Mittelschwaebische Nachrichten
Mehr als eine Trainerin
Steffi Nerius war einst eine Weltklasse-Speerwerferin. Jetzt betreut sie mit großem Erfolg Behinderten-Sportler. Dabei ist sie auch die Mittlerin in einem komplizierten Fall
Rio de Janeiro Ihr altes Leben als Speerwurf-Weltmeisterin holt Steffi Nerius manchmal noch ein. In dieser Woche wurde ihre langjährige Rivalin Maria Abakumowa aus Russland des Dopings überführt, Nerius rückte nachträglich vom fünften auf den vierten Platz der Olympischen Spiele 2008 vor.
Die 44-Jährige zuckt darüber nur mit den Schultern. Sie ist gerade als Trainerin bei den Paralympics in Rio de Janeiro aktiv – und dabei sogar noch erfolgreicher, als sie es schon in ihrer Karriere als Athletin war. Nerius’ Schützlinge sind Markus Rehm und Franziska Liebhardt, die beiden Gesichter der deutschen Leichtathletik bei diesen Weltspielen des Behindertensports.
Liebhardt gewann bereits Gold im Kugelstoßen und Silber beim Weitsprung. Und Rehm, der deutsche Paralympics-Star schlechthin, will am heutigen Samstag im Weitsprung seine zweite Goldmedaille in Rio holen. „Mehr kann man nicht erreichen“, sagt Nerius. „Es ist für jeden Trainer toll, wenn man merkt, dass das Training anschlägt.“
Liebhardt leidet an einer unheilbaren Autoimmunkrankheit. Eine Lungen- und eine Nierentransplantation hat sie bereits hinter sich. den Paralympics wird sie ihre Karriere beenden.
Bei Rehm dagegen soll es nach Rio erst richtig losgehen. Der 28-Jährige ist über den Behindertensport hinausgewachsen. Er kämpft dafür, auch einmal bei großen Meisterschaften der Nicht-Behinderten mitzuspringen.
Unterschiedlicher können zwei Athleten kaum sein. Aber glaubt man Nerius, stehen beide für genau das, was die Paralympics immer größer, leistungsstärker und attraktiver gemacht hat. „Beide sind sehr professionell, sehr ehrgeizig, sehr zielstrebig“, sagt sie. „Auch im Behindertensport ist mittlerweile bekannt: Man muss hart arbeiten, um Erfolg zu haben.“
Über Liebhardt erzählt sie die Geschichte, wie sie 2014 zu ihr kam und entgegen der Prognose und der Warnung aller Ärzte Leistungssport betreiben wollte. „Bei Franzi bin auch ich zunächst so an die Arbeit herangegangen, dass ich bei jedem schweren Atmen dachte: Geht es dir gut? Ist alles okay?“, beschreibt Nerius. „Als sie zu mir kam, konnte sie eine 20-Kilogramm-Stange beim Bankdrücken vielleicht sieben Mal hochdrücken. Jetzt schafft sie eine Zehnerserie mit 75 Kilogramm.“
Bei Rehm geht ihre Aufgabe über die der Trainerin hinaus. Er ist der Star des Deutschen Behindertensportverbandes, würde aber auch gern für den Deutschen Leichtathletik-Verband starten. Nerius kennt beide Seiten.
Das macht sie zur Mittlerin in einem komplizierten Fall. 2014 nahm Rehm zum ersten Mal an den deutschen Meisterschaften der NichtBehinderten teil. Er gewann. Diesen Start hatte ihm auch seine Trainerin vermittelt. Erst danach führte der Weltverband eine Regel ein, nach der Athleten mit Handicap selbst den Nachweis erbringen müssen, dass ihnen eine Prothese keinen Vorteil verschafft.
Anders als Rehm meint Nerius nicht, dass behinderte Athleten zusammen mit nicht-behinderten Athleten starten sollten. Sie sagt: Man könne beides nicht miteinander vergleichen. Gleichwohl unterstützt sie ihn in seinem Kampf, wenn auch nicht unter dem Schlagwort der Inklusion. „Es wäre gut für ihn, regelNach mäßig gefordert zu werden“, sagt Nerius. „Denn jeder Leistungssportler weiß, dass man nur das Letzte aus sich herausholen kann, wenn auch Konkurrenz da ist.“
Um weiter mit Rehm arbeiten zu können, nimmt Nerius vieles auf sich. Seit zwei Jahren arbeitet sie im Hauptberuf nicht mehr als Trainerin für Bayer Leverkusen, sondern als Leiterin des Nachwuchs-Internats. Das Training mit Rehm macht sie in ihrer Freizeit. Mit ihm noch einmal zu einer WM zu fahren, das wäre für Nerius die Krönung ihrer zweiten Karriere. (dpa)