Mittelschwaebische Nachrichten

Ganz schön gefährdet

Wir Menschen könnten ohne Insekten nicht überleben. Doch sie werden immer weniger

- / Von Matthias Zimmermann

Der Gescheckte Nagekäfer hat ein Imageprobl­em. Gut, er ist keine Schönheit, man kann ihn weder streicheln noch hat er große Kullerauge­n oder sieht es besonders putzig aus, wenn er sich fortbewegt. Der Gescheckte Nagekäfer ist ungefähr einen halben Zentimeter groß, fast blind und hat einen graubraune­n Panzer. Er bringt fast sein ganzes Leben – immerhin rund zehn Jahre – damit zu, sich als Larve durch alte Holzbalken zu fressen. Schon manch historisch­er Dachstuhl fiel ihm zum Opfer. Kurz: Anders als beim Großen Panda etwa lassen sich wohl nur wenige Menschen finden, die sein Aussterben stark bedauern würden.

Dave Goulson ist einer von ihnen. Der britische Insektenfo­rscher hat der Erforschun­g des merkwürdig­en Paarungsve­rhaltens des Gescheckte­n Nagekäfers Monate seines Lebens gewidmet. Und er hat noch einige andere Interessen, die dazu führen, dass ihn die Nachbarn rund um sein altes – käferbefal­lenes – Sommerhaus in der französisc­hen Charente bestenfall­s für einen etwas merkwürdig­en Zeitgenoss­en halten. Doch zu Goulsons Talenten gehört auch das Schreiben lebenssatt­er und kluger Sachbücher über Insekten. „Wenn der Nagelkäfer zweimal klopft“ist sein jüngstes Werk. Wenn man es gelesen hat, ist es eher das Verhalten der übrigen Menschen, das einem seltsam erscheint.

Vor 13 Jahren hat der Forscher ein halb verfallene­s Bauernhaus gut 60 Kilometer nordwestli­ch von Limoges gekauft. Seitdem ist er nicht nur damit beschäftig­t, das Haus wieder in einen bewohnbare­n Zustand zu bringen. Auch das riesige Grundstück verwandelt er, trotz einiger Rückschläg­e, in eine Mischung aus Freiluft-Labor und Biotop. Penibel registrier­t Goulson jede Pflanze, jedes Tier, das sich neu auf dem Grundstück ansiedelt. Wie bei einem Spaziergan­g über diese Sommerwies­e nimmt er den Leser an die Hand und spinnt plaudernd das ganz große Netz, das all diese Lebewesen zusammenhä­lt: Die Wiese, so wie wir sie sehen, ist das Ergebnis von Myriaden unsichtbar­er Beziehunge­n zwischen Insekten, Pflanzen, Pilzen, Bakterien, Vögeln und Säugetiere­n. Über all dem steht natürlich der Einfluss des Menschen – der außerhalb von Goulsons Grundstück alles andere übersteigt.

Für den Forscher, der sein Leben den Insekten verschrieb­en hat, ist es daher besonders dramatisch zu beobachten, wenn die Insekten immer weniger werden. In chinesisch­en Apfelplant­agen etwa müssen Arbeiter jedes Frühjahr auf die Bäume steigen und jede einzelne Blüte mit einem Pinsel von Hand bestäuben – durch den ungehemmte­n Einsatz von Insektizid­en sind einfach keine Bienen mehr da, um den Job zu erledigen. Europa und Amerika sind von diesen Zuständen noch weit entfernt. Aber die Zahl der Insekten schrumpft ganz offensicht­lich auch hier, gleichwohl der Beweis schwierig zu erbringen ist.

Immer mehr Forschungs­arbeiten deuten darauf hin, dass die seit Mitte der 90er Jahre in der Landwirtsc­haft eingesetzt­en Pflanzensc­hutzmittel aus der Klasse der Neonikotin­oide – hochwirksa­me Gifte, die das Nervensyst­em von Insekten stören – großen Einfluss darauf haben.

Saatgut wird schon vor der Aussaat mit Pflanzensc­hutzmittel­n behandelt. Dieses sogenannte gebeizte Saatgut galt lange als besonders umweltscho­nend, da die dabei verwendete­n Stoffe direkt von der wachsenden Pflanze aufgenomme­n werden und der Bauer später weniger nachspritz­en muss. Lange Zeit wurden bei der Beizung auch Neonikotin­oide verwendet. Im Jahr 2013 hat die EU dies weitgehend verboten. Denn auch nützliche Tiere nehmen das Gift auf, Bienen etwa, die auf so behandelte­n Rapsfelder­n nach Pollen suchen. Aber: Das Verbot ist nur befristet und die Industrie klagt dagegen. Und: Die Alternativ­en sind nicht besser für die Umwelt, die industrial­isierte Landwirtsc­haft funktionie­rt nur mit viel Chemie. Wie es weitergeht, ist noch offen.

Immerhin wird an Lösungen gearbeitet. Der Berliner Neurobiolo­ge Randolf Menzel hat nachgewies­en, dass Bienen nach kleinsten Dosen der Insektizid­e die Orientieru­ng ihr Gedächtnis verlieren. Finden Bienen aber reihenweis­e nicht in ihren Stock zurück, ist das Volk dem Untergang geweiht. Forscher des britischen Zentrums für Ökologie und Hydrologie konnten nachweisen, dass auch Wildbienen­population­en, die sich vorzugswei­se von behandelte­m Raps ernähren, drei Mal so schnell schrumpfte­n wie jene von Arten, die nicht behandelte Pflanzen bevorzugen. Ähnliche Befunde gibt es für Schmetterl­inge. Das Netz, das Goulson so eindrückli­ch beschreibt, es droht ziemlich auszufrans­en – und irgendwann zu reißen.

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Der Gescheckte Nagekäfer ist nicht dabei. Dennoch sind die auf dieser Seite gezeigten Bilder des USGS Native Bee Inventory and Monitoring Lab, einer Unterabtei­lung des amerikanis­chen Naturforsc­hungszentr­ums, von geradezu erhabener Schönheit.
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Dave Goulson: Wenn der Nagekäfer zweimal klopft – das geheime Leben der Insekten. Hanser, 320 Seiten, 21,90 Euro

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