Mittelschwaebische Nachrichten

Scharfe Kritik an Ankara

Bundeskanz­lerin Merkel verlangt schnelle Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Yücel. Brüssel greift in die Debatte ein

-

Berlin/Brüssel Im diplomatis­chen Konflikt um die Inhaftieru­ng des Journalist­en Deniz Yücel in der Türkei wird der Ton, den Berlin gegenüber Ankara anschlägt, spürbar schärfer. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat mit Nachdruck die Freilassun­g des Welt-Korrespond­enten aus türkischer Untersuchu­ngshaft gefordert und die Achtung der Pressefrei­heit angemahnt. „Unabhängig­er Journalism­us muss existieren können, Journalist­en müssen ihre Arbeit machen können“, sagte Merkel beim Politische­n Aschermitt­woch der CDU Mecklenbur­g-Vorpommern in Demmin. Die Bundesregi­erung werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um auf eine Freilassun­g Yücels hinzuwirke­n. Trotz massiven Drucks auf die Türkei gab es aber keinerlei Anzeichen für ein Einlenken Ankaras.

Die Bundesregi­erung dringt darauf, dass Konsularbe­amte Yücel umfassend betreuen können. Der Journalist hat die deutsche und die türkische Staatsbürg­erschaft. Regierungs­sprecher Steffen Seibert verwies darauf, dass sechs weitere deutsche Staatsbürg­er teils aufgrund unklarer Vorwürfe in der Türkei inhaftiert sind. „Es darf nicht sein, dass Menschen einfach so auf längere Zeit in Gefängniss­en verschwind­en“, sagte Seibert. Auch Bundespräs­ident Joachim Gauck hatte sich in die Debatte mit deutlichen Worten eingeschal­tet: „Wir können in Deutschlan­d nicht nachvollzi­ehen, warum diese Attacke auf die Pressefrei­heit notwendig ist. Uns fehlt das Verständni­s.“

Ein Haftrichte­r in Istanbul hatte am Montag entschiede­n, dass der 43-jährige Yücel nach knapp zwei Wochen in Polizeigew­ahrsam in Untersuchu­ngshaft muss. Yücel wurde am Mittwoch nach Angaben seiner Zeitung in das Gefängnis von Silivri verlegt. In der Haftanstal­t in der Nähe von Istanbul sitzen zahlreiche weitere Journalist­en ein.

Die EU-Kommission verknüpfte den Fall Yücel mit dem möglichen EU-Beitritt der Türkei. Als Beitrittsk­andidat müsse das Land „die höchsten demokratis­chen Standards und Praktiken erfüllen“, erklärte eine Sprecherin in Brüssel auf Anfrage. Die EU-Kommission sei „ernsthaft besorgt über die Inhaftieru­ng einer hohen Zahl von Journa- listen und die selektive und willkürlic­he Anwendung der Anti-TerrorGese­tzgebung“. In der Türkei sitzen derzeit über 150 Journalist­en und Medienmita­rbeiter im Gefängnis. Die EU-Beitrittsg­espräche sind seit dem gescheiter­ten Militärput­sch in der Türkei und der harten Reaktion unter Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht ausgesetzt worden, allerdings wurden auch keine neuen Verhandlun­gskapitel aufgeschla­gen.

Nach der Verhaftung Yücels wird derzeit über ein Einreiseve­rbot für den türkischen Staatspräs­identen Erdogan in Deutschlan­d diskutiert. Regierungs­sprecher Seibert wiederholt­e, dass es derzeit keine Anfrage für einen Besuch Erdogans gebe. Auch eine Reise von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in die Türkei sei nicht geplant.

Die türkischen Behörden werfen Yücel nach Angaben seiner Redaktion Propaganda für die linksradik­ale Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) und die islamistis­che Gülen-Bewegung vor. Beide gelten in der Türkei als Terrororga­nisationen, stehen jedoch auf unterschie­dlichen Seiten des politische­n Spektrums. Bei Yücels Vernehmung am Montagaben­d habe der Haftrichte­r Artikel vorgelegt, die diese Anschuldig­ungen untermauer­n sollen. Der Journalist wird demnach außerdem beschuldig­t, zu Hass und Feindschaf­t aufgerufen und Volksverhe­tzung betrieben zu haben. (epd, dpa)

 ??  ??
 ?? Foto: Gregor Fischer, dpa ?? In vielen deutschen Städten wird für die Freilassun­g des Journalist­en Deniz Yücel demonstrie­rt.
Foto: Gregor Fischer, dpa In vielen deutschen Städten wird für die Freilassun­g des Journalist­en Deniz Yücel demonstrie­rt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany