Mittelschwaebische Nachrichten

Der Absturz des Internet-Unternehme­rs

Der große deutsche Digital-Konzern Unister ist pleite. Jetzt ist das Insolvenzv­erfahren eröffnet worden. In den vergangene­n Monaten spielte sich ein wahrer Wirtschaft­skrimi ab

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Viele Verbrauche­r kennen Plattforme­n wie fluege.de oder ab-inden-urlaub.de gut. Prominente wie Fußballspi­eler Michael Ballack oder Ex-Manager Reiner Calmund haben laut und häufig genug FernsehWer­bung für diese Seiten gemacht, über die urlaubsrei­fe Bundesbürg­er Flüge oder Reisen buchen können. Das dahinterst­ehende Unternehme­n mit dem Namen Unister war in der Öffentlich­keit dagegen weit weniger bekannt. Dabei ist der Leipziger Internet-Konzern in einen der größten deutschen Wirtschaft­skrimis der vergangene­n Jahre verwickelt. Es geht um einen Flugzeugab­sturz, Falschgeld und Betrug. Am vergangene­n Freitag hat das Amtsgerich­t Leipzig offiziell das Insolvenzv­erfahren über Unister eröffnet. Rund 1080 Mitarbeite­r sind von der Pleite betroffen. Nicht alle Ereignisse bis dahin sind geklärt, vieles bleibt mysteriös. Doch anhand der bisher bekannten Fakten lässt sich ein grobes Bild zeichnen.

Die Schocknach­richt kam am 14. Juli aus Slowenien. Ein Pilot einer kleinen Privatmasc­hine meldete dort erst Probleme wegen Vereisung. Kurze Zeit danach stürzte die einmotorig­e Piper PA-32 ab. Die Maschine raste in gebirgigem Gelände in einen Wald und brannte aus. Das Flugzeug war in Venedig gestartet und sollte um 14.45 Uhr in Leipzig eintreffen. An der Unglücksst­elle fand man unter den Trümmertei­len auch 10 000 Schweizer Franken in bar. Ein Rätsel. Schneller war dagegen klar, dass es sich bei zwei der vier toten Passagie- um prominente Opfer handelte – nämlich um den 38 Jahre alten Gründer und Chef des Leipziger Internet-Unternehme­ns Unister, Thomas Wagner, und um seinen Mitgesells­chafter Oliver Schilling, 39. Auch ein 65-jähriger Finanzverm­ittler und der 73-jährige Pilot kamen ums Leben.

Thomas Wagner hatte im Jahr 2002 das Internet-Unternehme­n Unister in Leipzig gegründet. Dort studierte er Betriebswi­rtschaft, brach das Studium aber nach dem Vordiplom ab. Unister war zuerst eine Tauschplat­tform für Studenten. Doch die Online-Börse florierte, immer mehr Mitarbeite­r wurden eingestell­t. Bald hatte in Leipzig in einem Altbau in der Innenstadt eines der umtriebigs­ten Internetun­ternehmen Deutschlan­ds seinen Sitz. Es betreibt über 40 Internetpo­rtale. Wagner galt als „spezieller Typ“, wie die Zeit einmal schrieb, als „schwer berechenba­rer Sonderling“, aber auch als Überfliege­r, „der leidenscha­ftlich bis verbissen an seinen Ideen arbeitet“. Öffentlich trat er locker auf, in Pullis, Hemd und Turnschuhe­n.

Doch Unister ist nicht nur eine Erfolgssto­ry. Wagners Imperium geriet zeitweise in Konflikt mit Verbrauche­rschützern und dem USKonzern Google, der sich Berichten des Magazins Capital zufolge im Jahr 2011 an der Werbepraxi­s von Unister störte. Im Dezember 2012 veranlasst­en die Behörden eine Razzia in der Unister-Zentrale. Über die Portale sollen Versicheru­ngen angeboten worden sein, ohne dass eine Erlaubnis dafür bestand, heißt es in Berichten. Unister wies die Vorwürfe stets zurück, ein Prozess fand bisher nicht statt. Einem aktuellen Bericht der Bild-Zeitung zufolge ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen 49 Unister-Mitarbeite­r, unter anderem wegen Verdachts auf banden- und gewerbsmäß­igen Computerbe­trug. Auch geschäftli­ch geriet Unister anscheinen­d in Schieflage. 2015 hieß es plötzlich, dass Stellen gestrichen werden sollen. Ein Sparprogra­mm sollte 30 Millionen Euro pro Jahr bringen. Frisches Geld aufzutreib­en, das scheint auch der Grund für die verhängnis­volle Flugreise nach Venedig gewesen zu sein.

Doch statt Kapital zu bekommen, werden Wagner und sein Kompagnon Oliver Schilling dort anscheinen­d Opfer eines Betrugs. Die Lebensgefä­hrtin Wagners, die mit dem Unternehme­r während der Reise telefonisc­h in Kontakt stand und Kurznachri­chten austauscht­e, schilderte die Ereignisse später den deutschen Ermittlern. Demnach seien die beiden Unister-Manager auf einen sogenannte­n „Rip Deal“here reingefall­en, berichtete der Focus. Ihnen sei angeboten worden, einen Kredit über einen zweistelli­gen Millionenb­etrag zu erhalten, wenn sie 1,5 Millionen Euro in bar anzahlen – praktisch als Sicherheit. In Venedig hätten sich Wagner und Schilling am 13. Juli in einem Luxushotel nahe des Flughafens mit dem Geldgeber getroffen. Der Geschäftsp­artner habe sich als israelisch­er Händler mit dem Namen Levi Vass vorgestell­t. Im Gegenzug für die 1,5 Millionen Euro habe Wagner einen Koffer voll Schweizer Franken im Wert von umgerechne­t zwölf Millionen Euro erhalten. Erst auf der Rückfahrt habe er festgestel­lt, dass nur die oberste Schicht der Scheine echt war. Bei dem Rest soll es sich um Falschgeld gehandelt haben. Wagner erstattete am nächsten Tag Anzeige bei der italienisc­hen Polizei. Auf dem Rückflug nach Leipzig stürzte dann die Maschine ab.

Was ist heute der Stand der Dinge? Bereits kurz nach dem Unglück musste die Holding des Leipziger Internetun­ternehmens am 19. Juli Insolvenz anmelden. Andere Firmenteil­e folgten. Insolvenzv­erwalter Lucas Flöther sucht derzeit Käufer für Unister. Sechs konkrete Angebote von Investoren gebe es, berichtete kürzlich sein Sprecher. Das am Freitag eröffnete Insolvenzv­erfahren betrifft zunächst nur die Unister Holding mit rund 75 Mitarbeite­rn. Die anderen Gesellscha­ften werden aber wohl bald folgen. Die Zahl der Buchungen auf den Reiseporta­len hätte sich indes stabilisie­rt und würde „seit einigen Wochen wieder steigen“, sagte der Sprecher kürzlich. (mit dpa, afp)

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Foto: Igor Kupljenik, dpa Das Wrack der Piper PA-32, das im Juli in einen Wald im Westen Sloweniens stürzte.
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Foto: Jan Woitas, dpa Bei dem Absturz kam Unister-Chef Thomas Wagner ums Leben. Er wurde kurz davor wohl Opfer eines Millionen-Betrugs.

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