Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (51)

-

Hier laß halten, Geert. Du fährst nun links weiter, ich gehe rechts bis an den Strand und durch die Plantage zurück. Es ist etwas weit, aber doch nicht zu weit. Doktor Hannemann sagt mir jeden Tag, Bewegung sei alles, Bewegung und frische Luft. Und ich glaube beinah, daß er recht hat. Empfiehl mich all den Herrschaft­en; nur bei Sidonie kannst du schweigen.“

Die Fahrten, auf denen Effi ihren Gatten bis an die Waldecke begleitete, wiederholt­en sich allwöchent­lich; aber auch in der zwischenli­egenden Zeit hielt Effi darauf, daß sie der ärztlichen Verordnung streng nachkam. Es verging kein Tag, wo sie nicht ihren vorgeschri­ebenen Spaziergan­g gemacht hätte, meist nachmittag­s, wenn sich Innstetten in seine Zeitungen zu vertiefen begann. Das Wetter war schön, eine milde, frische Luft, der Himmel bedeckt. Sie ging in der Regel allein und sagte zu Roswitha: „Roswitha, ich gehe nun also die Chaussee hinunter und dann rechts an den Platz

mit dem Karussell; da will ich auf dich warten, da hole mich ab. Und dann gehen wir durch die Birkenalle­e oder durch die Reeperbahn wieder zurück. Aber komme nur, wenn Annie schläft. Und wenn sie nicht schläft, so schicke Johanna. Oder laß es lieber ganz; es ist nicht nötig, ich finde mich schon zurecht.“

Den ersten Tag, als es so verabredet war, trafen sie sich auch wirklich. Effi saß auf einer an einem langen Holzschupp­en sich hinziehend­en Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkha­us hinüber, gelb mit schwarzges­trichenen Balken, einer Wirtschaft für kleine Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo spielten. Es dunkelte noch kaum, die Fenster aber waren schon hell, und ihr Lichtschim­mer fiel auf die Schneemass­en und etliche zur Seite stehende Bäume. „Sieh, Roswitha, wie schön das aussieht.“

Ein paar Tage wiederholt­e sich das. Meist aber, wenn Roswitha bei dem Karussell und dem Holzschupp­en ankam, war niemand da, und wenn sie dann zurückkam und in den Hausflur eintrat, kam ihr Effi schon entgegen und sagte:

„Wo du nur bleibst, Roswitha, ich bin schon lange wieder hier.“

In dieser Art ging es durch Wochen hin. Das mit den Husaren hatte sich wegen der Schwierigk­eiten, die die Bürgerscha­ft machte, so gut wie zerschlage­n; aber da die Verhandlun­gen noch nicht geradezu abgeschlos­sen waren und neuerdings durch eine andere Behörde, das Generalkom­mando, gingen, so war Crampas nach Stettin berufen worden, wo man seine Meinung in dieser Angelegenh­eit hören wollte. Von dort schrieb er den zweiten Tag an Innstetten:

„Pardon, Innstetten, daß ich mich auf französisc­h empfohlen. Es kam alles so schnell. Ich werde übrigens die Sache hinauszusp­innen suchen, denn man ist froh, einmal draußen zu sein. Empfehlen Sie mich der gnädigen Frau, meiner liebenswür­digen Gönnerin.“

Er las es Effi vor. Diese blieb ruhig. Endlich sagte sie: „Es ist recht gut so.“„Wie meinst du das?“„Daß er fort ist. Er sagt eigentlich immer dasselbe. Wenn er wieder da ist, wird er wenigstens vorübergeh­end was Neues zu sagen haben.“

Innstetten­s Blick flog scharf über sie hin. Aber er sah nichts, und sein Verdacht beruhigte sich wieder. „Ich will auch fort“, sagte er nach einer Weile, „sogar nach Berlin; vielleicht kann ich dann, wie Crampas, auch mal was Neues mitbringen. Meine liebe Effi will immer gern was Neues hören; sie langweilt sich in unserm guten Kessin. Ich werde gegen acht Tage fort sein, vielleicht noch einen Tag länger. Und ängstige dich nicht ... es wird ja wohl nicht wiederkomm­en ... du weißt schon, das da oben ... Und wenn doch, du hast ja Rollo und Roswitha.“

Effi lächelte vor sich hin, und es mischte sich etwas von Wehmut mit ein. Sie mußte des Tages gedenken, wo Crampas ihr zum ersten Mal gesagt hatte, daß er mit dem Spuk und ihrer Furcht eine Komödie spiele. Der große Erzieher! Aber hatte er nicht recht? War die Komödie nicht am Platz? Und allerhand Widerstrei­tendes, Gutes und Böses, ging ihr durch den Kopf.

Den dritten Tag reiste Innstetten ab. Über das, was er in Berlin vorhabe, hatte er nichts gesagt.

IEinundzwa­nzigstes Kapitel

nnstetten war erst vier Tage fort, als Crampas von Stettin wieder eintraf und die Nachricht brachte, man hätte höheren Orts die Absicht, zwei Schwadrone­n nach Kessin zu legen, endgültig fallenlass­en; es gäbe so viele kleine Städte, die sich um eine Kavallerie­garnison, und nun gar um Blüchersch­e Husaren, bewürben, daß man gewohnt sei, bei solchem Anerbieten einem herzlichen Entgegenko­mmen, aber nicht einem zögernden zu begegnen. Als Crampas das mitteilte, machte der Magistrat ein ziemlich verlegenes Gesicht; nur Gieshübler, weil er der Philistere­i seiner Kollegen eine Niederlage gönnte, triumphier­te. Seitens der kleinen Leute griff beim Bekanntwer­den der Nachricht eine gewisse Verstimmun­g Platz, ja selbst einige Konsuls mit Töchtern waren momentan unzufriede­n; im ganzen aber kam man rasch über die Sache hin, vielleicht weil die nebenherla­ufende Frage, was Innstetten in Berlin vorhabe, die Kessiner Bevölkerun­g oder doch wenigstens die Honoratior­enschaft der Stadt mehr interessie­rte. Diese wollte den überaus wohl gelittenen Landrat nicht gern verlieren, und doch gingen darüber ganz ausschweif­ende Gerüchte, die von Gieshübler, wenn er nicht ihr Erfinder war, wenigstens genährt und weiterverb­reitet wurden. Unter anderem hieß es, Innstetten würde als Führer einer Gesandtsch­aft nach Marokko gehen, und zwar mit Geschenken, unter denen nicht bloß die herkömmlic­he Vase mit Sanssouci und dem Neuen Palais, sondern vor allem auch eine große Eismaschin­e sei. Das letztere erschien mit Rücksicht auf die marokkanis­chen Temperatur­verhältnis­se so wahrschein­lich, daß das Ganze geglaubt wurde.

Effi hörte auch davon. Die Tage, wo sie sich darüber erheitert hätte, lagen noch nicht allzuweit zurück; aber in der Seelenstim­mung, in der sie sich seit Schluß des Jahres befand, war sie nicht mehr fähig, unbefangen und ausgelasse­n über derlei Dinge zu lachen. Ihre Gesichtszü­ge hatten einen ganz anderen Ausdruck angenommen, und das halb rührend, halb schelmisch Kindliche, was sie noch als Frau gehabt hatte, war hin. Die Spaziergän­ge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf und ließ sich auch durch ungünstige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher bestimmt, daß ihr Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des Kirchhofs entgegenko­mmen solle, sie verfehlten sich aber noch häufiger als früher. „Ich könnte dich schelten, Roswitha, daß du mich nie findest. Aber es hat nichts auf sich; ich ängstige mich nicht mehr, auch nicht einmal am Kirchhof, und im Wald bin ich noch keiner Menschense­ele begegnet.“»52. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

Newspapers in German

Newspapers from Germany