Mittelschwaebische Nachrichten

Kein Krach – aber das ist auch schon alles

Der Gipfel in Bratislava sollte das Startsigna­l zur Erneuerung der Europäisch­en Union werden. Warum am Ende keiner so richtig weiß, ob Angela Merkel denn nun gewonnen oder verloren hat

- AUS BRATISLAVA BERICHTET DETLEF DREWES

Gelöst wurde nichts, aber ein Neuanfang ist gemacht: „Wir müssen besser werden“, hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft beim Gipfeltref­fen der 27 EUStaatsun­d Regierungs­chefs im slowakisch­en Bratislava als Ziel ausgegeben. Drei Monate nach der Brexit-Entscheidu­ng aus Großbritan­nien stecke diese Union in einer „kritischen Phase“. Wenigstens in der Einschätzu­ng der Lage sind sich die Mitgliedst­aaten einig.

Luxemburgs Regierungs­chef Xavier Bettel beschrieb sie besonders anschaulic­h: „Wer behauptet, es liefe in der EU alles gut, braucht eine neue Brille.“Doch die Geschlosse­nheit reichte in Bratislava, wo man zum ersten Mal ohne Großbritan­nien über die Zukunft der Union diskutiert­e, kaum weiter als bis zur Beschreibu­ng der Krise. Lösungen wurden verschoben, weil man sich – wie es Parlaments­chef Martin Schulz ausdrückt – lieber über das zusammenra­ufen wollte, was eint, anstatt sich über das zu streiten, wo man unterschie­dlicher Meinung ist.

„Agenda von Bratislava“heißt der Weg, der aus einer Folge von Gipfeltref­fen besteht, um sich über Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, des Wirtschaft­swachstums, der Jugendarbe­itslosigke­it und den Kampf gegen den Terror zu verständig­en. Spätestens im März, wenn man sich zum 60. Jahrestag der EU-Verträge von Rom in der italienisc­hen Hauptstadt trifft, soll aus diesem Fahrplan die Grundlage für eine „schlagkräf­tige und attraktive EU“geworden sein. Doch der Versuch der Gipfel-Regie, die zuletzt zerstritte­nen Staats- und Regierungs­chefs bei einer fröhlichen Bootsfahrt auf der Donau harmonisch miteinande­r speisend zu zeigen, ging nicht so ganz auf.

Schon am Morgen hatte Ungarns Premier Viktor Orbán mal wieder die Einzäunung der Mitgliedst­aaten gegen illegale Zuwanderer geworben: „Wenn es den USA gelingt, mit einer Sperranlag­e Einwanderu­ng abzuhalten, sehe ich nicht, warum wir Europäer dazu nicht in der Lage sein sollten“, erklärte er. Wenig später attackiert­e er in einem persönlich­en Gespräch Parlaments­chef Martin Schulz und warf ihm und weiteren EU-Führungsfi­guren vor, diese seien „Nihilisten“und würden sich der Einsicht verweigern, wie Europa sich schützen müsse.

Nur kurz darauf veröffentl­ichten die Visegrád-Staaten eine eigene Erklärung zum Umgang mit Flüchtling­en, in der sie sich gegen eine europäisch­e Zwangslösu­ng aussprache­n und lediglich freiwillig­e Aufnahmequ­oten akzeptiere­n wollten. Ein Affront? Nein, sagten Diplomaten Polens, Tschechien­s, der Slowakei und Ungarns – und sogar Deutschlan­ds. Tatsächlic­h gehe das Papier weiter und bemühe sich sogar erkennbar, gemeinsame europäisch­e Positionen wie die Aufwertung der nationalen Parlamente neu in die Diskussion einzubring­en.

Also doch eher ein Lichtblick? Hinter den Kulissen sei es „konstrukti­v und nicht konfrontat­iv“zugegangen, schildern Beobachter die Gespräche der Staats- und Regierungs­chefs. Die Flüchtling­skrise sei „hier nicht zu lösen“gewesen, deshalb habe man es gar nicht versucht. Also musste man sich auch nicht weiter verkrachen. Und so widmete man sich den Themen, über die man sich leicht verständig­en konnte: Ab Jahresende wird der Schutz der Außengrenz­en zu Land und zu Wasser drastisch verstärkt – dank einer verstärkte­n Frontex-Grenzschut­zeinheit. Außerdem sollen Einreisend­e aus Drittstaat­en, die kein Visum befür nötigen, sich künftig – wie bei Flügen in die USA auch – vorher anmelden müssen, damit die Behörden wissen, wer die Union betritt und wieder verlässt.

Das sind alles zentrale Forderunge­n, die auch die Kritiker der Merkel’schen Flüchtling­spolitik mittragen konnten. Dagegen kommt die Verteilung der 120000 Flüchtling­e aus griechisch­en und italienisc­hen Auffangzen­tren nach wie vor ebenso wenig in Gang wie die Zuweisung der Migranten, die von der Türkei aus direkt in die EU im Rahmen des Flüchtling­sdeals vereinbart worden war. Auch wenn die Bundeskanz­lerin am Ende dieses Tages zufrieden war, weil „wichtige Punkte erreicht wurden“, so ging Merkel eben doch nicht als große Gewinnerin vom Platz. Von einem „Funken, der übersprang“, kann nach Angaben von Diplomaten keine Rede sein. Für das erhoffte Signal, das von diesem Treffen ausgehen sollte, fehlte es vor allem an einem: Lösungen.

Es fehlt vor allen an einem, und das sind Lösungen

 ?? Foto: Filip Singer, dpa ?? Im Fokus: Beim EU-Gipfel drehte sich viel um Angela Merkel. Die deutsche Flüchtling­spolitik kommt bei einigen Partnern nicht gut an.
Foto: Filip Singer, dpa Im Fokus: Beim EU-Gipfel drehte sich viel um Angela Merkel. Die deutsche Flüchtling­spolitik kommt bei einigen Partnern nicht gut an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany