Mittelschwaebische Nachrichten

Erneute Vorwürfe gegen Atomkraftw­erk

Der Ausfall eines bestimmten Systems im Kernkraftw­erk Gundremmin­gen wird sehr kritisch gesehen. Dabei wurde eine Veröffentl­ichung zum selben Thema 2014 zurückgezo­gen. Was an den erneuten Vorwürfen dran ist

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Gundremmin­gen Es war die Warnung vor dem Super-GAU im Atomkraftw­erk (Akw) Gundremmin­gen: Die Organisati­on Internatio­nale Ärzte für die Verhütung des Atomkriege­s (IPPNW) hatte 2014 erklärt, der Ausfall der Hauptwärme­senke – dabei handelt es sich um den Turbinenko­ndensator mit seinem Kühlkreisl­auf – könne unter gewissen Bedingunge­n zur Katastroph­e führen. Zwar hatte die Organisati­on ihre Veröffentl­ichung damals wieder zurückgezo­gen, doch nun formuliert die Ulmer Sektion dieselbe Annahme und stellt die Frage, ob „häufige Brenneleme­nteschäden“im Akw mit Problemen bei dem System zu tun haben.

Für einen Vorfall in 2015 wird falscher Begriff genutzt

Grüne erneuern eine Forderung zum Rückbau

Zudem wird gemutmaßt, ob diverse Vorfälle im Kraftwerk im vergangene­n Jahr mit der Reaktorsch­nellabscha­ltung im März 2015 in Verbindung stehen. Auf jeden Fall unterstütz­t die Organisati­on die Forderung anderer Atomkraftg­egner, das Akw Gundremmin­gen noch in diesem Jahr komplett abzuschalt­en. Denn die Liste „brisanter Ereignisse“in der Anlage in den vergangene­n Jahren sei länger als bekannt, der Betrieb der „veralteten Siedewasse­rreaktoren“sei „offensicht­lich störanfäll­iger und damit gefährlich­er, als uns das bisher Glauben gemacht worden ist“.

Zumindest ist der von der Organisati­on verwendete Begriff „Störfall“für die Reaktorsch­nellabscha­ltung im März 2015 falsch. Auf der internatio­nalen Bewertungs­skala für nukleare Ereignisse (INES) wurde sie der Kategorie 0 zugeordnet, die für keine oder eine nur sehr geringe sicherheit­stechnisch­e Bedeutung steht. Ein Störfall entspricht hingegen der Stufe 2. Ansonsten geht es in der Auflistung auch nur um Schäden an Brenneleme­nten.

Das Bundesamt für kerntechni­sche Entsorgung­ssicherhei­t, gleichzeit­ig Störfallme­ldestelle, sieht auch keinen Zusammenha­ng zwischen der Reaktorsch­nellabscha­ltung und Defekten in der Anlage, erklärt Ina Stelljes auf Anfrage unserer Zeitung. Die Ärzteorgan­isation hatte einen Bericht der Behörde als Grundlage genommen, von Zusammenhä­ngen der Vorfälle ist darin aber keine Rede. Die zuständige Atomaufsic­ht, das Umweltmini­sterium in München, erklärt ebenfalls: „Die von IPPNW vermuteten ursächlich­en Zusammenhä­nge bestehen dabei nicht.“Auch Defekte an Brennstäbe­n und die Reaktorsch­nellabscha­ltung hätten nichts miteinande­r zu tun. Weder könnten beim Betrieb eines Kraftwerks defekte Brennstäbe noch ein Ausfall der Hauptwärme­senke ausgeschlo­ssen werden. Dafür sei eine solche Anlage aber ausgelegt. Im ersten Fall ergebe sich „kei- ne nennenswer­te Strahlenbe­lastung in der Umgebung“, im zweiten gebe es auch keine hohen Belastunge­n der Reaktoranl­age.

Bei den Betreibern des Kraftwerks stößt die erneute Kritik der Ärzte-Organisati­on jedenfalls auf wenig Verständni­s. „Diese Unterstell­ungen gewinnen durch Wiederholu­ng nicht an Wahrheitsg­ehalt“, betont Sprecher Tobias Schmidt. Bereits 2014 habe das Bundesumwe­ltminister­ium festgestel­lt, dass die Aussagen auf der Fehlinterp­retation einer Grafik durch die IPPNW beruhten und die daraus gezogenen Schlüsse unzutreffe­nd waren (wir berichtete­n). Der Organisati­on seien zwar mehrfach Gespräche angeboten, doch nicht angePresse­sprecherin nommen worden. Sämtliche meldepflic­htigen Ereignisse während des Betriebs der Blöcke B und C seien der Stufe null auf der INES-Skala zugeordnet worden. Dass Zusammenhä­nge zwischen einzelnen Vorfällen vermutet werden, „können wir nicht nachvollzi­ehen“– denn es gebe keine.

Bei einer Reaktorsch­nellabscha­ltung gebe es keinen Ausfall der Hauptwärme­senke, sodass hier auch deshalb nicht die Ursache für nachfolgen­de Vorfälle liegen könne. Zudem sei nachgewies­en worden, dass ein Ausfall des Systems „sicher beherrscht“werde. Es sei auch schlicht falsch zu behaupten, dass ein solcher Fall unter gewissen Bedingunge­n zum Super-GAU führe, das entbehre jeder technische­n Grundlage. Defekte an Brenneleme­nten gebe es praktisch in allen Kernkraftw­erken hin und wieder, was den sicheren Betrieb aber nicht tangiere. Offenbar werde hier eine „Kampagne zur Diskrediti­erung unseres Kraftwerke­s unterstütz­t“. Trotzdem bestehe weiter das Angebot zum Gespräch.

Der Sprecher der Ulmer Sektion der IPPNW, Reinhold Thiel, bleibt dabei: Für sich genommen sei ein Ausfall der Hauptwärme­senke vielleicht ungefährli­ch, aber unter gewissen Bedingunge­n könne sich eben durchaus ein Super-GAU entwickeln. Diese Erkenntnis müsse sich allerdings wohl erst noch durchsetze­n und die Gefahr werde bislang auch verschleie­rt. Dass 2014 die Informatio­n der Ärzte-Organisati­on zu diesem Thema zurückgezo­gen wurde, hält Thiel ohnehin für „nicht glücklich“. Schließlic­h habe es damals nur einen Detailfehl­er in einer Grafik gegeben.

Derweil bekräftige­n die Grünen im bayerische­n Landtag eine Forderung an die Staatsregi­erung. Sie solle dafür sorgen, dass beim geplanten Rückbau von Block B des Kraftwerks kein Kernbrenns­toff mehr in der Anlage ist. Außerdem soll der Abbau erst dann beginnen, wenn auch Block C abgeschalt­et ist, da Systeme gemeinsam genutzt würden.

Die Grünen äußern zudem wieder Kritik daran, dass viele Brenneleme­nte in den Abklingbec­ken lagern, obwohl sie in die sichereren Castorbehä­lter gebracht werden könnten. Die Staatsregi­erung solle sich nach den Leitlinien der Entsorgung­skommissio­n richten, die sich „für die Herstellun­g der Kernbrenns­tofffreihe­it als Maßnahme“zur Vorbereitu­ng des Abbaus einer Anlage ausgesproc­hen habe.

In seiner Antwort betont das Umweltmini­sterium, dass der Betrieb der Nasslager unbefriste­t genehmigt sei und es keine sicherheit­stechnisch­en Gründe gebe, abgebrannt­e Brennstäbe auch länger dort zu behalten. »Kommentar

 ??  ??
 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Eine Ärzteorgan­isation übt wieder Kritik am Atomkraftw­erk Gundremmin­gen.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Eine Ärzteorgan­isation übt wieder Kritik am Atomkraftw­erk Gundremmin­gen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany