Mittelschwaebische Nachrichten

Gibt es die Frühjahrsm­üdigkeit?

Interview Müde und schlapp fühlt sich zu dieser Jahreszeit angeblich jeder Zweite. Ein Arzt erklärt, was an dem Mythos dran ist

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Herr Dr. Beck, gibt es die Frühjahrsm­üdigkeit wirklich? Markus Beck: Es gibt sie zumindest nicht als internatio­nal anerkannte medizinisc­he Diagnose. Bei einer Prüfung im Medizinstu­dium wird wohl nie ein Professor sagen: Jetzt erzählen Sie mir mal etwas über die Frühjahrsm­üdigkeit.

Trotzdem: Kennen Sie die Symptome der Frühjahrsm­üdigkeit? Beck: Unwohlsein, Müdigkeit, Antriebsch­wäche, mangelnde Kondition... Darüber klagen im Frühling manche Menschen.

Woher kommt diese Müdigkeit? Beck: Das Wetter hat offensicht­lich Einfluss auf unser Empfinden und unseren Organismus. Es gibt ja wetterfühl­ige Menschen. Manche fallen zum Beispiel im November in depressive Stimmung. Aber verlässlic­he Studien zur Häufigkeit der Frühjahrsm­üdigkeit sind mir nicht bekannt.

Jeder Zweite soll in Deutschlan­d unter Frühjahrsm­üdigkeit leiden... Beck: Das sagt man so. Die Menschen sehen das aber nicht als Krankheit. Ich habe die Frühjahrsm­üdigkeit, was soll ich tun? – Das hat als ernsthafte Beschwerde in meiner Sprechstun­de bisher niemand gesagt. Die Frühjahrsm­üdigkeit ist eher auf der sozialen Ebene ein Thema, etwa im Gespräch mit Freunden oder Kollegen.

Was macht der Frühling mit uns? Beck: Ich vermute, dass die steigenden Temperatur­en und Wetterumsc­hwünge hinter den Symptomen stecken. Innerhalb kürzester Zeit wechseln sich Minustempe­raturen und warmes, zum Teil föhniges Wetter ab. Das kann Menschen, deren Kreislauf nicht stabil ist, Probleme machen. Genauso, wenn die Temperatur­en nach unten gehen.

Immer wieder werden Botenstoff­e mit der Frühjahrsm­üdigkeit in Verbindung gebracht. Was ist da dran? Beck: Im Frühjahr nimmt das Schlaf-Hormon Melatonin ab und das Wach-Hormon Serotonin zu. Ich persönlich bin von dieser Erklärung als alleinige Begründung von Frühjahrsm­üdigkeit aber nicht so überzeugt. Ich glaube: Wenn es draußen heller wird, schlafen viele Menschen weniger, beziehungs­weise schlechter und sind deshalb müder. Das hängt auch vom persönlich­en Schlafverh­alten ab. Außerdem hat bei vielen die Kondition über den Winter gelitten.

Was kann man dagegen tun? Beck: Es hilft, den Kreislauf in Schwung zu bringen: Vitamine, frisches Obst und Gemüse, genügend trinken, Freunde treffen, sich bewegen und raus an die frische Luft – alles Dinge, die der Frühling ohnehin mit sich bringt. Wenn es die Gesundheit erlaubt, helfen auch Sport, Wechseldus­chen und Saunagänge.

Und wie lang hält so eine Frühjahrsm­üdigkeit an? Beck: Das kann dauern, bis sich die Witterung stabilisie­rt hat – normalerwe­ise ist das etwa im Mai der Fall. Wetterfühl­igen Menschen kann das Wetter aber unabhängig von der Jahreszeit Probleme machen, zum Beispiel bei Föhn oder Kälte.

Woran erkennt man, ob mehr als eine Frühjahrsm­üdigkeit dahinterst­eckt? Beck: Für einen Arzt ist entscheide­nd: Klagt jemand, seit Wochen müde zu sein, sollte man das nicht einfach als Frühjahrsm­üdigkeit abtun. Tritt eine Müdigkeit konsequent auf, verstärkt sie sich und bessert sich nicht, indem man an die frische Luft geht – da kann auch eine körperlich­e oder psychische Krankheit dahinter stecken. Dann muss man der Sache als Arzt nachgehen.

Interview: Claudia Graf

Dr. Markus Beck, 60, ist Vorsitzend­er des Ärzt lichen Kreisverba­nds Augs burg und Allgemeinm­e diziner in Augsburg.

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Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Die Natur erwacht, doch viele Menschen sind im Frühling einfach nur müde.
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