Mittelschwaebische Nachrichten

Trump kann auch anders

In seiner ersten Rede vor beiden Häusern des Kongresses appelliert der US-Präsident an die Gemeinsamk­eit. Aber der Republikan­er hält an seiner umstritten­en Agenda fest. Und dann gibt es noch einen sentimenta­len Moment

- VON THOMAS SEIBERT

Washington Als Donald Trump nach seiner ersten Ansprache vor beiden Häusern des US-Kongresses am Dienstagab­end das Rednerpult im Saal des Repräsenta­ntenhauses verlässt, reiben sich viele Beobachter die Augen. „So habe ich ihn noch nie reden hören“, sagt eine Moderatori­n im Fernsehsen­der CBS etwas verdattert. Sie und Millionen anderer Amerikaner haben einen ganz anderen Trump erlebt als den polternden Wahlkämpfe­r, den rauflustig­en Populisten und den großmäulig­en Präsidente­n einer chaotische­n Regierung, den sie bisher kannten.

In rund einer Stunde Redezeit geht Trump ein gutes Dutzend Mal auf die Opposition zu und ruft zu gemeinsame­n Gesetzentw­ürfen auf. „Warum tun wir uns nicht zusammen und erledigen die Arbeit?“, fragt er. Trumps Rede unterstrei­cht das Gemeinsame, betont das Wir statt das Ich und wäre als Ansprache zum Amtsantrit­t wahrschein­lich besser geeignet gewesen als die düstere Kampfrede, die er vor knapp sechs Wochen auf den Stufen des Kapitols hielt.

Die Antwort auf die Frage, was sich in diesen Wochen für Trump geändert hat, erklärt den versöhnlic­hen Ton, den der Präsident am Dienstag anschlägt: Der 70-Jährige hat entdeckt, dass Regieren mehr ist als die Unterzeich­nung von schlecht vorbereite­ten Präsidiald­ekreten. Trump hat gelernt, dass die Mehrheit seiner zerstritte­nen Republikan­ischen Partei im Kongress zu dünn und zu brüchig ist, um die gewünschte­n Gesetze durchzubri­ngen. Er braucht Verbündete. Schon in den Vortagen hat sich bei Trump ein Sinneswand­el angedeutet, etwa mit dem für den selbstherr­lichen Milliardär sehr untypische­n Eingeständ­nis, die Reform des Gesundheit­swesens sei außerorden­tlich komplizier­t. Im Wahlkampf hatte Trump als Volkstribu­n großmundig eine rasche Abschaffun­g des nach seinem Vorgänger benannten Gesundheit­ssystems Obamacare verlangt.

Dieses Projekt wird nun weit schwierige­r als gedacht, auch weil die Republikan­er im Kongress uneins sind und ohne eigenes Konzept dastehen. Beim besonders heiklen Thema der Einwanderu­ngspolitik zeigte sich Trump vor seiner Rede im Kongress ebenfalls bereit zu Zugeständn­issen. Sogar eine Amnestie für unbescholt­ene illegale Flüchtling­e ist laut Medienberi­chten möglich. Zudem ist seit etwa einer Woche die Zahl der berüchtigt­en frühmorgen­dlichen TrumpKomme­ntare auf Twitter drastisch zurückgega­ngen.

Im Kongress bekommt er am Dienstag die feindselig­e Stimmung bei den opposition­ellen Demokraten

Aus Protest kamen viele Frauen in Weiß

deutlich zu spüren. Viele ihrer Abgeordnet­en und Senatoren verweigern ihm den Applaus; demokratis­che Politikeri­nnen erscheinen in weißer Kleidung, um den für seine frauenfein­dlichen Äußerungen bekannten Präsidente­n an die Frauenrech­tsbewegung zu erinnern.

Am Pult bekräftigt Trump zwar seine politische­n Prioritäte­n: Steuersenk­ungen, Neuregelun­g des Gesundheit­swesens, mehr Geld fürs Militär, der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko, Einreisebe­schränkung­en als Mittel der Terrorabwe­hr. Doch er verbindet die Aufzählung immer wieder mit Einigkeits­appellen. Details nennt der Präsident nicht. Vor allem sagt er nicht, wie alles bezahlt werden soll.

Entschiede­n verurteilt er antisemiti­sche Ausschreit­ungen und die

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Foto: Chip Somodevill­a, afp „Die Zeit für banale Kämpfe ist vorüber“, sagte US Präsident Donald Trump vor bei den Häusern des Kongresses in Washington. Hinter ihm: Vizepräsid­ent Mike Pence (links) und Repräsenta­ntenhaus Sprecher Paul Ryan.

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