Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Bezirksligist bezwingt den Weltverband
Warum der SV Wilhelmshaven und die Fifa aneinandergerieten, wieso der kleine Klub jetzt vor Gericht einen Erfolg erzielt hat, sich aber vorläufig an seiner misslichen Situation kaum etwas ändern wird
Karlsruhe Der kleine Fußballklub SV Wilhelmshaven geht aus dem Machtkampf mit den Fußball-Verbänden als großer Sieger hervor. Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte gestern den 2012 vom Weltverband Fifa verhängten Zwangsabstieg des Ex-Regionalligavereins für unwirksam.
Die Vorgeschichte (Teil 1) Im Januar 2007 hatte der SV Wilhelmshaven den Spieler Sergio Sagarzazu verpflichtet, einen gebürtigen Argentinier mit italienischem Pass. Sagarzazu bestritt elf Partien für den Klub in der Regionalliga, die damals die dritthöchste Liga war. Wilhelmshaven stieg als Tabellenletzter in die vierte Liga (damals Oberliga) ab. Zu allem Unglück legte der Weltfußballverband Fifa im Dezember 2008 fest, dass der SVW eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 157 500 Euro an die argentinischen Klubs River Plate und Atletico Excursionistas zahlen muss, bei denen Sagarzazu als Jugendlicher gespielt hatte.
Was hat es mit der Ausbildungsentschädigung auf sich? Das System der Ausbildungsentschädigungen gibt es schon länger im Weltfußballverband. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Vereine diese bezahlen müssen. Nach den Fifa-Regularien müssen Klubs bei Wechseln junger Spieler eine Pauschale zahlen. Damit soll der Aufwand einer Ausbildung ausgeglichen, der ihnen selbst nicht mehr entsteht.
Die Vorgeschichte (Teil 2) Der SVW weigerte sich, die Ausbildungsentschädigung zu zahlen. Der Verein berief sich auf den italienischen Pass von Sagarzazu. Für ihn gelte innerhalb der EU das Recht der freien Arbeitsplatzwahl. Es kam zu einem jahrelangen Rechtsstreit vor Sportgerichten. Im Oktober 2009 entschied der höchste internationalen Sportgerichtshof CAS für die Fifa. Der Streit ging weiter. Im Oktober 2012 ordnete die Fifa den Zwangsabstieg an. Wilhelmshaven musste absteigen, kämpfte aber vor „normalen“Gerichten weiter. Im Dezember 2014 erklärte das Oberlandesgericht Bremen den Zwangsabstieg für unwirksam. Die Ausbildungsentschädigung verstoße gegen EU-Recht. Jetzt ging der Norddeutsche Fußball-Verband (NFV) in Revision und der Fall erreichte schließlich den Bundesgerichtshof.
Sportlich war es mit dem SVW in den Jahren des Rechtsstreits immer weiter bergab gegangen. Am Ende der vergangenen Saison war der Verein in die Bezirksliga, die siebte Liga, abgestiegen.
Die Folgen des Urteils Wilhelmshaven fordert die Wiedereingliederung in die Regionalliga (vierte Liga) und will Entschädigung für finanzielle Einbußen. Das Urteil könnte auch andere Sportverbände zwingen, ihre Satzungen rechtlich wasserdicht zu machen. Denn die Richter sagen, dass die Regeln übergeordneter Verbände wie Fifa oder DFB allein die eigenen Mitglieder binden. „Eigene Mitglieder“der Fifa sind aber nicht einzelne Fußballer sondern nationale Verbände, wie zum Beispiel der DFB. Auch im DFB wiederum sind nach streng rechtlicher Sicht nicht Einzelpersonen Mitglieder, sondern die regionalen Verbände wie der Norddeutsche Fußball-Verband NFV. Der SV Wilhelmshaven unterliegt nach Ansicht der BGH-Richter nur der Satzung des NFV. Diese Satzung hat aber nach ihrer Auffassung Lücken und liefert nicht die rechtliche Grundlage für einen Zwangsabstieg.
Wie geht es für Wilhelmshaven weiter? Darüber sagt das Urteil nichts. Vorerst bleibt Wilhelmshaven in der Bezirksliga. Der Verein könnte auf die Wiederaufnahme in die Regionalliga klagen. SVW-Aufsichtsrat Naraschewski sagte aber, der SVW wolle dies nicht unbedingt tun. „Wir waren immer zu einer gütlichen Regelung bereit und sind es auch jetzt.“In der Bringschuld seien der NFV und vor allem der DFB, „um das, was er angerichtet hat, wieder in Ordnung zu bringen“. Die Einbußen des Vereins durch den Zwangsabstieg lägen im siebenstelligen Bereich.
Was genau sagt das Urteil eigentlich? Der Norddeutsche Verband war der Ansicht, Wilhelmshaven habe sich durch die Teilnahme am Spielbetrieb automatisch den FifaRegeln unterworfen. Dem BGHUrteil zufolge gilt das aber nur für die Wettkampfregeln im engeren Sinne. Die Möglichkeit einer Disziplinarstrafe hätte der NFV so eindeutig in seiner Satzung vorsehen müssen, dass jeder Verein die Konsequenzen seines Handelns überblicken könne. Der Richterspruch bezieht sich nur auf den Zwangsabstieg. Es ging nicht um die Frage, ob Wilhelmshaven die Ausbildungsentschädigung hätte zahlen müssen. Der BGH klärte auch nicht, ob das System der Ausbildungsentschädigungen gegen EU-Recht verstößt.
Was sagen die Verbände? Der NFV war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Für den DFB erklärte Vizepräsident Rainer Koch: „Wir werden die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und sorgfältig analysieren. Auf dieser Grundlage werden wir sehr schnell klären müssen, was zu tun ist, um den Verpflichtungen als deutscher Fußball gegenüber der Fifa … auch weiterhin nachkommen zu können und dem international gültigen Spieler-Transferrecht auch in Deutschland zur Durchsetzung zu verhelfen.“(dpa, AZ)
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