Mittelschwaebische Nachrichten
Bruder allein zu Haus
Das Kloster Mönchsdeggingen steht seit sechs Jahren leer. Nur noch ein Geistlicher schaut dort nach dem Rechten
Mönchsdeggingen Über dem Eingang wacht eine blasse Heiligenfigur. Das lange Kleid schimmert nur noch vereinzelt blau, das Gesicht ist gänzlich farblos. Die Jahrhunderte haben den Lack von der Holzstatue abblättern lassen. Um sie herum Risse in der Wand, Ziegelsteine, die aus dem beigen Mauerwerk hervorschauen.
Schon am Eingangsportal erkennt der Besucher des Klosters Mönchsdeggingen: Hier hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. In den vergangenen Jahren ganz besonders. 2010 ist der letzte hier lebende Mönch, Pater Benno, ausgezogen. Seitdem liegt die Klosteranlage, die über Mönchsdeggingen am südlichen Riesrand thront, brach. Knapp drei Hektar ist das Gelände groß, umschließt Kirche, Friedhof, Wohnkomplexe, Gärten und eine Gaststätte. Der einzige regelmäßige Besucher ist Bruder Sebastian Fischer. Der 70-Jährige gehört den Mariannhiller Missionaren an, einer Ordensgemeinschaft aus Würzburg, der das Kloster seit 1950 gehört.
„Irgendjemand muss ja hier nach dem Rechten sehen“, sagt Bruder Sebastian. Er besucht seit sechs Jahren mindestens einmal in der Woche die Anlage, eine Art geistlicher Hausmeister, der die Gebäude mit mehr als 30 Zimmern weitestgehend Stand hält. Erste Station auf seinem zweistündigen Rundgang: Die ehemalige Klosterkirche St. Martin, ein romanischer Bau aus dem zwölften Jahrhundert. Bruder Sebastian – Halbglatze, das graue Hemd bis oben hin zugeknöpft – geht durch die Bankreihen bis vor zum Altar. Dort zeigt er eine Besonderheit: eine Orgel, deren Pfeifen quer auf dem Boden liegen. „So etwas gibt es nur zweimal in Deutschland“, sagt er stolz. „In Westfalen und hier.“
Über das Kloster kann der Geistliche viel erzählen, auch wenn er selbst nie dort gelebt hat. Der gelernte Buchbinder ist 1965 den Mariannhiller Missionaren beigetreten und lebt im Missionshaus Reimlingen, nur wenige Kilometer entfernt. Für seinen Orden betreibt er Presseund Öffentlichkeitsarbeit.
Weiter geht es in den Kreuzgang. Hier leisten einzig Jesus und fleißig fädelnde Spinnen Bruder Sebastian Gesellschaft. Die Wände sind schwarz vom Kerzenruß und halten den süßlichen Geruch von Weihrauch innerhalb der Gemäuer. Der glatte Steinboden reflektiert jedes Geräusch des darüber laufenden Bruders. Ein Ort, der wohl gerade in der Dunkelheit nichts für schwache Nerven ist – vor allem, wenn man alleine unterwegs ist. „Ich habe keine Angst“, versichert Bruder Sebastian. „Was soll mir hier denn passieren?“Stattdessen habe er stets die Geschichte der altehrwürdigen Räumlichkeiten vor Augen, sagt der Geistliche und fasst sich an seine goldumrandete Brille. Er berichtet von Dokumenten, die das Kloster erstmals im zehnten Jahrhundert erwähnten. Von einer Benediktinerfrauenabtei, die im zwölften Jahrhundert zum Männerkloster wurde. Und von einem dreitägigen Brand im Jahr 1513, der das Kloster bis auf die Grundmauern zerstörte. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg suchten Flüchtlinge in den neu errichteten Kirchengemäuern Obdach. Seit 1950 zogen Anhänger der Mariannhiller Missionare ein.
Ihr Geist ist im Kloster nach wie vor zu spüren. In den ehemaligen Schlafräumen im ersten Stock stehen ihre Schränke noch, ihre schmalen Bettgestelle. Auf einem wackligen Nachtkästchen liegt einsam eine Bibel, wahrscheinlich tausende Male in Händen gehalten und heute vergilbter Zeuge des minimalistischen Lebens innerhalb der Klostermauern. „Die Bewohner waren immer sehr arm“, erzählt Bruder Sebastian. Manche der einfachen Möbel haben die Jahrzehnte nicht überlebt. Wie auf dem Sperrmüll liegen sie achtlos und auseinandergefallen im Gang vor den Zimmern. „Bitte nicht fotografieren“, sagt Bruder Sebastian.
Ihm ist das Kloster ans Herz gewachsen, sein Ruf ist ihm wichtig. Auch aus geschäftlichen Gründen. Seitdem die Anlage leer steht, bemüht er sich um einen Käufer – bisin her vergeblich. „Ein ganzes Kloster verkauft man nicht mal eben so.“Bürgermeister Karl Wiedenmann wäre der Umbau zum Tagungshotel am liebsten. Er erhofft sich zahlungskräftige Geschäftsleute, die das Dorf beleben. Auch die Martinsklause
„Ich habe keine Angst. Was soll mir hier denn passieren?“Bruder Sebastian, einziger regelmäßiger Besucher des Klosters „Eine zusätzliche Wirtschaft würde unserer Gemeinde guttun.“
könnte dann wieder eröffnen. Die Gaststätte auf dem Klostergelände ist geschlossen, seitdem kein Geistlicher mehr dort wohnt. „Eine zusätzliche Wirtschaft würde unserer Gemeinde guttun“, sagt Wiedenmann. Bruder Sebastian wünscht sich vor allem, dass der neue Besitzer das Kloster erhält. „Aber ich weiß, heutzutage gibt es dafür kaum Nachwuchs“, sagt er.
Es geht hinauf in den zweiten Stock, vorbei an den ehemaligen Abtzimmern, edel ausgestattet mit Parkett und Kronleuchter. Im Dachboden fristen Holzbänke und zerbrochene Kirchenfenster ihr Leben im Ruhestand.
Nach dem West- noch ein Abstecher in den Ostflügel, heraus in den Innenhof. Dort zeigt sich, dass der Rundgang des Geistlichen nicht umsonst war. Kurz bevor er fahren will, entdeckt er, dass der Sturm an einem Wohnhaus mehrere Dachziegel gelöst hat. „Dafür muss ich einen Dachdecker holen, ansonsten regnet es herein.“