Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Bau spaltet
Sind Steine unschuldig?
München Winfried Nerdinger, Architekturhistoriker und Gründungsdirektor des Münchner NS-Dokumentationszentrums, hat erneut in die Debatte um die künftige Innenund Außendarstellung vom Münchner Haus der Kunst eingegriffen – nachdem der britische Architekt David Chipperfield, der die Ausstellungshalle sanieren soll, vorgeschlagen hatte, jene Bäume zu fällen, die heute den NS-Bau seiner Meinung nach „kaschieren“.
Nerdinger erklärte in einem öffentlichen Vortrag in München unter dem Titel „Sind Steine unschuldig?“: Die Architektur des ursprünglich als „Haus der Deutschen Kunst“bezeichneten Gebäudes habe den Größenwahn der arischen Weltenherrscher spiegeln wollen. Aber: „Größenwahnsinnig war nur der Herrschaftsanspruch, die Architektur war es nicht.“
Nerdinger hält eine Dämonisierung von NS-Bauten für „völlig unsinnig“. Damit würden nur die von den Nazis behaupteten Wirkkräfte in die Gegenwart transportiert. Gleichwohl sei das „Haus der Kunst“als zentrales Propagandainstrument im „funktionalen Zusammenhang mit einer Ideologie“gestanden, die zum Holocaust geführt habe. Diese Ideologie bleibe mit dem Haus zeitlebens verbunden. Wer davon absehe, sei geschichtsblind, so Nerdingers Vorwurf an die früheren Verantwortlichen im „Haus der Kunst“. Erst Christoph Vitali, „Haus der Kunst“-Direktor von 1994 bis 2003, habe Hinweisschilder zur Geschichte des Baus anbringen lassen.
Dass die Bäume vor dem Bau nun gefällt und die Ehrenhalle zurückgebaut werden solle, sei ein angemessener Schritt – so man sich auch mit dem Haus als „materialisiertes Produkt rassistischer Ideologie und Propaganda“auseinandersetze, sagt Nerdinger. Gerade das aber wollten weder der „historisch unbedarfte“Chipperfield noch der derzeitige Direktor Okwui Enwezor. Deren Pläne seien erkennbar kommerziellen Interessen geschuldet. Auch 80 Jahre nach Eröffnung des Hauses sei keine Auseinandersetzung mit seiner Historie vorgesehen. (kna/AZ)