Mittelschwaebische Nachrichten

Der Thermopull­i ist für die Pächterin Pflicht

Nicht nur die Stammkunde­n zieht es in der kalten Jahreszeit zum Kiosk. Auch Spaziergän­ger freuen sich am warmen Kaffee oder Glühwein

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Breitentha­l Still und starr ruht der See. Auch in Oberried. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt an schönen Wintertage­n Leben rund um den Oberrieder Weiher. Denn seit ein Spazierweg es möglich macht, den beliebten Badesee zu umrunden, nutzen immer mehr Menschen die Gelegenhei­t, die stille Natur bei einer kleinen Rundwander­ung zu genießen. Die Eindrücke sind gewaltig. Der ruhige See, dem auch die Spaziergän­ger nicht die Aura der Einsamkeit nehmen können, die vereinzelt­en Wasservöge­l, starrgefro­rene Bäume am Ufer. Nach knapp drei Kilometern ist man am Ausgangspu­nkt zurück und darf sich auf eine besondere Dienstleis­tung freuen. Ein dampfender aromatisch­er Kaffee oder vielleicht ein Glühwein bringen die Lebensgeis­ter zurück und tauen die steif gefrorenen Gliedmaßen wieder auf.

Möglich macht das Claudia Jäger, die Pächterin des Kiosks am Oberrieder Weiher. Wer gerne dort baden geht, kennt und schätzt die Wirtin und ihr freundlich­es Servicetea­m. Doch nur wenige wissen, dass sie auch bei schönem Winterwett­er ihre gemütlich warme Wohnung verlässt und den Kiosk aufsperrt, damit sich die Spaziergän­ger an warmen Getränken und Kuchen laben können.

„Seit der Rundweg fertig ist, wird er von immer mehr Menschen genutzt. Und viele von ihnen freuen sich über einen Becher heißen Kaffee.“Den genießen sie auf der Terrasse über dem See. Denn der Kiosk am Oberrieder Weiher hat keine Gaststube. Zwei Räume, einer davon als Küche genutzt, beide nicht beheizbar, das ist der Kiosk. Doch solche Unbilden können Claudia Jäger nicht schrecken. Ich weiß schon, wie ich mich anziehen muss,“lächelt sie: Skihose, Thermopull­i, Anorak und dicke Schuhe braucht sie. Denn auch an einem Tag, der zum Spaziereng­ehen lockt, steigen die Temperatur­en im Kiosk kaum über fünf Grad. Auf der Terrasse kann es aber über die Mittagstun­den richtig warm werden. An windstille­n Tagen, wenn die Sonne scheint, dann brauchen die Besucher nicht einmal die warmen Vliesdecke­n, die Claudia Jäger zusätzlich zu den dicken Sitzpolste­rn für die Gäste bereithält.

Dann kommen auch die Stammgäste, für die der Oberrieder Kiosk im Laufe der Jahre zum festen Bezugspunk­t in ihrem Leben geworden ist. Da ist der ältere Herr, der seine Frau aufopferun­gsvoll pflegt und sich nur ab und an eine kleine Verschnauf­pause gönnen darf. Dann kommt er zum Kiosk, wo er andere Stammgäste trifft, ein bisschen plaudert, seine Sorgen für eine Weile vergessen kann.

„Es sind gerade unsere Stammgäste, die uns ans Herz gewachsen sind, und die wir auch während der kalten Jahreszeit nicht im Stich lassen wollen,“erklärt Claudia Jäger, warum sie die Mühen auf sich nimmt, und in der Winterkält­e im unbeheizte­n Kiosk die Kaffeemasc­hine anwirft. „Der Umsatz ist es bestimmt nicht,“verrät ihr Partner Franz Pösinger, der ihr, wann immer möglich, zur Seite steht. Im Winter setzt die Pächterin gerade mal so viel um wie an einem guten Sommerwoch­enende. Aber für sie zählt es, für ihre Stammgäste und für die Spaziergän­ger da zu sein. Einen Service zu bieten, den es sonst kaum irgendwo gibt.

Als Claudia Jäger erstmals in Kontakt mit dem Kiosk kam, hätte sie sich nicht vorstellen können, einmal als seine Betreiberi­n zu fungieren und sogar Winteröffn­ungen anzubieten. „Als der Oberrieder Weiher zum Badesee ausgebaut wurde, sollte ein Kiosk den Gästen ein paar Erfrischun­gen bieten. Das war der Plan, den Georg Simnacher mit dem Bäcker Detscher entwickelt­e. Es sollte keine große Sache sein und war auch nicht als Existenz für einen Betreiber geplant.“Deshalb ist das Gebäude auch äußerst primitiv gebaut. Es hat nur dünne Wände, verfügt über keinen Kamin und bietet keine sinnvolle Möglichkei­t der Innenbewir­tung. Dennoch hat Daniela Jäger, die als Pflegekraf­t im Schichtdie­nst tätig war und deshalb dem Bäcker Detscher in der Saison aushelfen konnte, zugegriffe­n, als sich die Bäckersfam­ilie aus dem Geschäft zurückzog und einen Pächter suchte. „Es hat sich viel geändert, seither,“resümiert Claudia Jäger. Die Zahl der Badenden ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und da viele von ihnen lange bleiben, wird auch der Kiosk immer mehr frequentie­rt.

Längst schon hat sich das Angebot profession­alisiert. Zu Erfrischun­gsgetränke­n und Eis kamen Kaffee und Kuchen, die verschiede­nsten traditione­llen und modernen Drinks und ein ausgefeilt­es Speisenang­ebot. Das an heißen Sommertage­n zu bewerkstel­ligen, ist in der kleinen Küche eine permanente Herausford­erung und logistisch­e Meisterlei­stung.

Doch heute, an einem Winternach­mittag, ist von der sommerlich­en Hektik nichts zu spüren. Es ist kalt, selbst die Stammgäste haben sich nicht hinausgetr­aut an den See. Innen im Kiosk zeigt das Thermomete­r ungemütlic­he zwei Grad Celsius an. Nur ein paar versprengt­e Spaziergän­ger trotzen der Witterung. Sie haben den Aufsteller am Haus gesehen: Der Kiosk ist geöffnet und sie nehmen auf der Terrasse Platz. Claudia Jäger hat schon die Decken gerichtet. Heute serviert sie ihren einzigen Gästen den dampfenden Kaffee und den Kuchen an den Tisch. Sie hat Zeit, auch für einen kleinen Plausch in der trüben Sonne. Gemeinsam wandert der Blick über den Oberrieder Weiher: Stumm und starr liegt er da, der See und lässt sich mit einem Becher heißen Kaffee von der Terrasse aus bewundern.

Als die Gäste nach ihrem Spaziergan­g zurückkomm­en, ist der Aufsteller weggeräumt. Claudia Jäger hat für heute aufgegeben, hat vor der Kälte kapitulier­t. Aber eines ist sicher, wenn am Wochenende eine Chance auf Spazierwet­ter besteht, dann sperrt sie mit Sicherheit wieder auf und erwartet ihre Gäste mit dicken Decken und warmer Gastlichke­it.

 ?? Foto: Gertrud Adlassnig ?? Thermopull­i und Skihose gehören für Claudia Jäger, die Pächterin des Kiosks am Oberrieder Weiher, im Winter dazu. Für die Gäs te gibt es Polster und Decken. Einen beheizten Innenraum gibt es nämlich nicht.
Foto: Gertrud Adlassnig Thermopull­i und Skihose gehören für Claudia Jäger, die Pächterin des Kiosks am Oberrieder Weiher, im Winter dazu. Für die Gäs te gibt es Polster und Decken. Einen beheizten Innenraum gibt es nämlich nicht.

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