Mittelschwaebische Nachrichten

„Eiserne Neelie“im Zwielicht

Was wollte die frühere EU-Kommissari­n mit einer Briefkaste­nfirma?

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Es gab eine Zeit, da trieb Neelie Kroes den Top-Managern der Wirtschaft­swelt die Schweißper­len auf die Stirn. Als oberste Wettbewerb­shüterin der Europäisch­en Union legte sie sich mit den ganz Großen an und zwang selbst Konzerne wie Microsoft oder Eon in die Knie. Kurz gesagt: Die Niederländ­erin war zuständig dafür, dass alles mit rechten Dingen zuging. Und so kommt es recht überrasche­nd, dass ihr Name nun auf einer Liste von Personen auftaucht, die Briefkaste­nfirmen auf den Bahamas betrieben haben. Noch erstaunlic­her ist ihre Begründung dafür.

Kroes war sogar Direktorin einer Briefkaste­nfirma. Das ist an sich noch kein Problem. Solche Unternehme­n sind nicht verboten, obwohl sie sehr häufig nur einem einzigen Zweck dienen: der Verschleie­rung von Steuerhint­erziehung. Problemati­sch wird die Sache für Frau Kroes (gesprochen Kruus) deshalb, weil ihre Tätigkeit im „Briefkaste­ngeschäft“nach Recherchen der Süddeutsch­en Zeitung während ihrer Amtszeit in Brüssel erfolgte. Damit verstieß die heute 75-Jährige zumindest gegen den Brüsseler Verhaltens­kodex, nach dem Mitglieder­n der EU-Kommission jegliche Nebentätig­keiten verboten sind.

Kroes räumt die Vorwürfe ein und spricht von einem „Versehen“. Nun könnte man spöttisch anmerken: Klar, jeder von uns kennt das ja, da ist man plötzlich Direktor einer Briefkaste­nfirma in einem Steuerpara­dies irgendwo auf einer Atlantik-Insel und kriegt davon gar nichts mit. Oder man vergisst schlicht und einfach, ein solches Unternehme­n rechtzeiti­g wieder abzumelden. Genau so erklärt die Politikeri­n nun ihr Vergehen: Sie sei davon ausgegange­n, dass die Firma schon gar nicht mehr existierte, als sie EU-Kommissari­n wurde.

Bleibt die Frage: Was hatte die gestrenge Wettbewerb­shüterin – Spitzname „Steely Neelie“(eiserne Neelie) – überhaupt auf den Bahamas verloren? Ihr Anwalt teilt mit, das Briefkaste­n-Unternehme­n sei für ein geplantes Milliarden­geschäft mit einem US-Energiekon­zern gegründet worden, das dann allerdings geplatzt sei. Mag sein. Für Kroes ist die Sache damit aber noch lange nicht erledigt. Ihr droht sogar der Verlust von Pensionsan­sprüchen. EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker sieht jedenfalls noch Gesprächsb­edarf.

Da dürfte es für die ins Zwielicht geratene Politikeri­n wenig tröstlich sein, dass auf der ominösen Bahamas-Liste noch andere illustre Namen stehen. Darunter sind etwa der kolumbiani­sche Minenminis­ter, Kanadas Finanzmini­ster und der Vize-Präsident von Angola.

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Foto: afp Die frühere EU-Kommissari­n Kroes gerät unter Druck. Neelie

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