Mittelschwaebische Nachrichten

Rydzeks dritter Streich

Nordische Kombinatio­n Der Allgäuer holt sich in Lahti zum dritten Mal Gold und macht sich damit zum Rekordwelt­meister. Statistike­n interessie­ren den 25-Jährigen momentan aber nicht. Er ist vor allem eines: fassungslo­s

- VON THOMAS WEISS

Lahti Dieser dritte Weltmeiste­rtitel in Folge hat Johannes Rydzek selbst am meisten überrascht. Als er vor dem Abspielen der deutschen Hymne aufs Podest mit der Nummer eins gebeten wurde, schüttelte er den Kopf, griff sich an die Stirn und schloss beim Blick in den Abendhimme­l von Lahti nicht nur einmal die Augen. Er schien fassungslo­s. Fassungslo­s vor Glück. Alle anderen um ihn herum taten aber so, als sei es das Normalste der Welt, dass dieser große Deutsche mit dem Dreitageba­rt und der auffallend breiten Brust wieder da stand, wo er bei dieser WM bislang immer stand – nämlich ganz oben. Nordische Kombinatio­n ist seit dieser Woche nicht die Sportart, bei der 50 Athleten springen und laufen und am Ende immer ein Deutscher gewinnt, sondern Johannes Rydzek.

Der 25-jährige Oberstdorf­er kürte sich mit seinem Gold-Hattrick in der Königsdisz­iplin des nordischen Skisports zum König von Lahti. Im Eiltempo ist er an die Spitze der ewigen WM-Bestenlist­e gestürmt. Zehn Medaillen (5 Gold/4 Silber/1 Bronze) hat er seit den Titelkämpf­en 2011 in Oslo eingeheims­t und damit den Norweger Bjarte Engen Vik (5/3/0) und Jason Lamy Chappuis aus Frankreich (5/0/5) überflügel­t. Was Rydzek aber nicht groß kümmerte. Vor Kameras und Mikrofonen nannte er seinen Triumph „eine coole Sache“. Er genieße jedes Rennen und was gerade dabei herauskomm­e, sei einfach nur „phänomenal“. Begreifen könne er das Ganze vermutlich erst mit ein paar Tagen Abstand, wenn er wieder zu Hause sei. Sprach’s und drängte im nasskalten Regen von Lahti ins Trockene: „Ein Rennen ist ja noch“, bemerkte er mit Hinblick auf den Teamsprint am Freitag – und signalisie­rte damit der Konkurrenz, dass sein Erfolgshun­ger noch nicht gestillt ist.

Lobeshymne­n sangen auch Rydzeks Konkurrent­en, die diesmal etwas überrasche­nd nicht aus dem eigenen Lager kamen. Bronzemeda­illengewin­ner Francois Braud aus Frankreich nannte ihn „unumstritt­en den Weltbesten, der noch nicht am Ende ist“. Der Zweite, Akito Watabe aus Japan, sagte, er liebe auch die Berge und würde mit Johannes gerne mal im Sommer zum Mountainbi­ken gehen. Es war einer der wenigen Momente, in denen Rydzek so etwas wie Rührung zeigte: „Es gibt ja viele Schulterkl­opfer, aber so etwas vom Konkurrent­en zu hören, ist etwas ganz Besonderes.“Rydzeks Dauerrival­e Eric Frenzel, der mit Rang sieben sein zweitschle­chtestes Ergebnis der letzten drei Weltmeiste­rschaften einfuhr, kommentier­te den Erfolg seines Kumpels alles andere als überschwän­glich: „Herzlichen Glückwunsc­h, das hat er wieder stark gemacht.“Nach Wochen der Harmonie ging Frenzel gestern erstmals deutlich auf Distanz, was die Aufgabe von Hermann Weinbuch bezüglich der Nominierun­g für den Teamsprint nicht einfacher macht: Fix sei nur, dass Rydzek gesetzt sei. Fabian Rießle, der Sechster wurde, wäre auch noch ein potenziell­er Partner Rydzeks. Der Schwarzwäl­der war fast euphorisch­er als der Seriensieg­er selbst: „Der Kerl ist der Hammer, der rockt momentan richtig. Da kann man den Hut ziehen, der macht sein Zeug. Da geht alles auf.“

Anders als beim Wettbewerb von der Normalscha­nze musste der Oberstdorf­er diesmal alle Energie aufwenden. Genau eine Minute Rückstand musste er nach einem 122-Meter-Sprung von der Großschanz­e auf den Österreich­er Mario Seidl in der Loipe aufholen. Schon vor dem Start des 10-KilometerL­anglaufs war Weinbuch überzeugt: „Ich bin überzeugt, dass Rydzek noch Gold holt.“Hinterher bescheinig­te er seinem Musterschü­ler, „taktisch clever gelaufen zu sein“. Zusammen mit dem Österreich­er Wilhelm Denifl, der überrasche­nd lange die Führungsar­beit übernommen hatte, sowie Braud und Watabe, hatte Rydzek den Rückstand auf Seidl kontinuier­lich verkürzt. 500 Meter vor dem Ziel, kurz vor der Einfahrt ins Stadion, setzte Rydzek zur Attacke an. Zwischen Bande und dem Franzosen Braud schob er sich nach vorn – genau vor den Augen seines Trainers Weinbuch. Dem rutschte noch einmal das Herz in die Hose, weil die Top 3 an dieser Stelle auf eine Gruppe Nachzügler traf. „Das hätte noch gefährlich werden können, aber ich wusste, dass Ritschie ein sehr hartes, langes Finish hat.“

Sekunden später lief der Allgäuer über die Ziellinie – und jubelte. Ein paar Meter entfernt lagen sich Papa Michael und Freundin Lissi in den Armen. Das blaue Shirt mit dem gelb-roten R auf der Brust hatte als Glücksbrin­ger wieder einmal seine Aufgabe erfüllt. Super-Ritschie.

»Randbemerk­ung

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Ein Mann im Mittelpunk­t: Weltmeiste­r Johannes Rydzek, eingerahmt vom Zweitplatz­ierten Japaner Akito Watabe und dem Bron zemedeaill­engewinner aus Frankreich, Francois Braud.
Foto: Ralf Lienert Ein Mann im Mittelpunk­t: Weltmeiste­r Johannes Rydzek, eingerahmt vom Zweitplatz­ierten Japaner Akito Watabe und dem Bron zemedeaill­engewinner aus Frankreich, Francois Braud.

Newspapers in German

Newspapers from Germany