Mittelschwaebische Nachrichten
Mehr als Brett und Wasser
Freizeit Über das Lebensgefühl an der Wakeboardanlage in Thannhausen
Thannhausen Am Abend vorher war Lagerfeuerparty. Während sich im Zeltcamp die ersten Bewohner aus ihren Schlafsäcken schälen und noch etwas verloren versuchen, auf dem völlig überladenen Campingtisch ein Plätzchen für ihre Kaffeetasse zu finden, sind nebenan, am kleinen See, die jungen Russen bereits voller Enthusiasmus mit Instruktor Harald am Übungslift zugange. Die beiden Übungslifte am kleinen See der Thannhauser Wakeboardanlage sind für die Neuinteressierten. Hier können sie sich, unter Anleitung eines Trainers, mit den besonderen körperlichen Anforderungen des Wakeboardens vertraut machen.
Aber Maria, Andrej und Jaroslav sind geübte Snowboarder und können die Tipps von Trainer Harald schnell umsetzen: Volle Körperspannung herstellen und den Griff des Zugseils in Hüfthöhe nah am Körper halten. So, seitlich zur Fahrtrichtung stehend, fegt das Brett mit Jaroslav übers Wasser, dass die Gischt nur so stiebt. Freundin Julia aus Lettland macht derweil Beweisfotos mit dem Handy. Jaroslav winkt übermütig in die Kamera, die Körperspannung ist dahin und Mann samt Brett gehen baden. Macht nix.
Dafür ist jetzt Andrej an der Rei- he. Auch Maria aus Sankt Petersburg stemmt sich aus dem Wasser und nimmt schon mal Aufstellung für den nächsten Versuch. Alle Vier leben und arbeiten in Zürich. Julia als Doktorandin an der dortigen Universität, die anderen drei als Softwareentwickler in der Züricher Google-Zentrale. Wer ihnen den Tipp mit der Thannhauser Wakeboardanlage gegeben hat? „We googled, what else?“, erklären sie lachend. Die gesamte Unterhaltung läuft auf deutsch, russisch und englisch, wie überhaupt auf dem ganzen Areal ein multinationales Durchund Miteinander herrscht.
Bereits auf dem Parkplatz finden sich Autokennzeichen aus halb Europa. Nationale Kennzeichen sind sowieso quer durchs Land vertreten. Und immer wieder ein Bus mit offener Heckklappe, aus der ein oder gar zwei Paar nackte Füße schauen. Ein Lieferwagen, an dessen offenen Türen Neoprenanzüge und Handtücher zum Trocknen hängen. Susannah mit der sonnengebleichten Mähne fläzt im Kofferraum ihres Wagens und hantiert mit etwas, was aussieht wie eine zu klein geratene Geldbombe. Das Ding surrt und vibriert und entpuppt sich auf Nachfrage als Mini-Espressomaschine. Gleich hinter der Hecke, auf der Liegewiese, nehmen Melanie aus Hannover und Carolin aus Oldenburg ein frühes Sonnenbad. Die Freundinnen haben sich vor sechs Jahren hier auf der Anlage kennengelernt. Melanie leitet den Gastrobereich einer Wakeboardanlage in Salzgitter. Hier nach Thannhausen kommt sie wegen „der einmaligen Location und des ganz besonderen Flairs hier“. Carolin hat sogar für zwei Jahre ihre niedersächsische Heimat verlassen nur um hier am Turncable regelmäßig ihre Runden drehen zu können. „Ich habe eine ganze Menge Anlagen in Deutschland ausprobiert“, erzählt sie. „Das hier ist einfach die Beste.“Inzwischen studiert sie Sportwissenschaften in Oldenburg, „weil das in Bayern zu teuer ist“. Trotzdem verbringt sie regelmäßig ihre Wochenenden hier und will auch nach dem Studium wieder in die Nähe von Thannhausen ziehen.
Im Moment haben die beiden Frauen die Liegewiese noch ganz für sich allein. Spätestens ab Mittag reihen sich Decken, Handtücher und Sonnenschirme dicht an dicht wenn Familien, junge Pärchen und Freundescliquen hier ihr Badevergnügen finden. Nicht ganz zur ungetrübten Freude von Christoph Schwarz. Der 41-jährige Betreiber der Anlage verbringt allabendlich eine gehörige Zeit damit, die Hinterlassenschaften der Badegäste zu entsorgen. „Es haben einfach noch nicht alle Leute verstanden, dass das gesamte Areal in Privatbesitz ist“, mutmaßt er. „Viele Gäste betrachten den Badebereich als öffentlichen Grund, für dessen Sauberhaltung sie nicht persönlich zuständig sind.“
Trotzdem will Christoph Schwarz den Badebereich auch weiterhin kostenlos öffentlich zugänglich belassen. Vielleicht, weil dieses „leben und leben lassen“, dieses Akzeptieren, dass Menschen einfach sehr, sehr unterschiedlich sind, zur grundsätzlichen Lebensanschauung der Wakeboarder-Gemeinde gehört. Ausgrenzung ist verpönt, das Anderssein des Anderen wird nicht generell als Makel, sondern als Bereicherung zum eigenen Lebensentwurf verstanden.
Genau diese Weltoffenheit sorgt auch dafür, dass selbst an heißesten Tagen, wenn die Warteschlangen an den beiden Liften am großen See mal wieder länger werden, keine Unruhe aufkommt. Man unterhält sich einfach mit Hintermann oder Hinterfrau, fragt nach dem Woher und Wohin und beschließt schlimmstenfalls, gemeinsam im neu gestalteten Bistrobereich bei Bier und Burger auf ein Abflauen des Ansturms zu warten. Zehn neue Hindernisse, „Features“genannt, hat Christoph Schwarz für die aktuelle Saison im Wasser verankern lassen. Reichlich Abwechslung auch für diejenigen, die schon seit Jahren jede freie Minute am „Turncable“verbringen.
Seit 2009 gibt es die Anlage am westlichen Stadtrand von Thannhausen. Jetzt, im siebten Jahr, verfügt das gesamte Areal über 40 Betten, die während der Saison an den Wochenenden immer ausgebucht sind. Dazu kommt noch der Campingplatz. Und für alle, die sich nicht selbst versorgen, ist Silke, die Chefin des Bistrobereichs, bereits seit dem frühen Morgen mit ihrer Mannschaft auf den Beinen. Brot und Brötchen von einem lokalen Bäcker, frisches Müsliangebot, Gemüse und Salat aus Ursberg.
Während sich die Gäste am Frühstücksbüffet für den kommenden Tag stärken, hat Christoph Schwarz den See für seine Mitarbeiter freigegeben. Ein Entgegenkommen das diese sehr zu schätzen wissen. Während Laura und Tobi auf den Boards durchs Wasser gleiten und Sprünge üben, klärt Luke, der den Lift bedient, auf: „Das ist alles wie eine große Familie hier. Viele bleiben auch nach Feierabend da, einfach um die Stimmung zu genießen.“
Eine Stimmung, die auch noch über ins Netz gestellte Videoclips spürbar ist und die Manager eines namhaften amerikanischen Wakeboardherstellers dazu bewogen hat, ihr diesjähriges Salesmeeting in Thannhausen abzuhalten. Spaß auf dem Wasser inklusive. „Das war schon ein Lob von höchster Stelle“, erzählt Christoph Schwarz bei einer Tasse Kaffee, „als die Amerikaner, also quasi die Erfinder des Wakeboardens, sagten, so wie unsere würden sie sich jede Wakeboardanlage erträumen.“
Ein Traum, der sich für die Thannhauser Gäste jeden Tag bis in den Abend hinein erfüllt. Auch Jaroslav, Maria, Julia und Andrej sitzen inzwischen entspannt bei Burger und Bier. Auf dem See drehen immer noch ein paar Unentwegte ihre Runden. Das Wasser funkelt. Später trifft man sich noch zum Lagerfeuer am Zeltcamp.