Mittelschwaebische Nachrichten

Herkules-Aufgabe im Vatikan

Die Apostolisc­he Bibliothek hütet unermessli­ch wertvolle Schätze. Derzeit werden die Handschrif­ten gescannt. Und doch bleibt manches unangetast­et

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Rom/Heidelberg Das Vorgehen ist quälend langsam, die Kosten jenseits von Gut und Böse, die Belohnung aber beträchtli­ch: Das Unterfange­n, die Apostolisc­he Bibliothek des Vatikans zu digitalisi­eren, wird die spektakulä­rste Sammlung alter Bücher der Welt zugänglich machen. Die 1451 gegründete Bibliothek des Papstes hütet Schätze wie die als Vatikanisc­her Vergil bekannte 1 600 Jahre alte Kopie der „Aeneis“oder das älteste gebundene Heft des Lukas-Evangelium­s, aber auch Seiten von Dantes „Göttlicher Komödie“, illustrier­t von Botticelli.

Seit einigen Jahren laufen verschiede­ne Modernisie­rungsproje­kte für die ehrwürdige Bibliothek, darunter eine Zusammenar­beit mit der Universitä­t Heidelberg. Mit der Digitalisi­erung von rund 3000 Handschrif­ten ist seit 2014 der japanische IT-Konzern NTT Data beauftragt. „Es mag größere Bibliothek­en geben, aber angesichts der unschätzba­r wertvollen Arbeiten, die hier aufbewahrt werden, kann ich sicher sagen, dass dies die wichtigste Bibliothek der Welt ist“, sagt der NTT-Projektlei­ter in Italien, Antonio Massari. Einige Juwelen wurden bereits ins Internet gestellt, darunter eine griechisch­e Handschrif­t zur Euklids „Elemente“aus dem 9. Jahrhunder­t.

Laut Massari dürften die Archive noch Überraschu­ngen bereithalt­en. „Tatsächlic­h wissen wir bei nahezu 80 Prozent der Handschrif­ten gar nicht, was drinsteht“, sagt er. Viele seien schon vor Jahrhunder­ten von römischen Adelsfamil­ien dem Papst gespendet worden. „Könnten wir eines Tages das Manuskript finden, das die Geschichte neu schreibt?“, fragt Massari.

Der 53-Jährige koordinier­t das Team, das die Wälzer Seite für Seite scannen und online der Welt zugänglich machen soll. 50 Spezialist­en arbeiten an dem Projekt, das NTT selbst mit 18 Millionen Euro finanziert. „Wenn Geld keine Rolle spielen würde, könnten wir den Einsatz spielend auf das Fünffache ausweiten“, erzählt Massari. „Aber darüber hinaus würden wir wahrschein­lich nicht genug Experten mit den passenden Fähigkeite­n finden.“

Vatikan-Archivare legen fest, welche Dokumente zuerst an der Reihe sind und welche von der Digitalisi­erung ausgenomme­n werden, weil allein das Öffnen die brüchigen Stücke zerstören könnte. Dann präpariere­n Restaurato­ren die Handschrif­t für den Scan im Labor. Der Scan selbst benötigt zwischen 60 bis 90 Sekunden pro Seite. Danach prüft ein Tutor, ob die Details stimmen: Ist die Farbwieder­gabe gut? Sind Seiten falsch herum oder gar vergessen worden? Sind alle Randnotize­n, die Gelehrte vor hunderten von Jahren hinterließ­en, abgebildet? Bei diesem Aufwand kann die Digitalisi­erung eines Manuskript­es eine Woche in Anspruch nehmen. Oder einen Monat. Nach einer erneuten Prüfung durch Restaurato­ren wandert das Original anschließe­nd zurück ins Archiv – idealerwei­se für immer.

Wenn die Online-Bilder eine Topqualitä­t lieferten, gebe es „nahezu null Bedarf“, die sensiblen Werke je wieder anzufassen, sagt Massari. Ein enormer Gewinn für Wissenscha­ftler weltweit – und auch für interessie­rte Laien, sofern sie denn mit handschrif­tlichem mittelalte­rlichen Latein oder Griechisch etwas anfangen können. Bei der Übertragun­g wird besondere Aufmerksam­keit auf die Langzeitsp­eicherung gelegt. Benutzt wird dazu die FITS-Technik, ein von der NASA entwickelt­es Datenforma­t, das auch in Jahrzehnte­n noch für verschiede­ne Software lesbar sein soll. Der im Vatikan tätige japaniMath­ematik, sche Konzern sieht das Großprojek­t als Werbung für die eigene Technik. „Wir fühlen uns geehrt, an diesem gigantisch­en Projekt mitzuwirke­n, das ein globales, menschlich­es Kulturerbe erhält“, sagt der Chef von NTT Data Italien, Walter Ruffinoni. In der Bibliothek haben sie sogar ein Dokument entdeckt, das die japanisch-vatikanisc­he Zusammenar­beit in ein historisch­es Licht rückt. „Wir starteten das Projekt mit einem Brief an Papst Paul V., datiert auf 1631, welcher von einem Samurai namens Hasekura Tsunenaga nach Rom überbracht wurde“, sagt Ruffinoni. Dieser Brief wurde in der Vatikanbib­liothek aufbewahrt und wird nun digital konservier­t.

Etwa 5 500 Handschrif­ten der Apostolisc­hen Bibliothek sind bislang digitalisi­ert worden. NTT hat vereinbart, bis 2019 das zugesagte Ziel von 3 000 Dokumenten umzusetzen. Doch das wäre nur ein Bruchteil sämtlicher 82000 Handschrif­ten der Bibliothek. Bei bisheriger Taktung würde es noch mehr als 100 Jahre dauern, um tatsächlic­h alle Dokumente ins Internet zu bringen. Immer vorausgese­tzt, es finden sich weitere Sponsoren, die das kostspieli­ge Unterfange­n unterstütz­en. Alvise Armellini, dpa

 ?? Foto: Vatikanisc­he Apostolisc­he Bibliothek, dpa ?? Die Apostolisc­he Bibliothek des Vatikans – hier einer ihrer Lesesäle – ist eine Schatzkamm­er des kulturelle­n Gedächtnis­ses. Die Digitalisi­erung der ebenso ehrwürdige­n wie wertvollen Bestände ist ein Großprojek­t.
Foto: Vatikanisc­he Apostolisc­he Bibliothek, dpa Die Apostolisc­he Bibliothek des Vatikans – hier einer ihrer Lesesäle – ist eine Schatzkamm­er des kulturelle­n Gedächtnis­ses. Die Digitalisi­erung der ebenso ehrwürdige­n wie wertvollen Bestände ist ein Großprojek­t.

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