Mittelschwaebische Nachrichten
Tengelmann wird nicht das letzte Opfer der Branche sein
Der Kampf um die Supermärkte zeigt, wie unbarmherzig der Handel mit Lebensmitteln ist. Er könnte noch härter werden. Denn ein US-Riese ist schon startbereit
Für die Tengelmann-Mitarbeiter ist die Schlacht um ihre Supermärkte eine Zumutung. Seit zwei Jahren müssen sie immer wieder aufs Neue um ihre Arbeitsplätze in dem kriselnden Unternehmen bangen. Dass um die Zukunft von rund 16 000 Menschen derart geschachert und gefeilscht wird, ist ein Skandal. Der Kampf um Tengelmann zeigt aber auch noch etwas anderes: das Innenleben einer Branche, die kaum irgendwo so hart umkämpft ist wie in Deutschland.
Es ist ein Reich, in dem vier Riesen herrschen: Der größte von ihnen ist Edeka. Fast jeder vierte Euro in Deutschland wird in einer Filiale von Edeka oder dem Tochterunternehmen Netto ausgegeben. Dahinter folgen Rewe, die SchwarzGruppe mit Lidl und Kaufland und auf dem vierten Platz Aldi Nord und Süd. Die vier Konzerne kontrollieren 85 Prozent des Marktes. Alle anderen Unternehmen sind daneben nur Zwerge. Würde Edeka die Tengelmann-Filialen übernehmen, – wie es auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit seiner Ministererlaubnis durchsetzen wollte – könnte das Unternehmen seine Vormachtstellung gewaltig ausbauen. Nichts ist in einer Marktwirtschaft aber wichtiger als der Wettbewerb. Völlig zu Recht hat das Kartellamt Edeka deshalb eine Übernahme verboten.
Schreitet die Konzentration in der Branche weiter voran, hat das fatale Folgen. Je mächtiger die Handelsriesen werden, desto einfacher können sie den Lieferanten ihre Preise diktieren. Oft bleibt den Zwischenhändlern deshalb nicht viel mehr übrig, als den Druck an die Hersteller weiterzugeben. Wohin das führen kann, sieht man in der Landwirtschaft. Gerade dort bringen die niedrigen Preise viele Betriebe in Existenznot.
Langfristig bekommt auch der Verbraucher die Auswirkungen zu spüren. Nicht unbedingt im Geldbeutel – dafür aber direkt am Supermarktregal. Denn er hat dort irgendwann weniger Auswahl. Wie Forscher herausgefunden haben, nimmt die Vielfalt an Produkten ab, sobald die Konkurrenz zwischen Supermärkten wegfällt.
An der Konzentration tragen aber auch die Verbraucher selbst Schuld. Denn viele von ihnen sind heute auf der Suche nach Extremen: Sie kaufen nur sehr hochwertige Produkte oder sehr billige Ware, manchmal auch beides zusammen und am liebsten alles aus demselben Supermarkt.
Wer seine Kunden halten will, muss sich wohl oder übel diesem Trend anpassen. Viele Handelskonzerne machen dies bereits: die klassischen Vollsortimenter, indem sie immer mehr günstige Eigenmarken aufnehmen. Und die Discounter, indem sie wie Aldi und Lidl nun auch auf Wohlfühlatmosphäre setzen – mit indirektem Licht, Bioware und Kundentoiletten. Die traurige Wahrheit ist: Mittelgroße Anbieter wie Tengelmann, die solide Markenprodukte verkaufen, werden zwischen diesen Extremen zerrieben. Das ist schade – aufhalten lässt sich die Entwicklung kaum.
Tengelmann wird auch nicht das letzte Unternehmen sein, das dem Machtkampf im Handel zum Opfer fällt. Dafür ist die Branche zu sehr in Bewegung – nicht zuletzt aufgrund des Internets. Mit Amazon steht schon ein mächtiger Rivale in den Startlöchern: Experten glauben, dass der Online-Riese bald großflächig in das Lebensmittelgeschäft einsteigt – und Salat, Brot oder Getränke nach Hause liefert. Der US-Konzern ist ein Konkurrent, der besser als jeder andere weiß, was der Konsument will. Dass er damit Erfolg hat, kann man weder ihm noch seinen Kunden zum Vorwurf machen. Stattdessen müssen sich die deutschen Händler für diesen Kampf um den Verbraucher noch besser rüsten.
Viele Kunden sind heute auf der Suche nach Extremen