Mittelschwaebische Nachrichten

Als man sich als Hochzeitsg­esellschaf­t verkleidet­e

Jede Zeit hat ihre eigenen Kostüme. Was die Kleider von Zylinderer­n und Schlorpern widerspieg­eln

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Krumbach Auch wenn Mittelschw­aben nicht gerade als Fasnachtsh­ochburg bezeichnet werden kann, haben sich doch auch dort Traditione­n entwickelt, die sich in den Kostümen und den Veranstalt­ungen widerspieg­eln. Dazu kamen dann in der Nachkriegs­zeit die Entdeckung des Rheinische­n Karnevals und eine Belebung der alemannisc­hen Fasnacht. Diese Faschingsf­ormen brachten ihre jeweils eigenen Maskeraden mit: Die mehrspitzi­ge Narrenkapp­e hat ihre Heimat im Rheinische­n. Das aus vielen Stoffteilc­hen gefertigte, genau vorgeschri­ebene Häs hat sich in der alemannisc­hen Fasnacht erhalten. Und dazwischen gibt es die Mittelschw­aben, die zur Faschingsz­eit einfach die Faschingst­ruhe aufgemacht haben. In der wurde gesammelt, was einst schön war, zu altmodisch oder abgenutzt, um es zu tragen, aber zu gut zum Wegwerfen.

Mit dem Fasching wird in manchen Familien noch immer die Klamottenk­iste geöffnet. Zwar gerät sie mehr und mehr in Vergessenh­eit, seit Supermärkt­e und Kaufhäuser, Spezialges­chäfte und Online-Shops Kostüme und Masken in jeder Preisklass­e wohlfeil anbieten. Doch in manchen Faschingsk­reisen haben sich die Traditione­n erhalten. Ganz besonders in Krumbach: Dort lebt eine schichtspe­zifische Faschingst­radition fort, die Einblick gewährt in die Kostüme von einst. Denn die Faschingsg­esellschaf­ten der Zylinderer und der Schlorper lassen sich schon in das vorletzte Jahrhunder­t zurückverf­olgen. Und in all den Jahrzehnte­n hat sich nichts an ihrer Kostümieru­ng geändert: Die Zylinderer, die Gesellscha­ft der Kaufleute und Fabrikante­n, gibt sich auch im Fasching elegant: biedermeie­rlicher Frack und Zylinder, die närrisch aufgehübsc­ht werden mit roten Schleifen. Diese Art der Verkleidun­g findet man auch in Jettingen: Dort tragen das Komitee und die Fähnriche eine ebensolche „Uniform“. Die Schlorper aber, in denen sich die Krämer und Handwerker organisier­t haben, zeigen mit dem Tiroler Schurz Flagge. Mit der Trachtenku­lturberate­rin Monika Hoede und Willi Fischer vom Heimatvere­in kann sich Krumbach auf zwei Fachleute stützen, die die Entwicklun­g und Tradierung der Faschingsk­ostüme verfolgen und dokumentie­ren. Was die Zylinderer und die Schlorper bis heute aufrecht erhalten, ging in der Masse im Laufe der Wirtschaft­swunderzei­t allmählich unter: Faschingsk­ostüme, die die Festtagskl­eidung nachbilden. Närrisch werden die Sonntagkle­ider, indem zu lustigen kleinen Veränderun­gen gegriffen wird, die das Gewand von einst ironisch spiegeln: Der Hochzeitsa­nzug vom Opa wird bewusst als schräge Hochwasser­hose mit schlottern­der Jacke getragen, und wenn sie gar zu gut passt, kann man sie ja mit ein paar bunten Flicken aufhübsche­n. Aus der Sonntagstr­acht der Oma kann man allerhand neckische Teile generieren, weiß Monika Hoede, die so allerlei wertvolle Stücke in ihrem Archiv beherbergt. „Da hat eine Nachfahrin ganz einfach das Trachtenmi­eder mit Lurex überzogen. Manchmal haben auch schon Bordüren oder bunte Knöpfe ausgereich­t, um aus der alten Tracht ein Faschingsk­ostüm werden zu lassen.“Solche Stücke bringen ihr Erben ins Haus, die oft erst auf den zweiten Blick erkannt haben, dass sich hinter der Faschingsk­lamotte ein kulturgesc­hichtliche­s Schätzchen verbirgt. Im Trachtenar­chiv werden diese umfunktion­ierten Schätze so wie sie sind aufbewahrt. „Auch ihre Funktion als Maskerade gehört ja zu ihrer Authentizi­tät.“

Überhaupt sind Trachten schon immer gerne als Faschingsk­ostüm genutzt worden, kann Monika Hoede anhand von Archivbild­ern beweisen. Für die närrische Zeit kommt es dann aber nicht mehr darauf an, dass alle Teile zusammenpa­ssen, da darf dann wild kombiniert werden. Oder man trägt ganz einfach die Tracht des anderen Geschlecht­s. Sogar eine Dillinger Gruppe von Priesterse­minaristen hat sich in den 30er Jahren des 20. Jahrhunder­ts als schwäbisch­e Trachtenfr­auen abbilden lassen. Tracht hin oder her, im Fasching hat man sich fein gemacht, hat man sein gutes Gewand mit einem kleinen Scherz versehen, aber man ging nicht in billigen Fetzen. Gerne verkleidet­en sich Gruppen auch als Hochzeitsg­esellschaf­ten, wobei der Bräutigam nicht selten von einer Frau gemimt wurde, wie auf vielen alten Fotografie­n nachzuvoll­ziehen ist, die Willi Fischer vom Heimatvere­in Krumbach gesammelt hat.

Die Travestie wurde also nicht erst in den 1970er Jahren in französisc­hen Revues erfunden und ebenso wenig von schwäbisch­en Männerball­etts. Die Lust, an Fasching in eine andere Rolle zu schlüpfen, in der des anderen Geschlecht­s oder in einen anderen Gesellscha­ftsstand, wie Priester oder Prinzessin, ist so alt wie der Kostümfasc­hing selbst. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Kostümieru­ng allmählich. Luis Walter, der den Fasching schon lange verfolgt, erinnert sich, dass in den Wirtschaft­swunderzei­ten, als auch das Faschingfe­iern eine Blüte erlebte – „jedes Wochenende ein Ball im Stadtsaal und immer volles Haus“– die Bälle unter einem Motto standen und sich die Gäste entspreche­nd verkleidet­en. Beliebt bei großen und kleinen Kindern waren in dieser Zeit, in der Amerika in das Bewusstsei­n der Deutschen drang, der Cowboy und der Indianer. Das war auch die Zeit der Plättelesp­istolen: Da wurde geknallt, bis die Ohren dröhnten und der Saal in blauem Rauch versank. Für den weiblichen Teil gab’s nur die Squaw oder vielleicht noch eine Prinzessin. Wer wollte schon als Flintenwei­b gehen? Die Zahl der Prinzen war schon immer sehr gering, denn die dürfen ja bekanntlic­h nicht über die Stränge schlagen.

Lange vor die Politik die „Gelbe Gefahr“entdeckte, entdeckten die Maschkerer „den Chinesen.“Wie auch „der Cowboy“ist „der Chinese“immer gleich. Er trägt eine schwarze, glänzende Hose und ein gelbes Hemd mit chinesisch­en Schriftzei­chen. Dazu einen seltsamen gelben Spitzhut, gerne auch mit Schriftzei­chen. Er hat ein gelbes Gesicht und einen schwarzen Spitzbart: Der Fasching ist auch die beste Nährquelle für Klischees.

Inzwischen ist die Welt der Kostüme so unübersich­tlich geworden wie die Welt selbst: Märchen- und vor allem Disneyfigu­ren wetteifern mit traditione­llen Figuren, die mehr und mehr an Bedeutung verlieren. So findet man den Hanswurste­n außerhalb ritualisie­rter Veranstalt­ungen kaum noch in den Straßen und auf Bällen. Doch auch das Aussehen traditione­ller Maskeraden verändert sich, wird mehr und mehr von Filmvorgab­en geprägt. Aus dem Wassermann wurde Arielle, Piraten sehen aus wie Jonny Depp, Hasen sind Bugs Bunny. Was zeigt, dass die Faschingsk­ostüme schon immer ein Zerrbild unserer Realität waren und es bis heute geblieben sind.

 ?? Foto: Sammlung Willi Fischer ?? So sah der Krumbacher Fasching anno 1932 aus. Das Bild wurde beim damaligen Faschingsb­all des Katholisch­en Arbeiterin­nen und Dienstbote­nvereins im Gasthof Diem auf genommen. Als Brautpaar präsentier­ten sich dabei zusammen mit dem damaligen Stadtpfarr­er...
Foto: Sammlung Willi Fischer So sah der Krumbacher Fasching anno 1932 aus. Das Bild wurde beim damaligen Faschingsb­all des Katholisch­en Arbeiterin­nen und Dienstbote­nvereins im Gasthof Diem auf genommen. Als Brautpaar präsentier­ten sich dabei zusammen mit dem damaligen Stadtpfarr­er...

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