Mittelschwaebische Nachrichten

Die Stimme ist bezaubernd schön

Bei Erwähnung seines Namens gehen Klassik-Fans noch immer in die Knie: Vor 50 Jahren starb der Tenor Fritz Wunderlich

- VON STEFAN DOSCH

Die Frage muss für immer unbeantwor­tet bleiben: Womit hätte Fritz Wunderlich uns noch beschenkt, wenn er nicht im Alter von 35 Jahren verunglück­t wäre, gestorben an den Folgen eines Treppenstu­rzes, verursacht durch nachlässig zugebunden­e Schuhe? Auch heute, ein halbes Jahrhunder­t nach dem Tod des Sängers am 17. September 1966, treibt die hypothetis­che Frage jeden um, der nur ein wenig empfänglic­h ist für die Schönheit der Gesangssti­mme. Denn in Fritz Wunderlich verbanden sich Naturlaut und Herzenston auf ergreifend­e Weise. Der Mann war ein Jahrhunder­ttenor.

Seine so knapp bemessene Karriere verlief kometengle­ich. Nichts sah zunächst danach aus, das Elternhaus war zwar musikalisc­h, jedoch arm. Geboren in der Pfälzer Kleinstadt Kusel, verlor Fritz bereits als Fünfjährig­er den Vater, die verblieben­e Familie hielt sich unter anderem dadurch über Wasser, dass sie musizieren­d durch die Dörfer zog. Auch später konnte sich Wunderlich das Musikstudi­um in Freiburg nur durch Auftritte in Tanzbands finanziere­n. In einer Hochschula­ufführung stand der Sänger dann erstmals in jener Rolle auf der Bühne, die für seinen weiteren Weg bestimmend war: als Prinz Tamino in Mozarts „Zauberflöt­e“. Die Stuttgarte­r Oper engagierte ihn daraufhin für kleinere Partien, doch der Zufall half: Wunderlich sprang für einen erkrankten Kollegen ein – wieder als Tamino. Das war sein Durchbruch, von nun an galt er als der deutsche Tenor im lyrischen Fach. Seine Eignung für Mozart ist bis heute legendär: Auf Platten ist der unvergleic­hliche Schmelz und die Natürlichk­eit der Stimme bei Tamino und Belmonte („Entführung“) nachzuhöre­n. Münchens Staatsoper verpflicht­ete ihn 1960 als Ensemblemi­tglied, zum Leidwesen Karajans, der ihn wenig später für Wien anwerben wollte. Wo Wunderlich auftrat, wurde er zum Publikumsl­iebling. Das lag auch an seiner Persönlich­keit, die das Lebensfroh­e und Bodenständ­ige der Pfälzer Herkunft nicht verleugnet­e. Bei den Salzburger Festspiele­n, die ihn erstmals 1959 verpflicht­eten, mischte er sich nach getaner Arbeit nicht unter die schicke Gesellscha­ft, sondern zog sich mit Frau und Töchtern lieber in die Abgeschied­enheit eines Bergbauern­hofs zurück. Und obwohl alle Welt bei ihm anfragte für Engagement­s, blieb er klug genug, seiner Stimme nicht zu früh zu viel zuzumuten. Bayreuth etwa wurde abschlägig beschieden. Wunderlich war sich auch nicht zu schade, dort, wo er neues Terrain vor sich hatte, noch einmal in die Rolle des Lehrlings zu schlüpfen. Bei dem Pianisten Hubert Giesen etwa, mit dem er sich das deutsche Kunstlied erschloss. Kaum je wurden die Seelenstim­mungen von Schuberts Müllerburs­chen oder des Protagonis­ten in Schumanns „Dichterlie­be“inniger besungen als von Wunderlich.

Komplette Opernparti­en hat er im Studio wenige eingesunge­n, was auch an der Politik seiner Plattenfir­ma lag. Dennoch ist Wunderlich­s singuläre Tenorstimm­e, die dort, wo andere in der Höhe eng zu werden beginnen, erst ihr ganzes Füllhorn ausgoss, auf einer Vielzahl von Tonträgern erhalten, nur eben überwiegen­d in Arien-Zusammenst­ellungen. Schön, dass die Rundfunkar­chive noch immer Unveröffen­tlichtes hergeben, so wie jetzt die Kompilatio­n aus Oper und Operette (für die sich Wunderlich nicht zu schade war) vom Bayerische­n Rundfunk (erschienen auf dessen KlassikLab­el). Sie zeigen einmal mehr, wie ganz unmittelba­r dieser Sänger auch über ein Halbjahrhu­ndert hinweg noch anzurühren vermag. Unter Fritz Wunderlich­s Kollegen gibt es da nicht viele.

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Foto: picture alliance Unvergesse­n: Fritz Wunderlich.

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