Mittelschwaebische Nachrichten
In der Hängematte nachts im Wald
Warum Abenteuer in der Ferne suchen? Das geht auch vor der Haustür. Zum Beispiel mit einer Nacht unter freiem Himmel. Wir haben das einmal ausprobiert
Grillen zirpen. Ein Glühwürmchen tanzt an mir vorbei. Ein Waldkauz sitzt in den Bäumen und ruft Huuuu-hu-huuu. Sonst bin ich ganz allein in der Wildnis – keine Menschenseele weit und breit. Plötzlich höre ich, wie ein Motorrad die Bundesstraße entlangröhrt. So allein bin ich wohl doch nicht. Und um ehrlich zu sein: Auch die Wildnis um mich herum ist nur halb so wild.
Ich stapfe durch den Habichtswald in der Nähe der Stadt Kassel im Bundesland Hessen. Viele Leute verreisen in andere Gegenden. Doch auch direkt vor der Haustür kann man etwas erleben. Also habe ich beschlossen, eine Nacht in freier Natur zu verbringen. Und zwar in einem Wald, den ich von etlichen Spaziergängen ziemlich gut kenne. Ausgestattet mit Proviant und Schlafzeug im Rucksack bin ich losgewandert.
Bei Dämmerung sieht ein Wald jedoch völlig anders aus als bei Tageslicht. Deshalb habe ich mich etwas verlaufen und mein Nachtlager erst bei Sonnenuntergang erreicht. Verträumt beobachte ich, wie die Sonne am Horizont verschwindet. Im nächsten Augenblick ist es duster. Und auch irgendwie ein bisschen unheimlich. Keine Zeit zum Gruseln! Im Licht des Mondscheins zurre ich rasch meine Hängematte zwischen zwei Buchen fest und hänge ein Moskitonetz in die Zweige.
Jetzt wird’s schwierig: Zähne putzen und Kontaktlinsen aus den Augen popeln. Ohne Licht, ohne Spiegel und vor allem ohne fließendes Wasser aus dem Wasserhahn. Auch nicht so einfach: aus der Kleidung hinaus und schnell in den Schlafsack schlüpfen, ohne umzufallen. Wer will schon kurz vorm Schlafengehen barfuß in eine Brennnessel treten? Als ich eingemummelt im Schlafsack in meiner Hängematte schaukle, ist das Gruseln verflogen. Über mir rauscht der Wind durch die Bäume. Durch die Baumwipfel hindurch schaue ich mir die Sterne an. Der Waldkauz ruft. Alles wirkt so friedlich – bis mir Regentropfen ins Gesicht nieseln. Ich mache mir Sorgen: War das eine gute Idee, ohne Zelt loszumarschieren? Ob der Regen stärker wird? Muss ich mein Abenteuer abbrechen und mitten in der Nacht zurück nach Hause laufen?
Ein Knistern und ein Rascheln wecken mich. Ich bin beim Grübeln wohl eingeschlafen. Meine Nasenspitze und mein Rücken sind kalt. In einer Hängematte zu schlummern, ist doch nicht so bequem! Um mich herum wird es langsam wieder hell. Vögel zwitschern. Und keine Regenwolke ist am Himmel zu sehen.
Aber was war das für ein Geräusch? Ich schaue mich um. Genau in diesem Moment verschwindet ein dicker, pelziger Hintern im Dickicht. Davor liegen überall Fetzen meiner Papiertüte auf dem Waldboden. Und auf der Sitzbank ein letzter Bissen meines Käsebrotes, das in der Tüte war. Ein Waschbär hat sich über meinen Proviant hergemacht! Den habe ich wohl vergessen wegzupacken. Das Frühstück im Wald kann ich abhaken. Ich hätte besser aufpassen müssen.
Also räume ich mein Nachtlager auf und packe meine Sachen in den Rucksack. Dann schlurfe ich verschlafen über die Waldlichtung und wieder zurück in die Stadt. Ich freue mich auf ein warmes Brötchen vom Bäcker und einen frisch gepressten Saft. Und besonders auf mein warmes Bett! (dpa)