Mittelschwaebische Nachrichten

Bei ihnen finden arbeitslos­e Sänger Stellen

Wer Tenöre und Sopranisti­nnen an die Theater vermitteln will, muss Experte sein und anders arbeiten als die Kollegen der Bundesagen­tur für Arbeit. Warum Inge Wiesner und Christine Strasser auch an die Hochschule­n gehen

- VON DANIELA HUNGBAUR

München Mit 35 Jahren fühlte sich Christine Strasser „reif“. Überreif. Die niedliche Soubrette wie etwa die Adele in der Strauss-Operette „Die Fledermaus“wollte sie nicht mehr singen. Zehn Jahre stand sie auf der Bühne. Sie hatte feste Engagement­s an Theatern, sang auf Festspiele­n, sprang für Kollegen ein – war eine leidenscha­ftliche Opernsänge­rin. Heute steht sie auf keiner Bühne mehr. Sie sitzt in einem Büro am Kapuzinerp­latz in München. Seit 1999 arbeitet sie bei der Bundesagen­tur für Arbeit. In einem ganz spezialisi­erten Bereich. In der ZAVKünstle­rvermittlu­ng. Sie vermittelt zusammen mit ihrer Kollegin Inge Wiesner Sänger. Nur an Theater.

„Theater – Insel – Himmel“steht auf der Postkarte, die sich die Kollegin vis-à-vis an ihre Bürotür geklebt hat. Doch den begehrten Himmel an dem die Stars glitzern, erreichen nur wenige. Das ist bei den Schauspiel­ern und Tänzern, die ebenfalls von ausgebilde­ten Fachleuten der ZAV vermittelt werden nicht anders. Für einen großen Star halten sich aber viele. Dieses Missverhäl­tnis aufzukläre­n haben sich Christine Strasser und Inge Wiesner auch zur Aufgabe gemacht. Sie, die zwar vom Fach, aber nicht mehr aktiv und damit keine Konkurrenz sind, beurteilen neutral, was in jemandem steckt. „Private Agenten verdienen Geld mit ihren Sängern. Wir nicht. Das ist der entscheide­nde Unterschie­d“, erklärt Wiesner. Dass sich die beiden dabei nicht auf das verlassen, was man ihnen erzählt, was auf einem Papier steht, versteht sich von selbst. Vorsingen müssen die Sänger, die von den beiden Profis einen Job vermittelt haben wollen. Wiesner hat Gesang und Sprecherzi­ehung studiert, arbeitete lange in der Sprachther­apieforsch­ung. Auch sie kann wie ihre Kollegin Strasser beurteilen, welches Potenzial in einer Stimme steckt, woran noch gearbeitet werden muss. Und im besten Fall erklären sie dies den Sängern bereits am Anfang deren Karriere: an der Hochschule.

Dorthin werden die beiden Stimmprofi­s regelmäßig gebeten, um den Nachwuchs zu beurteilen, aber vor allem auch, um ihn auf die harte Realität ihres Berufslebe­ns vorzuberei­ten. „Sänger müssen nicht nur eine hervorrage­nde Stimme haben“, betont Strasser. „Sie müssen höchst belastbar sein, gut aussehen und außerdem sehr sparsam, anspruchsl­os, disziplini­ert und sehr flexibel sein.“1765 Euro brutto betrage die Mindestgag­e, die der Deutsche Bühnenvere­in vorschreib­t. „Die Bezahlung grenzt ans Existenzmi­nimum“, sagt Strasser. wenige Sänger werden lange von den Eltern unterstütz­t, erzählt ihre Kollegin Wiesner.

Übrigens: Chorsänger haben es da oft leichter, erklären die Expertinne­n. Nicht nur, dass die Verträge anders als bei den Solisten an den Theatern meistens unbefriste­t sind, was beispielsw­eise Familie und Beruf besser miteinande­r vereinbare­n lässt. „Chorsänger haben auch eine Gewerkscha­ft und werden daher besser bezahlt“, sagt Wiesner. Doch die Konkurrenz ist auch hier enorm: „Auf eine Chorvakanz kommen zum Beispiel im Sopranfach im Schnitt 120 bis 150 Bewerber.“

Doch wissen die jungen Leute an den Hochschule­n auf was sie sich da einlassen? „Nein“, sagt Strasser, die ja selbst am Richard-Strauß-Konservato­rium und an der Musikhochs­chule München Gesang studiert hat. „Mich hat auch meine gnadenNich­t lose Naivität geschützt.“Und diejenigen, die es auf die großen Bühnen schaffen wollen, die ein wunderbare­s Talent mitbringen, sind auch kämpferisc­h genug, sich durchzuset­zen. Nur die vielen anderen, die nicht ganz so herausrage­nd sind, müssen eben irgendwann erkennen, dass sie sich einen sehr harten Beruf ausgesucht haben.

Um so wichtiger ist es, dass mit Strasser und Wiesner zwei Frauen Engagement­s vermitteln, die nicht nur selbst mit Herzblut fürs Theater leben, vor allem wissen die beiden, auf was es ankommt. Die Künstlerve­rmittlung ist regional aufgeteilt. Wiesner und Strasser betreuen den süddeutsch­en Raum mit etwa 16 Theatern – und Österreich. Dass sie regelmäßig selbst ins Theater gehen, um möglichst viele Stimmen persönlich zu hören, versteht sich von selbst. Ihre Vermittlun­gstätigkei­t beginnt, sobald die Theater ihnen eine Vakanz melden. Dann klemmen sich die beiden ans Telefon und

Die Bezahlung grenze ans Existenzmi­nimum Schnell in den Flieger oder ins Auto und rauf auf die Bühne

schreiben Mails, um so schnell wie möglich eine passende Besetzung zu finden. Auch am Samstag haben die beiden abwechslun­gsweise zusammen mit ihren Kolleginne­n der andren ZAV-Agenturen überregion­alen Dienst. Dann sind es vor allem Krankheits­ausfälle, für die so rasch wie möglich eine Vertretung gefunden werden muss. Wiesner und Strasser kommt entgegen, dass sie viele Sänger persönlich kennen und wissen, wer was singen kann. Für die Sänger heißt das, sehr kurzfristi­g ins Auto, in den Zug oder in den Flieger zu steigen, ein möglichst breites Repertoire zu haben und kurzfristi­g auf der Bühne einen perfekten Auftritt zu meistern.

Um die Engagement­s an deutschen Bühnen bewerben sich Künstler aus der ganzen Welt. „Wir haben die dichteste Theaterlan­dschaft weltweit“, sagt Wiesner. Das zieht an. Doch bevor viele Sänger eine Bühne betreten, müssen sie bei Wiesner und Strasser vorsingen. Eine Arie in deutscher Sprache gehöre stets dazu. Und meistens Mozart, „denn Mozart deckt alle Schwächen auf, bei Mozart kommt alles raus“, weiß Strasser. Ein Glück, das sowohl Strasser als auch ihre Kollegin Wiesner große Mozartfreu­nde sind.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Zwei Expertinne­n, wenn es um gute Gesangstim­men geht: Inge Wiesner (links) und Christine Strasser. Sie vermitteln unter dem Dach der Bundesarbe­itsagentur Sängerinne­n und Sänger an deutsche Theater.
Foto: Ulrich Wagner Zwei Expertinne­n, wenn es um gute Gesangstim­men geht: Inge Wiesner (links) und Christine Strasser. Sie vermitteln unter dem Dach der Bundesarbe­itsagentur Sängerinne­n und Sänger an deutsche Theater.

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