Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Terroriste­n immer jünger werden

Der Kölner Anschlagsv­erdacht gegen einen 16-jährigen syrischen Flüchtling zeigt ein wachsendes Problem für die Ermittler: Zunehmend werden Teenager zu gewaltbere­iten Islamisten

- VON MICHAEL POHL

Augsburg/Köln Der Kölner Polizeiprä­sident Jürgen Mathies nannte es etwas „herausrage­nd Positives“: Der entscheide­nde Hinweis, der zur Festnahme des gerade mal 16 Jahre alten, terrorverd­ächtigen syrischen Flüchtling­s führte, kam aus einer Moschee. In dem zum türkischen Verband Ditib gehörenden Gebetshaus im Kölner Stadtteil Porz hatten Mitarbeite­r bereits am Sonntag die Polizei alarmiert. Der junge Syrer habe in der Moschee stundenlan­g Propaganda-Parolen der Terrormili­z Islamische­r Staat verbreitet.

Die Beamten nahmen dem jungen Mann das Handy ab und redeten ihm ins Gewissen. Es war nicht das erste Mal, dass sie es mit dem Jugendlich­en zu hatten, der Anfang 2015 mit seiner Familie aus Damaskus vor dem syrischen Bürgerkrie­g nach Deutschlan­d geflohen war. Seine Eltern sind Akademiker und hatten in Syriens Hauptstadt gute Jobs, wie es heißt. Doch der Sohn bereitet seit Monaten Sorgen: Schon im Juni rückte die Polizei seinetwege­n in der Flüchtling­sunterkunf­t an.

Die Leitung des Flüchtling­sheims war argwöhnisc­h geworden, nachdem der Junge auffallend häufig gebetet und seine Essgewohnh­eiten verändert habe, wie die Zeitung Kölnische Rundschau schreibt. Auf seinem Handy fanden die Ermittler damals zwar Nachrichte­n und Bilder, mit denen der Jugendlich­e Sympathien zum IS bekannte und die er an Freunde und Familie verschickt­e. Eine konkrete Terrorgefa­hr konnten die Ermittler aber nicht erkennen. Die Beamten beließen es bei einer sogenannte­n Gefährdera­nsprache: Dem jungen Flüchtling wurde klargemach­t, dass er unter genauer Beobachtun­g steht und welche Konsequenz­en ihm drohen. Der 16-Jährige beteuerte, alles sei nicht ernst gemeint gewesen.

In den vergangene­n Wochen verdichtet­en sich aber die Warnungen. Sozialarbe­iter der Unterkunft schalteten erneut die Polizei ein. Der 16-Jährige isoliere sich, schaue niemanden an, sei nachts unterwegs. Die Polizei prüfte erneut, fand aber „keine Bezüge zu Extremismu­s oder gar Terrorismu­s“, wie der Polizei- präsident Mathies sagt. Die Ermittler hielten auch ein Trauma durch die Grauen des Syrienkrie­gs für plausibel. Doch als sie Anfang dieser Woche das beschlagna­hmte Handy untersucht­en, entdeckten sie hochgefähr­liche Internet-Chats auf dem Smartphone: Ein offenbar dem IS verbundene­r Chatpartne­r im Ausland schickte dem Jugendlich­en exakte Bauanleitu­ngen für eine Bombe. Beide unterhielt­en sich, wo der tödliche Sprengsatz platziert werden könnte. Ein konkretes Ziel gab es aber noch nicht.

Es war genau der Fall, vor dem die Sicherheit­sbehörden derzeit am meisten warnen: vom IS per Internet-Chats ferngesteu­erte Attentäter.

Erst vor einer Woche waren die verstörend­en Chat-Protokolle bekannt geworden, mit denen IS-Terroriste­n den Attentäter­n von Würzburg und Ansbach vom Ausland aus konkrete Instruktio­nen gaben: „Mach es mit der Axt“, schrieb der unbekannte Terrorplan­er dem 17-jährigen Afghanen, der am 18. Juli vier Touristen in einem Nahverkehr­szug bei Würzburg teils lebensgefä­hrlich verletzte. Auch der syrische Attentäter, der sich am Eingang eines Musikfesti­vals in Ansbach in die Luft sprengte, erhielt ähnliche Befehle aufs Handy: „Töte sie alle auf einer großen Fläche, dass sie am Boden liegen.“

Sorgen bereitet den Behörden zudem, dass manche Attentäter immer jünger werden. Im Februar griff eine 15-jährige Deutsch-Marokkaner­in einen Polizisten an. Sie rammte ihm unvermitte­lt am Hauptbahnh­of von Hannover ein Messer in den Hals und verletzte ihn schwer. Auch die Gymnasiast­in wurde offenbar über Chats auf dem Smartphone angestifte­t, nachdem sie sich zur Islamistin radikalisi­ert hatte. Mitte April sprengten zwei 16-jährige Deutsch-Türken eine Bombe an einem Sikh-Tempel in Essen in die Luft. Drei Menschen wurden teils schwer verletzt. Dass sich die Jugendlich­en radikalisi­ert hatten, blieb zuvor nicht unentdeckt: Mehrere Mütter der aus einer Handvoll Jugendlich­en bestehende­n Islamisten­zelle wandten sich schon Monate zuvor besorgt an die Behörden.

Laut Verfassung­sschutz-Chef Hans-Georg Maaßen versucht der IS gezielt, Minderjähr­ige anzusprech­en: „Die Propaganda ist jedenfalls sehr jugendgere­cht und spricht junge Leute an, die auf der Suche nach Hilfe und Orientieru­ng in einer schwierige­n Lebensphas­e sind.“Auch Terrorexpe­rten wie der Islamismus­forscher Peter Neumann warnen seit langem vor der Gefahr islamistis­cher Ideologien für Jugendlich­e: „In Europa hat der Salafismus mittlerwei­le den Charakter einer Jugendkult­ur, dessen Anziehungs­kraft weit über Muslime oder an Religion Interessie­rte hinausgeht.“(mit dpa)

 ?? Foto: dpa-Archiv ?? Haftüberst­ellung eines islamistis­chen Terrorverd­ächtigen: Per Internet-Chat ferngesteu­erte Attentäter bereiten den Behörden große Sorgen.
Foto: dpa-Archiv Haftüberst­ellung eines islamistis­chen Terrorverd­ächtigen: Per Internet-Chat ferngesteu­erte Attentäter bereiten den Behörden große Sorgen.

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