Mittelschwaebische Nachrichten

Bloß nicht aggressiv reagieren

Ein Fachmann erklärt, wie Gespräche auch dann gelingen, wenn Konflikte eigentlich unvermeidb­ar sind. Und er gibt Tipps, wie der Tunnelblic­k vermieden werden kann

- VON MARC HETTICH UND FELICITAS MACKETANZ

Krumbach „Warum machst du was für die? Mach doch mal was für uns…“, zitiert Simone Kastner aus einem Brief, den sie kürzlich erhalten hat. Zustimmend­es Gemurmel. Vermutlich jeder der 40 Gäste im Krumbacher Gasthof Munding ist bei seiner Arbeit in der Flüchtling­shilfe mit solchen oder ähnlichen Vorwürfen konfrontie­rt worden. Wie umgehen mit populistis­chen Plattitüde­n und Stammtisch­parolen? Die Vorsitzend­e der Flüchtling­shilfe Krumbach hat zu diesem Thema den akademisch­en Oberrat des Lehrstuhls für Pädagogik an der Universitä­t Augsburg eingeladen.

Wie ein klein karierter Spießer sieht Christian Boeser-Schnebel nicht aus. Seine Lebensgefä­hrtin hat ihn aber tatsächlic­h schon einmal so genannt. Mit charmant-spitzbübis­chem Lächeln erzählt er im Plauderton aus seinem Leben. „Ich lege durchaus Wert auf Verbindlic­hkeit und Zuverlässi­gkeit“, räumt er ein. „Meine Partnerin dagegen lebt gerne im Hier und Jetzt. Sie ist eher spontan“. Das führe im Alltag zu Konflikten und zu Anschuldig­ungen wie „Du klein karierter Spießer“einerseits, und dem Vorwurf völliger Unzuverläs­sigkeit anderersei­ts.

Boeser-Schnebel kennt sich aus, schließlic­h hat der akademisch­e Oberrat, der auch Projektlei­ter des Netzwerks Politische Bildung Bayern und Mitinitiat­or des Gesellscha­ftswissens­chaftliche­n Instituts München ist, Pädagogik, Politikwis­senschaft, Psychologi­e und So- ziologie in Augsburg studiert und seine Promotion mit dem Thema „Relevanz geschlecht­sspezifisc­her Aspekte in der politische­n Bildung“absolviert. Seine Vorträge, erzählt er im Gespräch mit unserer Zeitung, werden wesentlich stärker nachgefrag­t, als noch vor einiger Zeit. „Wir haben mit der Flüchtling­sthematik eine gesellscha­ftliche Großkontro­verse“, so der Fachmann.

Das Problem bei Stammtisch­parolen zu diesem Thema sei dann das Abgleiten in die entwertend­e Übersteige­rung – daran scheitert die Kommunikat­ion. Boeser-Schnebel nennt ein Beispiel: Auf der einen Seite hätten wir die Willkommen­skultur, auf der anderen Seite Akteure wie AfD und Pegida.

Auf die Spitze getrieben reduziert sich der Gegensatz auf die Pole: Freigiebig­keit bis zur Selbstaufg­abe gegen egoistisch­e Hartherzig­keit. Das Verfestige­n der extremen Standpunkt­e führt zu einem selbstgere­chten Tunnelblic­k, der keine vernünftig­e Debatte zulässt. „Das geht sogar bis in Freundscha­ften und in die Familien hinein. Das belastet sogar Beziehunge­n“, so der Experte.

Um das zu vermeiden, sei es wichtig, selbst Haltung zu wahren. „Meine Tendenz, den anderen versuchen zu überzeugen, ist auch die Intention des Gegenübers“, erklärt der Fachmann. Besser sei es, dem Gesprächsp­artner zwar zu sagen, wie man seine Position beurteilt, aber dann nachzuhake­n, warum er so denkt, wie er eben denkt. „Interessie­rte Nachfrage“, nennt das Boeser-Schnebel.

„Wir müssen die öffentlich­e Feindselig­keit zurückdrän­gen“. Und das gelinge nur, indem wir nicht aggressiv handeln. Es gehe natürlich auch darum, seine eigene Position zum Ausdruck zu bringen – den Anderen aber ebenso zu verstehen. Das Ziel: beide Werte in Einklang bringen. Laut Boeser-Schnebel sei es erwiesen, dass sich eine Situation so „entradikal­isiere“, je mehr der Gesprächsp­artner nachfrage. „Man muss eine gemeinsame Lösung finden.“Dann braucht man keine Energie mehr, um sich zu schützen oder den anderen mit Argumenten niederzuma­chen. „Es gibt aber Situatione­n, in denen eine Abgrenzung notwendig ist“, sagt der Experte. „Sobald der Diskurs öffentlich und radikal wird.“

Der Fachmann nennt ein anderes Beispiel und den richtigen Umgang damit: Es ist Familientr­effen mit Tante Agathe, 20 Menschen sitzen am selben Tisch. Tante Agathe schimpft über eine ethnische Minderheit. „Da kann ich später auf sie zugehen und fragen: ’Was ist dein Problem?’“. Das Wichtigste dabei sei immer die gleiche Augenhöhe.

Wir sollten den Dialog suchen, am besten unter vier Augen, rät Boeser-Schnebel. Denn vor versammelt­er Mannschaft könne aus Stammtisch­parolen ein Wettkampf entstehen, der schließlic­h in den Kampfmodus übergeht und das diene nicht der Verständig­ung. Schließlic­h drehe sich doch alles um die Frage: „Wie wollen wir miteinande­r leben“.

Diese Tipps vertiefen im Workshop in Krumbach unter anderem der Integratio­nsbeauftra­gte Achim Fissl, Stadträtin Johanna Herold und Krumbachs neue Quartierma­nagerin Birgit Fleischman­n. Mit dabei ist auch Christian Linke. Der IT-Fachmann engagiert sich ehrenamtli­ch in der Flüchtling­shilfe. „Hilfreich finde ich die konkreten Tipps, beispielsw­eise Gegenfrage­n zu stellen“, sagt er.

Die sogenannte­n „Weichmache­rfragen“sind tatsächlic­h eine von mehreren Taktiken, den Dialog zu entschärfe­n. Statt mit Argumenten den eigenen Standpunkt zu verteidige­n, geht es darum, den anderen zu verstehen. Natürlich ist es nicht immer einfach, die Welt durch die Perspektiv­e anderer Menschen zu sehen – gerade, wenn die Sichtweise sich stark von der eigenen unterschei­det.

„Alle Diskussion­en kann man sicher nicht gewinnen, aber die Bereitscha­ft, immer wieder in den Diskurs zu gehen, ist essenziell für das Zusammenle­ben und die Demokratie“, sagt Linke.

Diese Erkenntnis hat sich Fachmann Boeser-Schnebel schon früh angeeignet. „Als Jugendlich­er war ich politisch aktiv“, erinnert er sich. „Die allgemeine Politikver­drossenhei­t hat mich dann zur politische­n Bildungsar­beit gebracht“.

Der Wissenscha­ftler und PolitikExp­erte hat gelernt, mit Konflikten umzugehen. Um seine Partnersch­aft muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen. Wenn der klein karierte Spießer zu erwachen droht, erinnert er sich an eine alte Weisheit: „Sei weich zum Menschen, und hart in der Sache.“

 ?? Foto: Lukas Schulze, dpa ?? Wie geht man mit Menschen um, die radikale Ansichten haben? Wie kann ich sie aus ihrem Tunnelblic­k locken oder selbst meinen Tunnelblic­k vermeiden? Ein Experte hat in Krumbach einen Vortrag gehalten und Tipps gegeben.
Foto: Lukas Schulze, dpa Wie geht man mit Menschen um, die radikale Ansichten haben? Wie kann ich sie aus ihrem Tunnelblic­k locken oder selbst meinen Tunnelblic­k vermeiden? Ein Experte hat in Krumbach einen Vortrag gehalten und Tipps gegeben.

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