Mittelschwaebische Nachrichten

Man muss es wagen, selbst zu denken

Journalist­in und Autorin Sineb El Masrar räumt mit Klischees auf und ermutigt Frauen zur Emanzipati­on

- VON DR. HEINRICH LINDENMAYR

Krumbach Man merkte Sineb El Masrar bei ihrer Lesung in Rahmen des „Literaturh­erbst Krumbach“die Freude an, Klischees zu entlarven. Eine landläufig­e Vorstellun­g beispielsw­eise besage, eine Muslimin dürfe sich nur so weit von Ehemann und Herd entfernen, wie ein Kamel Schritte tun könne. Aber ein Kamel könne am Tag über 80 Kilometer laufen, und das sei im kleinräumi­gen Deutschlan­d doch eine respektabl­e Entfernung. Sineb El Masrar hat zwei Bücher über Rolle und Selbstvers­tändnis muslimisch­er Frauen geschriebe­n, aus denen sie zum Auftakt der „Interkultu­rellen Woche des Landkreise­s Günzburg“vorlas. Aufklären wolle sie, Vorurteile und falsche Vorstellun­gen ausräumen, gegen Pauschalur­teile und Vereinfach­ungen vorgehen, erklärte sie, als sie sich vorstellte. Den Islam gebe es nicht, sondern eine große Vielfalt an Strömungen innerhalb des Islam, darunter auch sehr offene und zukunftwei­sende. Man müsse also nichts hinnehmen, was im Namen Allahs verbreitet werde. Man müsse es wagen, selbst zu denken, zu hinterfrag­en, Rechtferti­gung zu fordern. Mit solch einer Haltung könne auch eine emanzipier­te Frau Muslimin sein. Historisch gesehen, habe der Islam die Position der Frau gestärkt, meinte El Masrar. Sie habe Rechte bekommen, auch das Recht der freien Wahl des Ehemannes und Sicherheit­en durch den Ehevertrag. Damit wären muslimisch­e Frauen über Jahrhunder­te hinweg deutlich bessergest­ellt gewesen als Frauen im christlich­en Europa.

Auch wenn sich die Verhältnis­se mittlerwei­le verkehrt hätten, so sei die Unterdrück­ung der Frau keineswegs durch den Koran zu rechtferti­gen. Das sei Verrat an Gott und dem Propheten, behauptete El Masrar. Die Unterdrück­ung der Frau deutete sie als Reflex der Unfähigkei­t der Männer. Diese könnten nicht gebären, weigerten sich, die Kindererzi­ehung zu übernehmen, wären unfähig, Geld zu verdienen und gleichzeit­ig einen Haushalt zu führen. Wer auf ein vernünftig­es und gleichbere­chtigtes Verhältnis der Geschlecht­er zueinander setze, müsse in der Erziehung zugleich die Mädchen und die Jungen stärken.

Es waren zwei selbstbewu­sste, hochintell­igente, redegewand­te und gut gekleidete muslimisch­e Frauen, mit denen sich Moderator Marc Hettich im zweiten Teil des Abends auf der Bühne unterhielt. Zu Sineb El Masrar gesellte sich Yasemin Arpaci, Managerin bei Magirus in Ulm.

El Masrar argumentie­rte auf dem Podium eher theoretisc­h, Arpaci pragmatisc­h. Es gebe im Koran keine Vorschrift zur Verhüllung, meinte El Masrar zur Frage, warum sie kein Kopftuch trage. Ihre Identität hänge nicht an einem Stück Stoff. Im Geschäftsl­eben habe das Kopftuch nichts zu suchen, erklärte Arpaci. Während El Masrar immer wieder auf die Vielfalt der Positionen des Islam verwies und für eine differenzi­erte Auseinande­rsetzung plädierte, beklagte Arpaci den Trend zu Polarisier­ung und Vereinfach­ung. Der aber sei nicht auf die Türkei und die arabischen Staaten zu beschränke­n, er gewinne auch in der Europäisch­en Union und in Deutschlan­d an Boden. Als einen wichtigen Schritt zur Begegnung und Verständig­ung und ein lebendiges Zeichen der Integratio­n nannte Meinrad Gackowski, Integratio­nsbeauftra­gter des Landkreise­s Günzburg, die „Interkultu­relle Woche“. Gelegenhei­t zum Erleben orientalis­cher Musik bekamen die Besucher beim Liedvortra­g von Elif Polat, ein orientalis­ches Buffet bot sich ihnen in der Pause.

 ?? Foto: Dr. Heinrich Lindenmayr ?? Über die Emanzipati­on muslimisch­er Frauen diskutiert­en (von links) Magirus-Managerin Yasemin Arpaci, Moderator Marc Hettich und Buchautori­n Sineb El Masrar auf der Bühne der Aula des Krumbacher Schlosses.
Foto: Dr. Heinrich Lindenmayr Über die Emanzipati­on muslimisch­er Frauen diskutiert­en (von links) Magirus-Managerin Yasemin Arpaci, Moderator Marc Hettich und Buchautori­n Sineb El Masrar auf der Bühne der Aula des Krumbacher Schlosses.

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