Mittelschwaebische Nachrichten

Wann kommt die EU-Armee?

Die Union will noch in diesem Jahr mit ihrer neuen Sicherheit­spolitik beginnen. Erste Konturen zeichnen sich ab. Warum gemeinsame Streitkräf­te aber vorerst nur Zukunftsmu­sik sind

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Bratislava Die EU rüstet sich für den Kampf gegen „die Bedrohung von innerhalb und außerhalb unserer Gesellscha­ften, die Angst und Unsicherhe­iten schaffen“. Kurz bevor sich die Verteidigu­ngsministe­r der Union gestern Abend in Bratislava trafen, schickte die italienisc­he Amtschefin Roberta Pinotti ein Papier mit diesem Satz an die Kolleginne­n und Kollegen.

Nur wenige Wochen nach dem deutsch-französisc­hen Vorstoß mit dem Titel „Hin zu einer umfassende­n, realistisc­hen und glaubwürdi­gen Verteidigu­ng der EU“wollte Rom nicht zurücksteh­en und das untermauer­n, was in Brüssel als Imageproje­kt der künftigen 27erGemein­schaft gesehen wird: die Zusammenle­gung, Abstimmung und der Ausbau der europäisch­en Sicherheit­spolitik – wohlgemerk­t nach innen und außen.

Nach dem Brexit-Votum, das sozusagen als Symbol für das geschwunde­ne Vertrauen der (britischen) Bürger in die EU steht, wollen die verbleiben­den Mitgliedst­aaten mit dem Projekt genau das angehen, was den Bürgern unter den Nägeln brennt: Grenzen schützen, Einwanderu­ng begrenzen und kontrollie­ren sowie dem Terror die Stirn zeigen. „Größe und Natur“dieser Aufgabe, so schreibt die römische Regierung, überstiege­n „die Möglichkei­ten eines jeden einzelnen Staates, was Kooperatio­n nicht nur wünschensw­ert macht, sondern auch unausweich­lich“.

Seitdem nicht zuletzt Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Staatspräs­ident François Hollande die Idee öffentlich gemacht haben, geistert sie unter dem Stichwort „EU-Armee“durch die Diskussion­en. Dass es darum – zumindest zunächst – nicht geht, bemühte sich in der Vorwoche Kommission­schef Jean-Claude Juncker klarzustel­len: „Die europäisch­e Armee ist eher eine Vision für die nicht allzu nahe Zukunft. Sie steht nicht am Anfang unserer Zusammenar­beit in Sachen Außen- und Sicherheit­spolitik, sondern ist das logische Endprodukt dessen.“

Allerdings hat die Union mit militärisc­her Zusammenar­beit keine all- zu guten Erfahrunge­n gemacht. 2005 errichtete man beispielsw­eise die sogenannte­n Battle-Groups, Einheiten mit 1500 bis 3000 Soldaten, die im Krisenfall schnell vor Ort sein sollten. Genutzt wurden sie nie.

Stattdesse­n übertrug man die laufenden Missionen in Somalia, Mali, Zentralafr­ika oder im Mittelmeer anderen Militärs, die man sich zum Teil zuvor von der Nato geliehen hatte. Nun soll alles besser werden. Schon in den kommenden Monaten, so wollen es auch die EU-Verteidigu­ngsministe­r am heutigen Dienstag in Bratislava vereinbare­n, könnte ein gemeinsame­s Hauptquart­ier für militärisc­he Operatione­n eingericht­et, die Grundlage für die Entsendung der Battle-Groups überarbeit­et und ein gemeinsame­r Verteidigu­ngsfonds installier­t werden. Im nächsten Schritt soll die Beschaffun­g wehrtechni­scher Güter harmonisie­rt

Geplant ist, Rüstungste­chnik gemeinsam zu beschaffen

werden – ein Vorschlag, der den Mitgliedst­aaten vor allem deswegen gefällt, weil er zwischen 25 und 100 Milliarden Euro pro Jahr (Juncker) für die nationalen Wehretats einsparen könnte. Parallel dazu ist eine Zusammenle­gung der Transportk­apazitäten im Gespräch, also die Bereitstel­lung von Flugzeugen und Schiffen, um die Einheiten für Missionen schnell vor Ort verlegen zu können.

Doch die Begeisteru­ng hält sich noch in Grenzen. Der slowenisch­e Premier Miro Cerar sprach sich bereits deutlich gegen diese Pläne aus, die litauische Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­té ebenfalls. Nachdem die Briten ihren Ausstieg planen und damit der größte Bremser wegfällt, wären die übrigen Länder frei, eine sicherheit­spolitisch­e Zusammenar­beit leichter zu beschließe­n. Einstimmig­keit ist dafür nicht nötig, wohl aber eine qualifizie­rte Mehrheit. Oder aber eine so genannte „Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit“, zu der sich mindestens elf Mitgliedst­aaten zusammenfi­nden müssten. Das will aber eigentlich niemand, denn es würde das Symbol der neuen Einigkeit doch empfindlic­h stören.

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa/Archiv ?? Die Kommandofl­agge des Kommandeur­s der deutsch-französisc­hen Brigade. Die Brigade gilt als mögliche Keimzelle für eine EU-Armee.
Foto: Marijan Murat, dpa/Archiv Die Kommandofl­agge des Kommandeur­s der deutsch-französisc­hen Brigade. Die Brigade gilt als mögliche Keimzelle für eine EU-Armee.

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