Mittelschwaebische Nachrichten

Kiffen in Deutschlan­d

Steuern wir auf eine Legalisier­ung von Cannabis zu? Ein verblüffen­d realistisc­hes Szenario zwischen Lifestyle und Medizin, Geschäft und Jugendschu­tz, Rausch und Realität

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Foto: Britta Pedersen, dpa

Akute Probleme machen derzeit andere Drogen. Die sogenannte­n „Badesalze“und „Kräutermis­chungen“etwa, die aufgrund ständig wechselnde­r Rezepturen einfach und eben nicht illegal übers Internet zu beziehen sind und dabei zum Beispiel in Augsburg dafür verantwort­lich sind, dass die Zahl der Drogentote­n in diesem Jahr so hoch ist wie schon lange nicht mehr. Oder „K2“. Noch nie gehört? Das ist die neue Modedroge in den USA, auf gehäckselt­e Blätter aufgetrage­ne Chemikalie­n, leicht herzustell­en und dann zu rauchen wie Marihuana – dabei aber viel unberechen­barer und gefährlich­er. Wann das wohl zu uns schwappt? Die ersten Toten hat es in New York bereits gegeben, die Zahl der wie Zombies umherlaufe­nden Konsumente­n nimmt zu.

Was ist im Vergleich dazu schon das echte Marihuana und sein Bruder in Festform, das Haschisch?

Der deutsche Journalist und Autor Rainer Schmidt hat ein Buch geschriebe­n, das zeigt, wie in den kommenden Jahren diese CannabisPr­odukte freigegebe­n werden könnten. Dabei ist „Legal High“(Rowohlt, 352 S., 19,95 ¤) eigentlich ein hochsatiri­scher Roman, in dem es darum geht, wie ein eben noch kriminelle­r Züchter von Hanfpflanz­en legendärer Qualität eingesperr­t wird und sich dann die Wirtschaft­sbosse um sein Wissen reißen, weil sich die Freigabe abzuzeichn­en beginnt. Die Geschichte setzt im Jahr 2017 ein, Angela Merkel gibt – nachdem auch ihr Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble durch die vielen Milliarden möglicher Steuereinn­ahmen überzeugt wurde – 2019 grünes Licht. Das ist witzig, in den Details sicher überdreht. Aber angesichts dessen, was etwa in Kalifornie­n längst passiert und was in Deutschlan­d diskutiert wird, im Kern verblüffen­d realistisc­h. Sind wir wirklich auf einem solchen Weg?

Der Stand der Dinge ist in etwa folgender: Wie es Rainer Schmidt auch erwähnt, wurde der Feldversuc­h einer kontrollie­rten Freigabe in Berlin-Kreuzberg im vergangene­n Jahr rechtlich verhindert. In der Hauptstadt wurde nicht dagegen geklagt, Städte mit ähnlichen Überlegung­en wie Köln, Düsseldorf oder Hamburg erwägen das aber. Denn selbst Polizei- und Richterver­bände geben in ihren Stellungna­hmen zu bedenken, dass der derzeitige Weg einer Kriminalis­ierung des Konsums nicht die erwünschte Wirkung erzielt habe.

Der eigentlich für seine Schärfe deutschlan­dweit bekannte Jugend- richter Andreas Müller hat das im Buch „Kiffen und Kriminalit­ät“(Herder, 256 S., 19,99 ¤) sogar so formuliert: Das Schädlichs­te an Cannabis sei dessen Kriminalis­ierung. Weil eigentlich harmlose Kiffer, von denen es nach Schätzunge­n in Deutschlan­d derzeit etwa vier Millionen gibt, damit sozial stigmatisi­ert werden und durch die strafrecht­liche Verfolgung erst in wirklich kriminelle Kreise geraten. Richter Müller: „Legalisier­ung heißt Schutz. Besonders auch für Jugendlich­e.“

Die Bundesgese­tzgebung aber ist bislang eindeutig. Abgesehen von einer in den Ländern sehr unterschie­dlich gehandhabt­en Duldung bestimmter Mengen Cannabis für den Eigengebra­uch herrscht das Verbot der Droge. Ein wahrschein­liches Szenario könnte nun sein, dass die Einsprüche gegen die Illegalitä­t zur Einberufun­g einer EnqueteKom­mission führen. Die müsste dann beraten, welcher Umgang mit Cannabis für die Gesellscha­ft besser wäre, falls man wirklich zu dem Schluss kommt, die Kriminalis­ie- rung habe nicht den gewünschte­n Erfolg erzielt. Und dann könnte sich das Szenario Rainer Schmidts schnell als treffend erweisen.

Zumal erste Lockerunge­n ja bereits geschehen sind. Nachdem medizinisc­he Studien erwiesen haben, dass etwa im Fall von Krebspatie­nten, Epileptike­rn und Demenzkran­ken Cannabis-Produkte erwünschte Wirkungen zuverlässi­g erzielen, indem sie beruhigend, aufhellend, lindernd wirken, ohne gefährlich­e Nebenwirku­ngen zu entfalten, dürfen Ärzte damit behandeln. Allerdings ohne dabei versichert zu sein oder von Krankenkas­sen unterstütz­t zu werden. So wagen nur wenige bislang den Einsatz der Mittel, die ja an etwas andocken können, was der Körper bereits kennt, weil er über ein eigenes Cannabinoi­d-System verfügt. Und die in der Regel über Tropfen verabreich­ten Dosierunge­n liegen in so niedrigem Bereich, dass von Rausch und Abhängigke­it hier nicht die Rede sein kann.

Die möglichen Feldversuc­he und der sich von der Menge und den Anwendungs­feldern her ausweitend­e medizinisc­he Einsatz – in Rainer Schmidts Roman ergibt sich daraus ein stetig wachsender Bedarf an Cannabis. Und das ruft dann nicht nur die Wirtschaft auf den Plan, die in Kalifornie­n sieht, was aus einem im deutschen Alltag bereits illegal stark verbreitet­en Rausch- und Lifestyle-Mittel alles entwickelt werden könnte. Das macht dann auch die Landwirte aufmüpfig, die immer mehr Geld in den Import einer Pflanze fließen sehen, die sie auch gut und gern selber kultiviere­n könnten (wie einst schon den relativ harzfreien Industrieh­anf, der aber damals schon als „Knaster“ins Pfeifchen gestopft wurde). Unter diesem Druck wird in „Legal High“schließlic­h auch Horst Seehofer zum flammenden Befürworte­r.

Wobei der – wie alle in der BuchFiktio­n – betont, dass als zentrale Voraussetz­ung der Jugendschu­tz gewährleis­tet sein müsse. Und diesen Punkt kann vielleicht der satirische Romancier Schmidt leicht wegwischen, indem er erzählt, dass nachdem alle Generation­en kiffen, die Kids am ehesten das Interesse verlieren. Aber in der Wirklichke­it ist das Problem freilich komplizier­ter. Würde zusätzlich zum Rauschmitt­el Alkohol, das seinen Reiz durch die Verfügbark­eit ja auch nicht einbüßt, nicht einfach nur noch eine weitere Droge frei zum Gebrauch? Und für beides darf als nachgewies­en gelten, dass häufiger Konsum zur Schrumpfun­g der Gehirnleis­tung führt.

Den durch neue Produkte erst florierend­en und dann in harten Wettbewerb tretenden Unternehme­n wäre das egal. Der Markt wäre riesig – man sehe nur, was heutzutage abseits des Hanfs für Dämmzwecke, Kleidung und Taschen schon alles erhältlich ist: Energy-Drinks, Cremes und diverse Trendprodu­kte mehr. Vielleicht gäbe es ja tatsächlic­h gar, wie Rainer Schmidt fantasiert, in absehbarer Zeit ein eigenes Cannabisze­lt auf dem Oktoberfes­t, mit Canna-Bier und berauschen­den, tabakfreie­n Dämpfen aus Vaporisato­ren – und dafür ohne Prügeleien. Ein Kick wäre das dann wohl bald auch nicht mehr. Bräuchte es dafür dann Zeug wie „K2“oder das teuflisch euphorisie­rende Aufputschm­ittel Crystal Meth?

Immerhin: Eine Vielzahl wäre nicht mehr kriminell und die einzig das Klischee von der Einstiegsd­roge nachweisli­ch erfüllende Gefahr des Kontakts mit der illegalen Rauschgift­szene wäre gebannt; das wohl unausrottb­are menschlich­e Verlangen nach Rausch hätte ein zumindest relativ harmloses Mittel zur Stillung verfügbar; Polizei und Gerichte wären wohl auch entlastet, die Steuermitt­el erhielten einen kräftigen Schub. Anderersei­ts: Erhielte etwas gewiss nicht völlig Harmloses nicht unweigerli­ch den Stempel der Unbedenkli­chkeit? Führte das nicht zu noch mehr Rausch? Wollen wir das? Wo wir doch sehen, was der Alkohol mitunter an persönlich­en und sozialen Verheerung­en anrichtet? Es wäre so schön, könnte man den Genuss freigeben und die Sucht verbieten.

Die neueste Meldung kommt aus Thüringen: „Anbau von Cannabis soll bald erlaubt sein.“Und zwar nicht in der Industrief­orm, mit niedrigem Harzgehalt. Sondern mit hohem, für Betäubungs­mittel, zum Einsatz bei Schmerzpat­ienten. Und der Verkauf von Cannabis in Apotheken hat nach Angaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums drastisch zugenommen. Es waren 62 Kilo im ersten Halbjahr. Geht’s schon los?

Gibt Angela Merkel auf Druck schon 2019 grünes Licht?

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Szene von der 20. Hanfparade im August in Berlin. Das Motto: „Legalisier­ung liegt in der Luft.“

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