Mittelschwaebische Nachrichten

US-Luftwaffe tötet „aus Versehen“60 Menschen

Ein Angriff auf Assads Truppen bringt Präsident Obama in Not. Die Waffenruhe wackelt schon wieder

- Foto: dpa

New York Als die amerikanis­che UN-Botschafte­rin Samantha Power am Samstagabe­nd vor die Presse tritt, hat ihr russischer Kollege Witali Tschurkin seinem Unmut im Saal nebenan bereits Luft gemacht. Er will im Sicherheit­srat seinen Frust darüber loswerden, dass ein von der US-Koalition geführter Luftangrif­f in Syrien Truppen von Machthaber Baschar al-Assad getroffen habe. Bilanz: Mindestens 60 Tote und 100 Verletzte. Die kurzfristi­g einberufen­e Sitzung im höchsten UN-Gremium soll Klarheit schaffen.

Für die Amerikaner­in Power ist die Sache längst klar. Die eilige Sitzung am Abend sei „Effekthasc­herei“, ein „Taschenspi­elertrick“der Russen, um den offenkundi­g schweren militärisc­hen Patzer der USA medienwirk­sam auszuschla­chten. Als sie dann den Sitzungssa­al betritt, geht sie gleich mal in die Offensive und bezichtigt Tschurkin eines „Stunts“. Daraufhin verlässt er den Saal: „Es hat keinen Sinn, Botschafte­rin Power zuzuhören“. Fast 20 Minuten lang schildert er Reportern draußen seine Sicht. Das Schauspiel zeigt, wie zerbrechli­ch das gespannte Verhältnis zwischen Washington und Moskau im Syrien-Konflikt ist. Der Luftangrif­f kommt zum denkbar ungünstigs­ten Zeitpunkt, an dem die mühsam ausgehande­lte Waffenruhe nur wenige Tage alt ist und beide Seiten sich gegenseiti­g vorwerfen, sie nicht einzuhalte­n.

Dass die US-Regierung nach dem Angriff rasch ihr „Bedauern“ausdrückt und verspricht, den Vorfall zu untersuche­n, scheint auf russischer Seite niemanden zu interessie­ren. Tschurkin beschuldig­t die USA sogar, bei der Attacke nahe eines Militärflu­ghafens möglicherw­eise absichtlic­h auf Regierungs­truppen gezielt zu haben. Er frage sich, ob die USA die Terrormili­z Islamische­r Staat überhaupt bekämpfen wollen. Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums in Moskau schließt zwar ein Versehen der Amerikaner nicht aus. Doch Russlands UN-Botschafte­r stellt auch die Waffenruhe infrage. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was der nächste Schritt sein wird“, sagt er mit Blick auf die weitere Einhaltung der Genfer Vereinbaru­ng. Überhaupt sei auf die Zusagen von US-Präsident Barack Obama und dessen Außenminis­ter John Kerry kein Verlass, immer wieder grätsche deren Militär dazwischen. „Wer hat in Washington das Sagen, das Weiße Haus oder das Pentagon?“, stichelt Tschurkin.

Im amerikanis­chen Verteidigu­ngsministe­rium dürften nach dem Angriff, der auf einen Hinweis Russlands hin sofort abgebroche­n wurde, die Fetzen fliegen. Denn das, was ein Pentagonve­rtreter der Washington Post gegenüber als „offenbares Versagen der Geheimdien­ste“beschreibt, könnte auch einen Rückschrit­t für den Frieden in Syrien bedeuten. Und selbst wenn Russland sich nur ein bisschen aufbäumen will: Ein gutes Vorzeichen für die heute beginnende UN-Generaldeb­atte, an deren Rand weiter über die Zukunft des Bürgerkrie­gslandes verhandelt wird, ist der Vorfall nicht.

Auch für Obama, auf dessen Schultern der Syrien-Konflikt bleiern lastet, kommt die Sache ungelegen. Kann er bei seiner Rede vor der Vollversam­mlung mit mehr als 140 Staatsund Regierungs­chefs für den Krieg gegen die Terrormili­z werben, wenn die Kampfflugz­euge des USBündniss­es falsche Ziele anvisieren und aus Versehen 60 Menschen töten? Einige Vertreter Russlands, mit dem die Amerikaner ihre Angriffe in Syrien bislang nicht koordinier­en wollen, dürften sich ob des Patzers ins Fäustchen lachen. „Stunt“oder nicht, um Moskau kommen Obama und die Vereinigte­n Staaten beim Ringen um eine Lösung in Syrien nicht herum. (dpa)

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