Mittelschwaebische Nachrichten
Der Kunstkrimi, letzter Akt
Millionen-Werte, Nazi-Raubkunst und ein angefochtenes Testament: Jetzt geht der Streit um das Erbe des skurrilen Sammlers vor Gericht in die entscheidende Runde
München/Bern/Berlin Als Cornelius Gurlitt im Mai 2014 starb, ohne seine geliebten und als „Schwabinger Kunstfund“zur Sensation gewordenen Werke noch einmal gesehen zu haben, da war das nicht das Ende des Kunstkrimis – seither nämlich tobt der Streit um sein Erbe. Gurlitts Cousine Uta Werner hat das Testament, in dem er seine millionenschwere Sammlung dem Kunstmuseum Bern hinterlassen hat, angefochten. Sie glaubt nicht, dass ihr Cousin im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Inzwischen liegt der Fall beim Oberlandesgericht München – und dort dürfte er nun in die entscheidende Runde gehen.
Für Ende September ist dort eine Verhandlung angesetzt, um Gurlitts Geisteszustand vor seinem Tod genauer auf den Grund gehen, nichtöffentlich. Zwar kam bereits ein Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass Gurlitt testierfähig war. Uta Werner aber hat Gutachten in Auftrag gegeben, um das Gegenteil zu beweisen. Der Jurist und Psychiater Helmut Hausner, der Gurlitt nie persönlich begegnet ist, bescheinigte ihm eine „leichtgradige Demenz, eine Schizoide Persönlichkeitsstörung und eine Wahnhafte Störung“. Werners Anwälte rechnen bis zum Jahresende mit einer Entscheidung. Kunstfund von Schwabing ist dann schon einige Jahre her. 2012 waren mehr als 1200 Kunstwerke in Gurlitts Wohnung von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Zwei Jahre später tauchten weitere Gemälde in seinem verwahrlosten Haus in Salzburg auf. Bei hunderten davon bestand Verdacht auf NaziRaubkunst.
Seitdem das Kunstmuseum Bern sich entschlossen hat, das Erbe anzutreten, wartet man in der Schweiz darauf, dass dort eine aus Spenden finanzierte Forschungsstelle zur Sammlung Gurlitt ihre Arbeit aufnehmen kann. Auch Pläne für eine Doppelausstellung in Bern und der Kunsthalle in Bonn liegen fertig in der Schublade. „Das ist alles blockiert, solange der Rechtsstreit nicht entschieden ist“, sagt der Rechtsanwalt Marcel Brülhart, Vizepräsident der Dachstiftung des Kunstmuseums Bern. Reue, das Erbe angetreten zu haben, gäbe es nicht: „Wir kämpfen nicht um das Erbe, sondern stellen uns einer moralischen Verantwortung, die mit der Annahme verbunden ist.“
In Berlin geht derweil die Erforschung der millionenschweren Sammlung weiter. Die Wissenschaftler sollen herausfinden, welche Bilder der Familie Gurlitt recht- mäßig gehörten und welche NSRaubkunst sind, also früheren jüdischen Besitzern während der Nazizeit weggenommen oder abgepresst wurden. Dieser Verdacht hat sich inzwischen bei fast 100 Werken erhärtet. „Wir sind weit, aber wir sind leider noch nicht am Ende“, sagt Andrea Baresel-Brand, Leiterin des Projekts „Provenienzrecherche Gurlitt“. Das Team in Berlin, das dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg zugeordnet ist, setzt seit dem Jahreswechsel die Arbeit der umstrittenen Taskforce Schwabinger Kunstfund fort. Diese hochkarätige internationale Expertenkommission hatte innerhalb von zwei Jahren nur bei fünf von rund 500 verdächtigen Werken eindeutig Nazi-Unrecht nachweisen können – darunter bei Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“und der „Sitzenden Frau“von Henri Matisse. Diese beiden Bilder sind inzwischen an die Erben der früheren Besitzer zurückgegeben.
In dem neu aufgestellten Team kommt die Arbeit deutlich zügiger voran. Weitere 91 Werke gelten inDer zwischen als „erhärteter Verdachtsfall“, die Ergebnisse sind in Kurzfassung in der Datenbank Lost Art veröffentlicht, allerdings noch nicht abschließend. Rund 20 Experten weltweit sind mit Forschungen beauftragt, knapp eine Million Euro aus der Bundeskasse steht zur Verfügung. Zunächst ist das Projekt auf ein Jahr befristet, könnte aber nochmals verlängert werden. „Ich erwarte, dass wir die Arbeit im nächsten Jahr abschließen“, sagt Uwe M. Schneede, Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. „Wir werden nicht alles lückenlos klären können, in vielen Fällen sind die Dokumente einfach nicht mehr vorhanden. Dennoch wird man eine Entscheidung treffen müssen – im Zweifelsfall für die Opfer.“
Allerdings: Ob und wie das geschieht, hängt nun von der Entscheidung des Gerichts ab. Sollte das Kunstmuseum Bern den Zuschlag bekommen, gibt es bereits eine vertragliche Vereinbarung mit Bayern und dem Bund. Die Schweizer würden nur die unbelasteten Werke übernehmen, NS-Raubkunst bliebe in Deutschland. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat eine Rückgabe an die Erben „ohne Wenn und Aber“zugesagt.
B. Schultejahns, N. Weigelt, dpa
Keine Reue in Bern, Nachforschung in Berlin