Mittelschwaebische Nachrichten

In der Hängematte nachts im Wald

Warum Abenteuer in der Ferne suchen? Das geht auch vor der Haustür. Zum Beispiel mit einer Nacht unter freiem Himmel. Wir haben das einmal ausprobier­t

- VON PHILIPP BRANDSTÄDT­ER

Grillen zirpen. Ein Glühwürmch­en tanzt an mir vorbei. Ein Waldkauz sitzt in den Bäumen und ruft Huuuu-hu-huuu. Sonst bin ich ganz allein in der Wildnis – keine Menschense­ele weit und breit. Plötzlich höre ich, wie ein Motorrad die Bundesstra­ße entlangröh­rt. So allein bin ich wohl doch nicht. Und um ehrlich zu sein: Auch die Wildnis um mich herum ist nur halb so wild.

Ich stapfe durch den Habichtswa­ld in der Nähe der Stadt Kassel im Bundesland Hessen. Viele Leute verreisen in andere Gegenden. Doch auch direkt vor der Haustür kann man etwas erleben. Also habe ich beschlosse­n, eine Nacht in freier Natur zu verbringen. Und zwar in einem Wald, den ich von etlichen Spaziergän­gen ziemlich gut kenne. Ausgestatt­et mit Proviant und Schlafzeug im Rucksack bin ich losgewande­rt.

Bei Dämmerung sieht ein Wald jedoch völlig anders aus als bei Tageslicht. Deshalb habe ich mich etwas verlaufen und mein Nachtlager erst bei Sonnenunte­rgang erreicht. Verträumt beobachte ich, wie die Sonne am Horizont verschwind­et. Im nächsten Augenblick ist es duster. Und auch irgendwie ein bisschen unheimlich. Keine Zeit zum Gruseln! Im Licht des Mondschein­s zurre ich rasch meine Hängematte zwischen zwei Buchen fest und hänge ein Moskitonet­z in die Zweige.

Jetzt wird’s schwierig: Zähne putzen und Kontaktlin­sen aus den Augen popeln. Ohne Licht, ohne Spiegel und vor allem ohne fließendes Wasser aus dem Wasserhahn. Auch nicht so einfach: aus der Kleidung hinaus und schnell in den Schlafsack schlüpfen, ohne umzufallen. Wer will schon kurz vorm Schlafenge­hen barfuß in eine Brennnesse­l treten? Als ich eingemumme­lt im Schlafsack in meiner Hängematte schaukle, ist das Gruseln verflogen. Über mir rauscht der Wind durch die Bäume. Durch die Baumwipfel hindurch schaue ich mir die Sterne an. Der Waldkauz ruft. Alles wirkt so friedlich – bis mir Regentropf­en ins Gesicht nieseln. Ich mache mir Sorgen: War das eine gute Idee, ohne Zelt loszumarsc­hieren? Ob der Regen stärker wird? Muss ich mein Abenteuer abbrechen und mitten in der Nacht zurück nach Hause laufen?

Ein Knistern und ein Rascheln wecken mich. Ich bin beim Grübeln wohl eingeschla­fen. Meine Nasenspitz­e und mein Rücken sind kalt. In einer Hängematte zu schlummern, ist doch nicht so bequem! Um mich herum wird es langsam wieder hell. Vögel zwitschern. Und keine Regenwolke ist am Himmel zu sehen.

Aber was war das für ein Geräusch? Ich schaue mich um. Genau in diesem Moment verschwind­et ein dicker, pelziger Hintern im Dickicht. Davor liegen überall Fetzen meiner Papiertüte auf dem Waldboden. Und auf der Sitzbank ein letzter Bissen meines Käsebrotes, das in der Tüte war. Ein Waschbär hat sich über meinen Proviant hergemacht! Den habe ich wohl vergessen wegzupacke­n. Das Frühstück im Wald kann ich abhaken. Ich hätte besser aufpassen müssen.

Also räume ich mein Nachtlager auf und packe meine Sachen in den Rucksack. Dann schlurfe ich verschlafe­n über die Waldlichtu­ng und wieder zurück in die Stadt. Ich freue mich auf ein warmes Brötchen vom Bäcker und einen frisch gepressten Saft. Und besonders auf mein warmes Bett! (dpa)

 ??  ?? Unser Reporter Philipp hat in einer Hängematte im Wald übernachte­t. So sah sein Nachtlager zwischen den Bäumen aus. Foto: dpa
Unser Reporter Philipp hat in einer Hängematte im Wald übernachte­t. So sah sein Nachtlager zwischen den Bäumen aus. Foto: dpa

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