Mittelschwaebische Nachrichten
Die Stimme ist bezaubernd schön
Bei Erwähnung seines Namens gehen Klassik-Fans noch immer in die Knie: Vor 50 Jahren starb der Tenor Fritz Wunderlich
Die Frage muss für immer unbeantwortet bleiben: Womit hätte Fritz Wunderlich uns noch beschenkt, wenn er nicht im Alter von 35 Jahren verunglückt wäre, gestorben an den Folgen eines Treppensturzes, verursacht durch nachlässig zugebundene Schuhe? Auch heute, ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Sängers am 17. September 1966, treibt die hypothetische Frage jeden um, der nur ein wenig empfänglich ist für die Schönheit der Gesangsstimme. Denn in Fritz Wunderlich verbanden sich Naturlaut und Herzenston auf ergreifende Weise. Der Mann war ein Jahrhunderttenor.
Seine so knapp bemessene Karriere verlief kometengleich. Nichts sah zunächst danach aus, das Elternhaus war zwar musikalisch, jedoch arm. Geboren in der Pfälzer Kleinstadt Kusel, verlor Fritz bereits als Fünfjähriger den Vater, die verbliebene Familie hielt sich unter anderem dadurch über Wasser, dass sie musizierend durch die Dörfer zog. Auch später konnte sich Wunderlich das Musikstudium in Freiburg nur durch Auftritte in Tanzbands finanzieren. In einer Hochschulaufführung stand der Sänger dann erstmals in jener Rolle auf der Bühne, die für seinen weiteren Weg bestimmend war: als Prinz Tamino in Mozarts „Zauberflöte“. Die Stuttgarter Oper engagierte ihn daraufhin für kleinere Partien, doch der Zufall half: Wunderlich sprang für einen erkrankten Kollegen ein – wieder als Tamino. Das war sein Durchbruch, von nun an galt er als der deutsche Tenor im lyrischen Fach. Seine Eignung für Mozart ist bis heute legendär: Auf Platten ist der unvergleichliche Schmelz und die Natürlichkeit der Stimme bei Tamino und Belmonte („Entführung“) nachzuhören. Münchens Staatsoper verpflichtete ihn 1960 als Ensemblemitglied, zum Leidwesen Karajans, der ihn wenig später für Wien anwerben wollte. Wo Wunderlich auftrat, wurde er zum Publikumsliebling. Das lag auch an seiner Persönlichkeit, die das Lebensfrohe und Bodenständige der Pfälzer Herkunft nicht verleugnete. Bei den Salzburger Festspielen, die ihn erstmals 1959 verpflichteten, mischte er sich nach getaner Arbeit nicht unter die schicke Gesellschaft, sondern zog sich mit Frau und Töchtern lieber in die Abgeschiedenheit eines Bergbauernhofs zurück. Und obwohl alle Welt bei ihm anfragte für Engagements, blieb er klug genug, seiner Stimme nicht zu früh zu viel zuzumuten. Bayreuth etwa wurde abschlägig beschieden. Wunderlich war sich auch nicht zu schade, dort, wo er neues Terrain vor sich hatte, noch einmal in die Rolle des Lehrlings zu schlüpfen. Bei dem Pianisten Hubert Giesen etwa, mit dem er sich das deutsche Kunstlied erschloss. Kaum je wurden die Seelenstimmungen von Schuberts Müllerburschen oder des Protagonisten in Schumanns „Dichterliebe“inniger besungen als von Wunderlich.
Komplette Opernpartien hat er im Studio wenige eingesungen, was auch an der Politik seiner Plattenfirma lag. Dennoch ist Wunderlichs singuläre Tenorstimme, die dort, wo andere in der Höhe eng zu werden beginnen, erst ihr ganzes Füllhorn ausgoss, auf einer Vielzahl von Tonträgern erhalten, nur eben überwiegend in Arien-Zusammenstellungen. Schön, dass die Rundfunkarchive noch immer Unveröffentlichtes hergeben, so wie jetzt die Kompilation aus Oper und Operette (für die sich Wunderlich nicht zu schade war) vom Bayerischen Rundfunk (erschienen auf dessen KlassikLabel). Sie zeigen einmal mehr, wie ganz unmittelbar dieser Sänger auch über ein Halbjahrhundert hinweg noch anzurühren vermag. Unter Fritz Wunderlichs Kollegen gibt es da nicht viele.