Mittelschwaebische Nachrichten
Ganz schön gefährdet
Wir Menschen könnten ohne Insekten nicht überleben. Doch sie werden immer weniger
Der Gescheckte Nagekäfer hat ein Imageproblem. Gut, er ist keine Schönheit, man kann ihn weder streicheln noch hat er große Kulleraugen oder sieht es besonders putzig aus, wenn er sich fortbewegt. Der Gescheckte Nagekäfer ist ungefähr einen halben Zentimeter groß, fast blind und hat einen graubraunen Panzer. Er bringt fast sein ganzes Leben – immerhin rund zehn Jahre – damit zu, sich als Larve durch alte Holzbalken zu fressen. Schon manch historischer Dachstuhl fiel ihm zum Opfer. Kurz: Anders als beim Großen Panda etwa lassen sich wohl nur wenige Menschen finden, die sein Aussterben stark bedauern würden.
Dave Goulson ist einer von ihnen. Der britische Insektenforscher hat der Erforschung des merkwürdigen Paarungsverhaltens des Gescheckten Nagekäfers Monate seines Lebens gewidmet. Und er hat noch einige andere Interessen, die dazu führen, dass ihn die Nachbarn rund um sein altes – käferbefallenes – Sommerhaus in der französischen Charente bestenfalls für einen etwas merkwürdigen Zeitgenossen halten. Doch zu Goulsons Talenten gehört auch das Schreiben lebenssatter und kluger Sachbücher über Insekten. „Wenn der Nagelkäfer zweimal klopft“ist sein jüngstes Werk. Wenn man es gelesen hat, ist es eher das Verhalten der übrigen Menschen, das einem seltsam erscheint.
Vor 13 Jahren hat der Forscher ein halb verfallenes Bauernhaus gut 60 Kilometer nordwestlich von Limoges gekauft. Seitdem ist er nicht nur damit beschäftigt, das Haus wieder in einen bewohnbaren Zustand zu bringen. Auch das riesige Grundstück verwandelt er, trotz einiger Rückschläge, in eine Mischung aus Freiluft-Labor und Biotop. Penibel registriert Goulson jede Pflanze, jedes Tier, das sich neu auf dem Grundstück ansiedelt. Wie bei einem Spaziergang über diese Sommerwiese nimmt er den Leser an die Hand und spinnt plaudernd das ganz große Netz, das all diese Lebewesen zusammenhält: Die Wiese, so wie wir sie sehen, ist das Ergebnis von Myriaden unsichtbarer Beziehungen zwischen Insekten, Pflanzen, Pilzen, Bakterien, Vögeln und Säugetieren. Über all dem steht natürlich der Einfluss des Menschen – der außerhalb von Goulsons Grundstück alles andere übersteigt.
Für den Forscher, der sein Leben den Insekten verschrieben hat, ist es daher besonders dramatisch zu beobachten, wenn die Insekten immer weniger werden. In chinesischen Apfelplantagen etwa müssen Arbeiter jedes Frühjahr auf die Bäume steigen und jede einzelne Blüte mit einem Pinsel von Hand bestäuben – durch den ungehemmten Einsatz von Insektiziden sind einfach keine Bienen mehr da, um den Job zu erledigen. Europa und Amerika sind von diesen Zuständen noch weit entfernt. Aber die Zahl der Insekten schrumpft ganz offensichtlich auch hier, gleichwohl der Beweis schwierig zu erbringen ist.
Immer mehr Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die seit Mitte der 90er Jahre in der Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmittel aus der Klasse der Neonikotinoide – hochwirksame Gifte, die das Nervensystem von Insekten stören – großen Einfluss darauf haben.
Saatgut wird schon vor der Aussaat mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. Dieses sogenannte gebeizte Saatgut galt lange als besonders umweltschonend, da die dabei verwendeten Stoffe direkt von der wachsenden Pflanze aufgenommen werden und der Bauer später weniger nachspritzen muss. Lange Zeit wurden bei der Beizung auch Neonikotinoide verwendet. Im Jahr 2013 hat die EU dies weitgehend verboten. Denn auch nützliche Tiere nehmen das Gift auf, Bienen etwa, die auf so behandelten Rapsfeldern nach Pollen suchen. Aber: Das Verbot ist nur befristet und die Industrie klagt dagegen. Und: Die Alternativen sind nicht besser für die Umwelt, die industrialisierte Landwirtschaft funktioniert nur mit viel Chemie. Wie es weitergeht, ist noch offen.
Immerhin wird an Lösungen gearbeitet. Der Berliner Neurobiologe Randolf Menzel hat nachgewiesen, dass Bienen nach kleinsten Dosen der Insektizide die Orientierung ihr Gedächtnis verlieren. Finden Bienen aber reihenweise nicht in ihren Stock zurück, ist das Volk dem Untergang geweiht. Forscher des britischen Zentrums für Ökologie und Hydrologie konnten nachweisen, dass auch Wildbienenpopulationen, die sich vorzugsweise von behandeltem Raps ernähren, drei Mal so schnell schrumpften wie jene von Arten, die nicht behandelte Pflanzen bevorzugen. Ähnliche Befunde gibt es für Schmetterlinge. Das Netz, das Goulson so eindrücklich beschreibt, es droht ziemlich auszufransen – und irgendwann zu reißen.