Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn ein Verlierer gewinnt
Noch nie hat ein Sieger so schlecht abgeschnitten wie die SPD in Berlin. Nur weil er der Stärkste unter lauter Schwachen ist, kann Michael Müller weiterregieren
Berlin So sehen Sieger aus. Auch wenn der Sieg alles andere als glanzvoll ausgefallen und nur äußerst mühsam zustande gekommen ist. Doch am Ende zählt nur das Ergebnis. Die Anspannung der letzten Tage und Wochen, die ihm ins Gesicht geschrieben war, hat sich gelöst, der Druck, der auf ihm lastete, ist weg. Michael Müller, 51 Jahre alt, gelernter Drucker und seit dem 11. Dezember 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin, strahlt übers ganze Gesicht und lässt sich feiern wie ein Pop-Star. Er hat es geschafft, ist endgültig aus dem Schatten seines übermächtigen Vorgängers Klaus Wowereit getreten, hat die SPD erneut zur stärksten Partei in der Hauptstadt gemacht und wird auch in den nächsten fünf Jahren im Roten Rathaus regieren – die Operation Titelverteidigung ist geglückt.
In der Columbiahalle am früheren Flughafen Tempelhof, die einst den in Westberlin stationierten Angehörigen der US-Armee als Turnhalle diente, ist die gesamte SPD-Prominenz aufmarschiert, um den Berliner Partei- wie Regierungschef zu beglückwünschen. Da spielt es auch keine Rolle, dass Müller im Ver- zur letzten Wahl deutlich verloren hat und die SPD, die im Jahre 1963 unter Willy Brandt auf 61,9 Prozent gekommen war, mit weniger als 22 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1950 erzielte. Noch nie hat ein Wahlsieger in Deutschland so schlecht abgeschnitten.
Doch Michael Müller kann weiterregieren, weil er der Stärkste unter lauter Schwachen ist. Das freut vor allem seinen Parteichef Sigmar Gabriel, der nach den siegreichen Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen und nun in Berlin gestärkt zum SPD-Parteikonvent am heutigen Montag nach Wolfsburg fährt. Für ihn ist nur eines wichtig – die SPD kann Wahlen gewinnen. Und sie hat die Option, jenseits der Großen Koalition Bündnisse zu schmieden. In RheinlandPfalz mit Grünen und FDP, in Berlin nun möglicherweise mit den Grünen und der Linken. Allerdings redet Gabriel die Stimmenverluste nicht schön. Man bräche „nicht in Jubel aus bei dem Ergebnis“, sagt er, die SPD werde nun verlorenes Vertrauen zurückerobern müssen.
Ist Rot-Rot-Grün in Berlin die Blaupause für den Bund nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr? So weit will an diesem kühlen Herbstabend in Berlin (noch) nie- mand gehen. „Das ist kein Modell für den Bund, sondern ein Modell für Berlin“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir, dessen Partei sich mit der Linken um Platz drei stritt. „Der Wählerauftrag ist klar, wir stehen bereit, wir wollen anpacken für Berlin“, gibt er als Devise aus. Sollte es so kommen, wären die Grünen an elf der 16 Landesregierungen beteiligt – in unterschiedlichsten Kombinationen. Ähnlich argumentiert auch Fraktionschefin Katrin GöringEckardt. Rot-Rot-Grün sei zunächst einmal nur ein „Signal für einen Neuanfang in Berlin“, mehr nicht. Dagegen denkt die Chefin der Linkspartei, Katja Kipping, schon einen Schritt weiter. Dass es der Linken als einziger im Bundestag vertretener Partei gelungen sei, zuzulegen, mache „Mut für den Bund für eine linke Mehrheit in diesem Land“.
Genau dies wollte die Berliner CDU verhindern und warnte im Endspurt vor rot-rot-grünen Experimenten in der Hauptstadt. Doch mit dieser Botschaft drang sie nicht durch und stürzte unter die 20-Progleich zent-Marke. Das ist auch für die CDU ein historisches Tief. Wenigstens konnte sie sich mit knappem Vorsprung auf dem zweiten Platz behaupten. Generalsekretär Peter Tauber verweist einerseits auf die spezifischen Berliner Probleme und die Unbeliebtheit der Großen Koalition, räumt aber andererseits auch eine erhebliche Mitschuld der Bundespartei an dem Debakel ein. Die Bundespolitik einschließlich der Flüchtlingspolitik sei „kein Rückenwind“für die Parteifreunde in Berlin gewesen. Und auch der seit Wochen anhaltende Streit zwischen CDU und CSU habe wohl die eigenen Wähler abgeschreckt. „Manche Wortmeldung aus München ist nicht immer hilfreich gewesen“, klagt er und schiebt damit den Schwarzen Peter CSU-Chef Horst Seehofer zu.
Ein geradezu sensationelles Comeback feiert die FDP, die in der Hauptstadt von 1,8 Prozent vor fünf Jahren auf mehr als sechs Prozent kommt – Rückenwind für Parteichef Christian Lindner, der die Liberalen im nächsten Jahr zurück in den Bundestag führen will. „Weit über diese Stadt hinaus ist das ein Signal“, sagt Lindner, mahnt aber gleichzeitig vor Übermut. Man bleibe „bescheiden bei der Arbeit.“
Ist Rot-Rot-Grün ein Modell für den Bund?