Mittelschwaebische Nachrichten
Hilfsgüter gehen in Flammen auf
Beim Angriff auf einen UN-Konvoi sterben 20 Menschen. Die Waffenruhe steht vor dem Aus. Das Regime könnte ein Interesse daran haben. Aber auch Terrorgruppen kommen in Frage
Aleppo/Istanbul Hinter dem Mann mit dem weißen Helm lodert noch Feuer, als er den Arm hebt und nach links zeigt. Dort drüben hätten mehr als 20 Lastwagen gestanden, sagt der Rettungshelfer aus dem syrischen Ort Orem al-Kubra in gebrochenem Englisch. Die Kamera, die ihn für ein Internetvideo der lokalen Hilfsorganisation Weißhelme filmt, folgt seinem Arm. „Sie waren voller Nahrung, Mehl, Medizin, Pampers und Decken.“Hilfsgüter, die an notleidende Syrer verteilt werden sollten. Güter, die bei einem Angriff in Flammen aufgingen.
Was genau am Montagabend in dem Ort südwestlich der umkämpften Großstadt Aleppo passierte, ist noch unklar. Doch Erklärungen und Berichte von unterschiedlichen Seiten lassen wenig Zweifel daran, dass bei einem Angriff ein Warenlager und Lastwagen getroffen wurden, die zuvor Hilfsgüter der UN und anderer Organisationen nach Orem alKubra gebracht hatten. Mehr als 20 Menschen wurden getötet, als sie die Lastwagen gerade ausluden.
Wer war für den Angriff verantwortlich? Der Rettungshelfer in dem Video berichtet, ein Hubschrauber der syrischen Armee habe mehrere Fassbomben abgeworfen. Als Helfer am Ort eingetroffen seien, habe es einen weiteren Luftangriff gegeben. Eine unabhängige Bestätigung für den Vorwurf gibt es nicht. Syriens Regierung und auch ihr enger Verbündeter Russland weisen jegliche Schuld zurück. Moskau will nicht einmal Anzeichen für einen Angriff mit Munition sehen und spricht stattdessen von der „Folge eines Brandes“. Russische Drohnen hätten den Konvoi bis zur Einfahrt nach Aleppo begleitet. „Bis zu diesem Moment ver- lief die Fahrt normal“, betonte Generalmajor Igor Konaschenkow am Dienstag in Moskau. „Vom weiteren Schicksal des Konvois können nur Kämpfer wissen, die diese Region kontrollieren“, fügte er hinzu.
Spätestens mit diesem Zwischenfall ist die ohnehin brüchige Waffenruhe, die Washington und Moskau ausgehandelt hatten, endgültig gezunächst scheitert. Erst erklärte Syriens Armeeführung das Ende der Feuerpause – dann dauerte es nicht mehr lange, bis an vielen Orten in der Provinz Aleppo und in der gleichnamigen Stadt Kampfjets ihre Bomben über Rebellengebieten abwarfen. Augenzeugen berichteten aus mehreren Regionen über die heftigsten Angriffe seit Monaten. Die Raketen hätten auf Aleppo „geregnet“, sagt ein Aktivist aus der Stadt.
Die UN stellten nach dem Angriff ihre Hilfstransporte in Syrien vorerst ein. Für Kritiker der Regierung von Baschar al-Assad steht außer Frage, dass diese genau das erreichen wollte. „Das Regime will Aleppo belagern, die Menschen aushungern und vertreiben“, sagt Sakaria Malahafdschi, Sprecher der Miliz Fastakim. „Es gibt ein syrisches Sprichwort: Wer sich vor Strafe sicher fühlt, tut Unmoralisches.“
Aber auch aufseiten der Regimegegner gibt es Gruppen, die die Feuerpause ablehnten. An erster Stelle steht dabei die radikale Fatahal-Scham-Front, die früher Al-Nusra-Front hieß. Sie ist besonders stark im Nordwesten Syriens, kämpft aber auch in der Provinz Aleppo Seite an Seite mit gemäßigten Rebellen, die von den USA unterstützt werden. Weil die Miliz eng mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbunden ist, gilt die Waffenruhe für sie nicht. Jan Kuhlmann, dpa