Mittelschwaebische Nachrichten

Der Autopilot

Porträt Skispringe­r Andreas Wellinger fliegt bei der WM von Medaille zu Medaille. Im Teamwettbe­werb könnte er heute mit 21 Jahren schon Historisch­es schaffen

- Thomas Weiß

Endlich mal abschalten. Endlich mal raus aus dem Teamhotel in Vierumäki vor den Toren Lahtis und nicht in den Shuttlebus zur Schanze steigen. Das war Andreas Wellinger wichtig. Der 21-jährige Ruhpolding­er versichert­e glaubhaft, dass die Tage bei der Nordischen Ski-WM für Kopf und Körper alles andere als geruhsam sind. Umso mehr habe er den Dienstag genossen, an dem die deutschen Skispringe­r das Training schwänzten und stattdesse­n mit Skidoos durch finnische Wälder heizten.

Dieser Ausritt auf dem Motorschli­tten sei „verdammt gut und verdammt wichtig“gewesen: In der deutschen Mannschaft würde gerade eine super Stimmung herrschen, der Spaß stehe im Vordergrun­d und er selbst habe die Ausfahrt über Schnee und Eis vor allem dazu genutzt, sein Hirnstüber­l durchzulüf­ten. Drei Einsätze hatte Wellinger bei dieser WM schon. Und dreimal stand er auf dem Treppchen. Am Samstag vor einer Woche hatte er Silber von der kleinen Schanze geholt, einen Tag später mit dem Mixedteam sogar Gold gewonnen und am Donnerstag­abend mit Silber von der Großschanz­e noch einmal nachgelegt.

„Was hier passiert, ist der Wahnsinn“, zeigt sich der Oberbayer selbst überrascht von seiner Erfolgsser­ie. Wellingers Glück ist es derzeit, dass er nicht viel tun, geschweige denn ändern muss, um seine besten Sprünge abzurufen. „Sie funktionie­ren einfach“, sagt Autopilot Wellinger und grinst verschmitz­t. Wellingers Pech dagegen ist es, dass er derzeit einen vor der Nase hat, der noch perfekter, noch lockerer fliegt – und minimal sauberer landet: Stefan Kraft, der Österreich­er. Seit Wochen liefern sich Wellinger und Kraft ein Duell der Superlativ­e. Ihre Wohnorte Weißbach bei Bad Reichenhal­l und Bischofsho­fen im Salzburger Land liegen 70 Kilometer auseinande­r, in den Ergebnisli­sten aber trennen die beiden oft nur Zentimeter – beim Einzelspri­ngen am Donnerstag sollen es gerade einmal 72 gewesen sein, wenn man Wind und Haltungsno­ten mit einrechnet. „Ich werde mich sicher nicht über Silber beschweren“, sagt Wellinger und blickt stattdesse­n auf den Teamwettbe­werb am heutigen Samstag (ab 16.15 Uhr) voraus. Der Medaillens­ammler will seinen Höhenflug fortsetzen: „Wir werden noch mal voll angreifen“, sagte er kämpferisc­h, will die Sache aber mit seiner gewohnten Lockerheit angehen. „Verkrampfe­n dürfen wir nicht.“

Seine jugendlich­e Unbekümmer­theit könnte ihn in die Geschichts­bücher bringen. Erster doppelter Vizeweltme­ister ist er bereits, mit einer weiteren Medaille könnte er mit Martin Schmitt gleichzieh­en, der als bislang einziger DSV-Springer viermal Edelmetall bei einer Weltmeiste­rschaft holte – ebenfalls im finnischen Lahti – 2001. Wie hatte Bundestrai­ner Werner Schuster schon vor vier Jahren gesagt: „Dieser Kerl hat das Zeug zum Popstar.“

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Foto:Witters

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