Mittelschwaebische Nachrichten
Bei ihnen finden arbeitslose Sänger Stellen
Wer Tenöre und Sopranistinnen an die Theater vermitteln will, muss Experte sein und anders arbeiten als die Kollegen der Bundesagentur für Arbeit. Warum Inge Wiesner und Christine Strasser auch an die Hochschulen gehen
München Mit 35 Jahren fühlte sich Christine Strasser „reif“. Überreif. Die niedliche Soubrette wie etwa die Adele in der Strauss-Operette „Die Fledermaus“wollte sie nicht mehr singen. Zehn Jahre stand sie auf der Bühne. Sie hatte feste Engagements an Theatern, sang auf Festspielen, sprang für Kollegen ein – war eine leidenschaftliche Opernsängerin. Heute steht sie auf keiner Bühne mehr. Sie sitzt in einem Büro am Kapuzinerplatz in München. Seit 1999 arbeitet sie bei der Bundesagentur für Arbeit. In einem ganz spezialisierten Bereich. In der ZAVKünstlervermittlung. Sie vermittelt zusammen mit ihrer Kollegin Inge Wiesner Sänger. Nur an Theater.
„Theater – Insel – Himmel“steht auf der Postkarte, die sich die Kollegin vis-à-vis an ihre Bürotür geklebt hat. Doch den begehrten Himmel an dem die Stars glitzern, erreichen nur wenige. Das ist bei den Schauspielern und Tänzern, die ebenfalls von ausgebildeten Fachleuten der ZAV vermittelt werden nicht anders. Für einen großen Star halten sich aber viele. Dieses Missverhältnis aufzuklären haben sich Christine Strasser und Inge Wiesner auch zur Aufgabe gemacht. Sie, die zwar vom Fach, aber nicht mehr aktiv und damit keine Konkurrenz sind, beurteilen neutral, was in jemandem steckt. „Private Agenten verdienen Geld mit ihren Sängern. Wir nicht. Das ist der entscheidende Unterschied“, erklärt Wiesner. Dass sich die beiden dabei nicht auf das verlassen, was man ihnen erzählt, was auf einem Papier steht, versteht sich von selbst. Vorsingen müssen die Sänger, die von den beiden Profis einen Job vermittelt haben wollen. Wiesner hat Gesang und Sprecherziehung studiert, arbeitete lange in der Sprachtherapieforschung. Auch sie kann wie ihre Kollegin Strasser beurteilen, welches Potenzial in einer Stimme steckt, woran noch gearbeitet werden muss. Und im besten Fall erklären sie dies den Sängern bereits am Anfang deren Karriere: an der Hochschule.
Dorthin werden die beiden Stimmprofis regelmäßig gebeten, um den Nachwuchs zu beurteilen, aber vor allem auch, um ihn auf die harte Realität ihres Berufslebens vorzubereiten. „Sänger müssen nicht nur eine hervorragende Stimme haben“, betont Strasser. „Sie müssen höchst belastbar sein, gut aussehen und außerdem sehr sparsam, anspruchslos, diszipliniert und sehr flexibel sein.“1765 Euro brutto betrage die Mindestgage, die der Deutsche Bühnenverein vorschreibt. „Die Bezahlung grenzt ans Existenzminimum“, sagt Strasser. wenige Sänger werden lange von den Eltern unterstützt, erzählt ihre Kollegin Wiesner.
Übrigens: Chorsänger haben es da oft leichter, erklären die Expertinnen. Nicht nur, dass die Verträge anders als bei den Solisten an den Theatern meistens unbefristet sind, was beispielsweise Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren lässt. „Chorsänger haben auch eine Gewerkschaft und werden daher besser bezahlt“, sagt Wiesner. Doch die Konkurrenz ist auch hier enorm: „Auf eine Chorvakanz kommen zum Beispiel im Sopranfach im Schnitt 120 bis 150 Bewerber.“
Doch wissen die jungen Leute an den Hochschulen auf was sie sich da einlassen? „Nein“, sagt Strasser, die ja selbst am Richard-Strauß-Konservatorium und an der Musikhochschule München Gesang studiert hat. „Mich hat auch meine gnadenNicht lose Naivität geschützt.“Und diejenigen, die es auf die großen Bühnen schaffen wollen, die ein wunderbares Talent mitbringen, sind auch kämpferisch genug, sich durchzusetzen. Nur die vielen anderen, die nicht ganz so herausragend sind, müssen eben irgendwann erkennen, dass sie sich einen sehr harten Beruf ausgesucht haben.
Um so wichtiger ist es, dass mit Strasser und Wiesner zwei Frauen Engagements vermitteln, die nicht nur selbst mit Herzblut fürs Theater leben, vor allem wissen die beiden, auf was es ankommt. Die Künstlervermittlung ist regional aufgeteilt. Wiesner und Strasser betreuen den süddeutschen Raum mit etwa 16 Theatern – und Österreich. Dass sie regelmäßig selbst ins Theater gehen, um möglichst viele Stimmen persönlich zu hören, versteht sich von selbst. Ihre Vermittlungstätigkeit beginnt, sobald die Theater ihnen eine Vakanz melden. Dann klemmen sich die beiden ans Telefon und
Die Bezahlung grenze ans Existenzminimum Schnell in den Flieger oder ins Auto und rauf auf die Bühne
schreiben Mails, um so schnell wie möglich eine passende Besetzung zu finden. Auch am Samstag haben die beiden abwechslungsweise zusammen mit ihren Kolleginnen der andren ZAV-Agenturen überregionalen Dienst. Dann sind es vor allem Krankheitsausfälle, für die so rasch wie möglich eine Vertretung gefunden werden muss. Wiesner und Strasser kommt entgegen, dass sie viele Sänger persönlich kennen und wissen, wer was singen kann. Für die Sänger heißt das, sehr kurzfristig ins Auto, in den Zug oder in den Flieger zu steigen, ein möglichst breites Repertoire zu haben und kurzfristig auf der Bühne einen perfekten Auftritt zu meistern.
Um die Engagements an deutschen Bühnen bewerben sich Künstler aus der ganzen Welt. „Wir haben die dichteste Theaterlandschaft weltweit“, sagt Wiesner. Das zieht an. Doch bevor viele Sänger eine Bühne betreten, müssen sie bei Wiesner und Strasser vorsingen. Eine Arie in deutscher Sprache gehöre stets dazu. Und meistens Mozart, „denn Mozart deckt alle Schwächen auf, bei Mozart kommt alles raus“, weiß Strasser. Ein Glück, das sowohl Strasser als auch ihre Kollegin Wiesner große Mozartfreunde sind.