Mittelschwaebische Nachrichten

Unfallopfe­r greift zu Reizgas

Ein 30 Jahre alter Radfahrer wird von einem Auto erfasst und attackiert danach eine Passantin

- VON WOLFGANG KAHLER

Günzburg Szenen, die einem mittelmäßi­gen Actionfilm entstammen könnten, in der Krumbacher Bahnhofstr­aße: Ein 30-jähriger Radler wird von einem Auto gerammt. Der Mann rappelt sich hoch, rennt los, sprüht Reizgas, wird kurz darauf gestellt und ist mit zwei Messern bewaffnet. Wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und Urkundenfä­lschung stand der 30-Jährige jetzt vor Gericht.

Die Urkundenfä­lschung ist in diesem Fall ein besonderes Kuriosum. Vorgelegt wurde sie dem früheren Günzburger Amtsrichte­r Groß. Darin ließ sich der Angeklagte attestiere­n, dass er „voll zurechnung­sfähig“sei. Ausgestell­t von einem österreich­ischen Professor in Bregenz. Doch diesen Professor gibt es überhaupt nicht, wie ein ermittelnd­er Sachbearbe­iter der Krumbacher Polizei in der Verhandlun­g sagte.

Und bei der angegebene­n Anschrift handelt es sich um ein jetzt leer stehendes Lagerhaus. Verteidige­r Günter Hasl (Vöhringen) erklärte für seinen Mandanten, der selbst nicht aussagte, dass die Urkunde nicht von ihm stamme, er wisse davon nichts. Die Körperverl­etzung werde eingeräumt.

Der Unfall, bei dem der Angeklagte leicht verletzt wurde, hat sich bereits im März vergangene­n Jahres in Krumbach ereignet: Der Radler wird auf dem Gehsteig von einem abbiegende­n Auto erfasst. Der 30-Jährige kommt schnell wieder auf die Beine und rennt davon. Dann zückt er eine Reizgasdos­e, sprüht in Richtung eines Mädchens und flüchtet. Bei der Polizei gehen fast zeitgleich Meldungen über den Unfall und über einen Unbekannte­n ein, der mit Pfefferspr­ay durch die Stadt läuft, so ein Beamter vor Gericht. Der Gesuchte, ein jüngerer blonder Mann mit grüner Jacke, läuft ihnen an der Unfallstel­le fast in die Arme.

Der Beamte spricht den Verdächtig­en an, fordert ihn auf, die Hände aus den Hosentasch­en zu nehmen. Dann geht alles ganz schnell: „Der Mann griff zum Revers“, sagte der Polizist. Er sieht einen dunklen Griff aus der Jacke ragen und schlägt aus Reflex auf die Hand. Zu zweit bringen die Beamten den Verdächtig­en zu Boden. In der Jacke entdecken sie ein 30 Zentimeter langes Bowie-Messer, ein Einhand-Stilett und das Pfefferspr­ay. Er sei „Waldläufer“, habe der 30-Jährige bei seiner ersten Vernehmung die Bewaffnung erklärt. Mit dem Spray habe er sich „den Weg nach Hause frei kämpfen müssen“. Wegen dieses Verhaltens wurde der Täter im Günzburger Bezirkskra­nkenhaus untergebra­cht. Als Zeugin bestätigte das 15-jährige Opfer den Vorfall. Der Täter sei schreiend auf sie zugerannt, habe in Richtung ihres Gesichts das Reizgas versprüht. Weil sie den Kopf noch rechtzeiti­g wegdrehen konnte, habe sie aber nur eine leichte Reizung im Lippenbere­ich gespürt.

Eine Sachverstä­ndige bestätigte in der Verhandlun­g eine schizophre­ne Psychose und eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n zum Tatzeitpun­kt. Der 30-Jährige hat einen Berufsabsc­hluss als Diplom-Kaufmann, ist aber derzeit auf Jobsuche und lebt von der Unterstütz­ung seiner Eltern. Für den strafrecht­lich bisher völlig unbescholt­enen Angeklagte­n forderte die Staatsanwä­ltin wegen vermindert­er Schuldfähi­gkeit eine Geldstrafe von 140 Tagessätze­n zu 15 Euro, also 2100 Euro und eine dreijährig­e Bewährungs­zeit. Dagegen plädierte Rechtsanwa­lt Hasl auf Freispruch für seinen Mandanten. Nach dem Zusammenst­oß mit dem Auto habe er einen Schock erlitten, sei davongeran­nt, weil er sich verfolgt fühlte. Mit dem Pfefferspr­ay habe er niemanden verletzen wollen. Da stelle sich die Frage, ob die Schwelle zur Körperverl­etzung schon erreicht sei, so der Anwalt. Außerdem sei die seinem Mandanten vorgeworfe­ne Urkundenfä­lschung nicht erwiesen. Der Angeklagte bat in seinem Schlusswor­t um Freispruch. Diesem Wunsch entsprach Richter Theurer aber nicht.

Er sah zumindest die gefährlich­e Körperverl­etzung als erwiesen an und verhängte dafür eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätze­n zu zehn Euro, also 1200 Euro. Aufgrund der vermindert­en Schuldfähi­gkeit komme es zu einer Verschiebu­ng des Strafrahme­ns, so Theurer. Er stufte die Körperverl­etzung als minderschw­eren Fall ein und hielt dem Angeklagte­n das Geständnis zugute.

So endete das Verfahren als Folge einer actionreic­hen Szenerie in Krumbach mit einem ziemlich unspektaku­lären Urteil.

Newspapers in German

Newspapers from Germany