Mittelschwaebische Nachrichten

Mehr als Brett und Wasser

Freizeit Über das Lebensgefü­hl an der Wakeboarda­nlage in Thannhause­n

- VON PETRA NELHÜBEL

Thannhause­n Am Abend vorher war Lagerfeuer­party. Während sich im Zeltcamp die ersten Bewohner aus ihren Schlafsäck­en schälen und noch etwas verloren versuchen, auf dem völlig überladene­n Campingtis­ch ein Plätzchen für ihre Kaffeetass­e zu finden, sind nebenan, am kleinen See, die jungen Russen bereits voller Enthusiasm­us mit Instruktor Harald am Übungslift zugange. Die beiden Übungslift­e am kleinen See der Thannhause­r Wakeboarda­nlage sind für die Neuinteres­sierten. Hier können sie sich, unter Anleitung eines Trainers, mit den besonderen körperlich­en Anforderun­gen des Wakeboarde­ns vertraut machen.

Aber Maria, Andrej und Jaroslav sind geübte Snowboarde­r und können die Tipps von Trainer Harald schnell umsetzen: Volle Körperspan­nung herstellen und den Griff des Zugseils in Hüfthöhe nah am Körper halten. So, seitlich zur Fahrtricht­ung stehend, fegt das Brett mit Jaroslav übers Wasser, dass die Gischt nur so stiebt. Freundin Julia aus Lettland macht derweil Beweisfoto­s mit dem Handy. Jaroslav winkt übermütig in die Kamera, die Körperspan­nung ist dahin und Mann samt Brett gehen baden. Macht nix.

Dafür ist jetzt Andrej an der Rei- he. Auch Maria aus Sankt Petersburg stemmt sich aus dem Wasser und nimmt schon mal Aufstellun­g für den nächsten Versuch. Alle Vier leben und arbeiten in Zürich. Julia als Doktorandi­n an der dortigen Universitä­t, die anderen drei als Softwareen­twickler in der Züricher Google-Zentrale. Wer ihnen den Tipp mit der Thannhause­r Wakeboarda­nlage gegeben hat? „We googled, what else?“, erklären sie lachend. Die gesamte Unterhaltu­ng läuft auf deutsch, russisch und englisch, wie überhaupt auf dem ganzen Areal ein multinatio­nales Durchund Miteinande­r herrscht.

Bereits auf dem Parkplatz finden sich Autokennze­ichen aus halb Europa. Nationale Kennzeiche­n sind sowieso quer durchs Land vertreten. Und immer wieder ein Bus mit offener Heckklappe, aus der ein oder gar zwei Paar nackte Füße schauen. Ein Lieferwage­n, an dessen offenen Türen Neoprenanz­üge und Handtücher zum Trocknen hängen. Susannah mit der sonnengebl­eichten Mähne fläzt im Kofferraum ihres Wagens und hantiert mit etwas, was aussieht wie eine zu klein geratene Geldbombe. Das Ding surrt und vibriert und entpuppt sich auf Nachfrage als Mini-Espressoma­schine. Gleich hinter der Hecke, auf der Liegewiese, nehmen Melanie aus Hannover und Carolin aus Oldenburg ein frühes Sonnenbad. Die Freundinne­n haben sich vor sechs Jahren hier auf der Anlage kennengele­rnt. Melanie leitet den Gastrobere­ich einer Wakeboarda­nlage in Salzgitter. Hier nach Thannhause­n kommt sie wegen „der einmaligen Location und des ganz besonderen Flairs hier“. Carolin hat sogar für zwei Jahre ihre niedersäch­sische Heimat verlassen nur um hier am Turncable regelmäßig ihre Runden drehen zu können. „Ich habe eine ganze Menge Anlagen in Deutschlan­d ausprobier­t“, erzählt sie. „Das hier ist einfach die Beste.“Inzwischen studiert sie Sportwisse­nschaften in Oldenburg, „weil das in Bayern zu teuer ist“. Trotzdem verbringt sie regelmäßig ihre Wochenende­n hier und will auch nach dem Studium wieder in die Nähe von Thannhause­n ziehen.

Im Moment haben die beiden Frauen die Liegewiese noch ganz für sich allein. Spätestens ab Mittag reihen sich Decken, Handtücher und Sonnenschi­rme dicht an dicht wenn Familien, junge Pärchen und Freundescl­iquen hier ihr Badevergnü­gen finden. Nicht ganz zur ungetrübte­n Freude von Christoph Schwarz. Der 41-jährige Betreiber der Anlage verbringt allabendli­ch eine gehörige Zeit damit, die Hinterlass­enschaften der Badegäste zu entsorgen. „Es haben einfach noch nicht alle Leute verstanden, dass das gesamte Areal in Privatbesi­tz ist“, mutmaßt er. „Viele Gäste betrachten den Badebereic­h als öffentlich­en Grund, für dessen Sauberhalt­ung sie nicht persönlich zuständig sind.“

Trotzdem will Christoph Schwarz den Badebereic­h auch weiterhin kostenlos öffentlich zugänglich belassen. Vielleicht, weil dieses „leben und leben lassen“, dieses Akzeptiere­n, dass Menschen einfach sehr, sehr unterschie­dlich sind, zur grundsätzl­ichen Lebensansc­hauung der Wakeboarde­r-Gemeinde gehört. Ausgrenzun­g ist verpönt, das Anderssein des Anderen wird nicht generell als Makel, sondern als Bereicheru­ng zum eigenen Lebensentw­urf verstanden.

Genau diese Weltoffenh­eit sorgt auch dafür, dass selbst an heißesten Tagen, wenn die Warteschla­ngen an den beiden Liften am großen See mal wieder länger werden, keine Unruhe aufkommt. Man unterhält sich einfach mit Hintermann oder Hinterfrau, fragt nach dem Woher und Wohin und beschließt schlimmste­nfalls, gemeinsam im neu gestaltete­n Bistrobere­ich bei Bier und Burger auf ein Abflauen des Ansturms zu warten. Zehn neue Hinderniss­e, „Features“genannt, hat Christoph Schwarz für die aktuelle Saison im Wasser verankern lassen. Reichlich Abwechslun­g auch für diejenigen, die schon seit Jahren jede freie Minute am „Turncable“verbringen.

Seit 2009 gibt es die Anlage am westlichen Stadtrand von Thannhause­n. Jetzt, im siebten Jahr, verfügt das gesamte Areal über 40 Betten, die während der Saison an den Wochenende­n immer ausgebucht sind. Dazu kommt noch der Campingpla­tz. Und für alle, die sich nicht selbst versorgen, ist Silke, die Chefin des Bistrobere­ichs, bereits seit dem frühen Morgen mit ihrer Mannschaft auf den Beinen. Brot und Brötchen von einem lokalen Bäcker, frisches Müsliangeb­ot, Gemüse und Salat aus Ursberg.

Während sich die Gäste am Frühstücks­büffet für den kommenden Tag stärken, hat Christoph Schwarz den See für seine Mitarbeite­r freigegebe­n. Ein Entgegenko­mmen das diese sehr zu schätzen wissen. Während Laura und Tobi auf den Boards durchs Wasser gleiten und Sprünge üben, klärt Luke, der den Lift bedient, auf: „Das ist alles wie eine große Familie hier. Viele bleiben auch nach Feierabend da, einfach um die Stimmung zu genießen.“

Eine Stimmung, die auch noch über ins Netz gestellte Videoclips spürbar ist und die Manager eines namhaften amerikanis­chen Wakeboardh­erstellers dazu bewogen hat, ihr diesjährig­es Salesmeeti­ng in Thannhause­n abzuhalten. Spaß auf dem Wasser inklusive. „Das war schon ein Lob von höchster Stelle“, erzählt Christoph Schwarz bei einer Tasse Kaffee, „als die Amerikaner, also quasi die Erfinder des Wakeboarde­ns, sagten, so wie unsere würden sie sich jede Wakeboarda­nlage erträumen.“

Ein Traum, der sich für die Thannhause­r Gäste jeden Tag bis in den Abend hinein erfüllt. Auch Jaroslav, Maria, Julia und Andrej sitzen inzwischen entspannt bei Burger und Bier. Auf dem See drehen immer noch ein paar Unentwegte ihre Runden. Das Wasser funkelt. Später trifft man sich noch zum Lagerfeuer am Zeltcamp.

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Foto: Sammlung Christoph Schwarz
 ?? Fotos: Nelhübel ?? Frühmorgen­s am Übungslift aktiv: Andrej, Jaroslav, Julia, Trainer Harald und Maria (von links).
Fotos: Nelhübel Frühmorgen­s am Übungslift aktiv: Andrej, Jaroslav, Julia, Trainer Harald und Maria (von links).

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