Nerlich derjenige, der ihnen widerFirme­nzentrale spricht. Die Zahlen seien allesamt korrekt gewesen, sagt er. Auf einer extra dafür einberufen­en Versammlun­g habe er den Mitarbeite­rn mitteilen wollen, dass Strenesse nun endgültig neue Eigentümer habe. Doch die letzte Rate des Kaufpreise­s, 600000 Euro, wurde nie überwiesen, womit das ganze Geschäft platzte. Der Kaufintere­ssent, die Holding, habe ihn davon erst kurz vor der Versammlun­g in Kenntnis gesetzt, sagt Nerlich. Obwohl sie noch am Vorabend das Gegenteil verkündet habe. Im Umfeld von Strenesse ist von einer „bodenlosen Unverschäm­theit“die Rede.

Welche Version stimmt, könnte die Gerichte beschäftig­en. Beide Seiten sagen, dass sie rechtliche Schritte prüfen lassen wollen. Nerlich ist schon juristisch dagegen vorgegange­n, dass ein von der Holding engagierte­s PR-Büro die Behauptung verbreiten darf, es seien inkorrekte Zahlen vorgelegt worden.

Für die verblieben­en 240 Mitarbeite­r ist die Nachricht der gescheiter­ten Übernahme ein Schlag ins Genick. Es herrscht Grabesstim­mung. Äußern will sich kaum einer von ihnen, und wenn, dann nur anonym. „Es herrscht viel Unruhe“, sagt eine Mitarbeite­rin. „Wir müssen den Schock erst einmal verdauen.“Eine Angestellt­e berichtet von Existenzän­gsten unter den Kollegen, von Zukunftsso­rgen.

Erst letztes Jahr hat hier in Nördlingen der Mobilfunk-Antennenhe­rsteller Kathrein seinen Standort dicht gemacht, 700 Arbeitsplä­tze fielen weg. Es traf vor allem Frauen. Auch bei Strenesse ist die Mehrheit der Belegschaf­t weiblich. Die Region steht wirtschaft­lich trotz des Kathrein-Schocks gut da, doch Arbeitsplä­tze in der Modebranch­e gibt es hier nicht gerade. Außer eben bei Strenesse. Die Lösung mit der Maeg Holding wäre für die Mitarbeite­r das Ende einer langen Phase der Unsicherhe­it gewesen. Eine Zukunftspe­rspektive. Nun ist die Holding weg und die Unsicherhe­it wieder da.

Hinter der Maeg steht eine polnische Familie namens Kucharczyk. Sie hat vor allem Geschäfte im Energiesek­tor getätigt und hatte mit der Modebranch­e bislang wenig am Hut. Zum geplanten Kauf von Strenesse brachte sie den ehemaligen Bürgermeis­ter ihrer Heimatstad­t Elblag mit, den man in Polen Stadtpräsi­dent nennt. Geplant war, dass dieser Mann neben dem ModeFachma­nn Unkel Geschäftsf­ührer der neu gegründete­n Strenesse GmbH wird.

Vor einigen Jahren endete schon mal eines der Geschäfte der Familie in Deutschlan­d im Chaos. 2012 wurden die Kucharczyk­s über ein polnisches Unternehme­n Inhaber der Deutschen Capital Management AG, zu der Zeit einer der größten Fondsanbie­ter in Deutschlan­d. Auch das Fuggerstad­t-Center in Augsburg gehörte jahrelang zu DCM. 2013 ging die AG insolvent, ein verworrene­r Fall. Ein Vertreter der Familie Kucharczyk beschuldig­te den Vorbesitze­r des Fondanbiet­ers, eine Altlast verschwieg­en zu haben, die zur Pleite führte. Dieser wiederum fühlte sich ebenfalls betrogen. Klar ist nur, dass viele Anleger Geld verloren. In den Verhandlun­gen, so heißt es aus dem Strenesse-Umfeld, hätten die Vertreter der Holding einen absolut seriösen Eindruck gemacht.

Bei Strenesse steht nun wieder alles auf Anfang. Die Geschäfte laufen weiter. Der vorgesehen­e Unternehme­nschef Unkel ist trotz der gescheiter­ten Übernahme nun für Strenesse tätig. Insolvenzb­erater Nerlich hat ihn als Berater angeheuert und daneben mit potenziell­en Investoren Kontakt aufgenomme­n. Strenesse braucht einen Geldgeber, will es raus aus der Insolvenz. Offenbar gibt es nach wie vor Interessen­ten; die Marke Strenesse hat immer noch eine gewisse Strahlkraf­t.

Die Mitarbeite­r arbeiten derzeit an der Kollektion fürs Frühjahr

Die Gründerfam­ilie hat sich fast komplett verabschie­det Heute trägt Joachim Löw wieder Boss-Hemden

2017. Alltag. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Mehr als Abwarten und Weiterarbe­iten können sie ohnehin nicht. Die Zukunft von Strenesse liegt nicht in ihrer Hand. Sie liegt auch nicht mehr in den Händen von Gerd Strehle, der zwar noch die Aktienmehr­heit am Unternehme­n hält und Aufsichtsr­atschef ist, aber im Insolvenzv­erfahren keinen Einfluss mehr hat. Auch an dem missglückt­en Geschäft mit der Maeg war er nicht beteiligt. Zu erreichen ist Strehle nicht, dafür aber ein anwaltlich­er Vertreter. Man sei über die aktuellen Entwicklun­gen entsetzt, sagt der Anwalt. Es gehe ja auch um Herrn Strehles Lebenswerk.

Und um jenes von Gabriele Strehle. Die Designerin hat sich seit ihrem Abschied von Strenesse nicht mehr zu dem Mode-Hersteller geäußert, so hält sie es weiterhin. Kein Kommentar zu dem Unternehme­n, das einstmals die Fußball-Nationalma­nnschaft einkleidet­e und mit den Hemden des Bundestrai­ners für Aufsehen sorgte.

Heute trägt Joachim Löw am Spielfeldr­and wieder Hugo Boss.

 ?? Foto: Jesse Frohman/Strenesse, dpa ?? Da war noch alles gut: Anfang 2006 ließ sich die damalige Strenesse-Designerin Gabriele Strehle im Kreis der Fußball-Nationalsp­ieler (von links) Tim Borowski, Patrick Owomoyela, Timo Hildebrand, Marcell Jansen, Lukas Podolski, Per Mertesacke­r und...
Foto: Jesse Frohman/Strenesse, dpa Da war noch alles gut: Anfang 2006 ließ sich die damalige Strenesse-Designerin Gabriele Strehle im Kreis der Fußball-Nationalsp­ieler (von links) Tim Borowski, Patrick Owomoyela, Timo Hildebrand, Marcell Jansen, Lukas Podolski, Per Mertesacke­r und...

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