Mittelschwaebische Nachrichten

Putins Lehren aus dem Schock von 2011

Die Wahlen in Russland sind auch diesmal weder frei noch fair. Der Präsident hat dem Parlament eine klare Rolle zugedacht

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Zehntausen­de Menschen versammelt­en sich am 10. Dezember 2011 – sechs Tage nach den Parlaments­wahlen – im Zentrum Moskaus. Sprechchör­e hallten durch die Straßen: „Weg mit Putin“, skandierte die Masse. Heute, am Tag vor den aktuellen Duma-Wahlen, sind solche Szenen kaum noch denkbar. Wladimir Putin sitzt fest im Sattel, seine Macht ist fast unumschrän­kt, die große Mehrheit der Bevölkerun­g hält ihn für einen starken Präsidente­n, viele verehren ihn.

Was ist also damals passiert? Schon vor den Wahlen waren Kandidaten der Opposition massiv behindert und eingeschüc­htert worden, dann verdichtet­en sich die Meldungen über Manipulati­onen. „Weder frei noch fair“seien die Wahlen gewesen – so das vernichten­de Urteil der Wahlbeobac­hter der OSZE. Die Empörung wuchs, kanalisier­te sich im Internet. Dann gingen meist junge Russen in Moskau und anderen Städten auf die Straße. Es kam zu Straßensch­lachten mit der Polizei. Die Proteste dauerten bis in den Mai 2012 hinein an. Ihre Ziele konnten die heterogene­n Gruppen, die die Proteste trugen, nicht durchsetze­n. Weder wurden die Wahlen annulliert, noch wurde zugesagt, in Zukunft alle Op- positionsk­andidaten zuzulassen. Auch die Rücktritts­forderunge­n gegen den damaligen Ministerpr­äsidenten Putin blieben eine Illusion.

Doch für den heutigen russischen Präsidente­n, dessen Partei „Einiges Russland“damals offiziell 49 Prozent der Stimmen erreichte, waren die Ereignisse im Dezember 2011 ein Schock. Nach den Präsidents­chaftswahl­en im Mai 2012, die Putin zum zweiten Mal in das höchste Amt des Staates brachten, kam die Stunde der Rache. Die Daumenschr­auben wurden angezogen. Der Kreml ging äußerst rigide gegen seine Gegner vor. Putin-Kritiker sehen diese Phase als Beginn des Ausbaus einer zunehmend autoritäre­n Regierungs­form, einer Art „gelenkten Demokratie“.

Am Sonntag wird wieder gewählt. Und erneut sehen westliche Beobachter das Land weit von freien und fairen Wahlen entfernt. Die Fakten sprechen für sich: Über 90 Prozent der Direktbewe­rber erhielten keine Registrier­ung zur Staatsduma­Wahl. Opposition­sparteien haben kaum Zugang zu den Medien. Hinzu kommt, dass Presse, Funk und Fernsehen in weiten Teilen längst auf Kreml-Linie gebracht worden sind. Bleibt das Internet als – allerdings überschaub­are – Bühne. Doch auch das Netz ist nicht vor staatliche­r Reglementi­erung sicher.

Der Russland-Experte Gernot Erler (SPD) kommt zu dem Schluss, dass insbesonde­re die Beschränku­ngen vor den Wahlen eine freie, demokratis­che Abstimmung verhindern würden. Repression­en, die bereits griffen, bevor die rund 500 Wahlbeobac­hter der OSZE ins Land kamen. Gleichzeit­ig glaubt der Bundestags­abgeordnet­e Erler, dass die Organisato­ren am Wahltag selber, aber auch bei der Auszählung der Stimmen bemüht sein werden, grobe Unregelmäß­igkeiten zu vermeiden. Eine weitere Konsequenz aus den Ereignisse­n vom Dezember 2011, als es allzu offensicht­liche Manipulati­onen gegeben hatte. Zudem wurde das Wahlrecht dahingehen­d verändert, dass diesmal einige liberale Politiker den Sprung in die Duma schaffen könnten.

Der Ausgang der Wahl wird im Land fast lethargisc­h erwartet: Die Wahlbeteil­igung dürfte überschaub­ar sein. Putins Partei „Einiges Russland“wird auf 45 bis 50 Prozent taxiert. Ob es für eine absolute Mehrheit reicht, ist offen, letztlich aber eine eher akademisch­e Frage: Das Gros der anderen Parteien ist zuverlässi­g auf Kreml-Kurs.

Den beiden echten Opposition­sparteien „Parnas“und der „Jabloko“wird der Sprung über die FünfProzen­t-Hürde nicht zugetraut. So bleibt die Rolle, die Putin dem Parlament zugedacht hat, trotz kosmetisch­er Korrekture­n unveränder­t: Die Duma ist dazu da, der Politik des Präsidente­n durch Zustimmung demokratis­che Legitimati­on zu geben. Ein wichtiges Element für Putins Pläne, im Jahr 2018 mit einer beeindruck­enden Mehrheit für weitere sechs Jahre an der Spitze des Staates bestätigt zu werden. Die innenpolit­ischen Probleme, die schwere Krise der Wirtschaft oder die Korruption – all dies wird nicht dem Präsidente­n, sondern einer unfähigen Verwaltung angekreide­t.

Mit seiner aggressive­n, aber durchaus effektiven Außenpolit­ik – wie bei der Annektieru­ng der Krim oder zuletzt im Syrien-Konflikt – hat er Russland in den Augen der Bevölkerun­g zurück auf die Weltbühne gebracht. Sogar auf Augenhöhe mit den USA. Das zählt.

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Foto: Yuri Kochetkov, dpa Wladimir Putin überzeugt mit seiner entschloss­enen Außenpolit­ik viele Russen. Davon könnte seine Partei am Sonntag profitiere­n.

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