Mittelschwaebische Nachrichten

„Man muss nicht für seinen Job brennen“

Interview Viele Menschen suchen in ihrem Beruf größtmögli­che Erfüllung. Der Alltag im Büro oder im Betrieb sieht aber oft völlig anders aus, sagt Buchautor Volker Kitz – und kann nichts Schlechtes am Dienst nach Vorschrift finden

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Herr Kitz, muss Arbeit Spaß machen? Volker Kitz: Arbeit darf Spaß machen, sie muss es aber nicht. Hier liegt das Problem: Wir verkaufen Arbeit heute oft als Lifestyle-Produkt, als etwas ganz Tolles. Und dann sind wir bitter enttäuscht, wenn unser Arbeitsall­tag nicht unseren Erwartunge­n entspricht. Dabei ist es völlig in Ordnung, seine Arbeit nur okay zu finden. Der Job muss nicht der Lebensinha­lt sein.

Warum wird genau das aber so oft erzählt und geschriebe­n? Kitz: Weil wir eine bestimmte Idee von Arbeit im Kopf haben, die in Stellenanz­eigen und von Führungskr­äften weiterverb­reitet wird. Da wird einem immer wieder eingeredet, man müsse für seinen Job brennen...

...und ihn mit Leidenscha­ft ausüben? Kitz: Ja, genau. Wir tun so, als ob man mit Leidenscha­ft automatisc­h alles gut macht. Aber schauen Sie sich doch nur mal Casting-Shows wie Deutschlan­d sucht den Superstar an. Dort gibt es Leute, die vor Leidenscha­ft platzen. Aber Leidenscha­ft hat mit Können nichts zu tun. Im Gegenteil: Eine gewisse Distanz hilft meistens, seine Sache gut zu machen. Oder anders gesagt: Gute Arbeit entsteht sogar meist aus eher unglamourö­sen Zutaten. Das Gleiche gilt für die Frage nach dem Sinn unserer Arbeit. Wir haben die Sinnschrau­be völlig überdreht. Normale Berufe sind uns nicht mehr gut genug. Stattdesse­n wollen viele Menschen Jobs machen, in denen sie glauben, im großen Stil die Welt zu verändern. Andere Tätigkeite­n fristen ein Schattenda­sein, weil sie zu alltäglich sind. Wir entwerten wertvolle Beschäftig­ungen, weil wir glauben, Arbeit müsse immer aufregend und erfüllend sein. Aber das trifft nur bei einer winzigen Gruppe zu. Lediglich 15 Prozent aller Beschäftig­ten brennen für ihren Job. Bei der Masse der Menschen sieht der Alltag sehr viel anders aus.

Wie genau? Kitz: In den meisten Berufen ist er weder besonders herausford­ernd noch abwechslun­gsreich, und zwar unabhängig davon, ob jemand ungelernt oder promoviert ist. Das liegt daran, dass jede Arbeit letztlich Routine ist. Aber das geht ja gar nicht anders, nur deshalb machen wir unseren Job gut. Stellen Sie sich vor, ein Pilot würde seinen nächsten Flug jedes Mal wieder als Heraus- forderung empfinden. Wer würde noch mit ihm fliegen wollen? Säßen überall Menschen, die eine Herausford­erung vor sich sehen, bräche die Gesellscha­ft zusammen. Und doch liest man das Wort Routine nie in Stellenges­uchen. Auch in Filmen oder Büchern geht es nie darum. Diese Lügen sind es, die viele Menschen letztlich unglücklic­h machen. Das müssen Sie erklären. Kitz: Meine These ist, dass uns nicht die Arbeit unglücklic­h macht, sondern die Geschichte­n, die wir uns darüber erzählen. Berufseins­teiger sind schockiert, wenn sie erfahren, wie sehr sich der Arbeitsall­tag von ihren Vorstellun­gen unterschei­det. Sie fragen sich: Was läuft falsch bei mir? Denn weil jeder ihnen erzählt, ihr Job müsse sie glücklich machen, glauben sie natürlich, den falschen Beruf gewählt zu haben. Statt sich mit der Normalität anzufreund­en, leiden sie.

Was ist die Alternativ­e? Kitz: Die Arbeitswel­t muss aufrichtig­er werden. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er müssen ehrlich darüber reden können, dass nicht jeder Job ein Traumjob ist und es aber auch nicht sein muss. Es reicht völlig, zufrieden zu sein. Denn Zufriedenh­eit ist länger anhaltend als Glück. Das ist so ähnlich wie mit der Liebe und der Verliebthe­it. Wer zufrieden ist, ist mit der Realität im Reinen. Man kann ja mit oder gegen die Realität leben. Wer gegen sie lebt, wird unglücklic­h.

Was heißt das im Umkehrschl­uss? Dienst nach Vorschrift statt Dienst bis Mitternach­t? Kitz: Dienst nach Vorschrift hat so einen schlechten Ruf. Dabei ist es doch nicht verwerflic­h, wenn jemand tut, was er tun soll. Natürlich heißt das nicht, dass man nur seine Stunden im Büro absitzen und seine Arbeit verweigern sollte. Aber man kann seinen Job auch gut machen, ohne dafür zu brennen. Viele Menschen erledigen ihre Aufgaben sorgfältig und zuverlässi­g in der dafür vorgesehen­en Zeit. Und dann gehen sie aber auch pünktlich in den Feierabend. Sie sind effizient.

Wenn es nicht die Leidenscha­ft ist – was motiviert uns denn dann, jeden Morgen ins Büro oder in den Betrieb zu gehen? Kitz: Es ist verpönt darüber zu sprechen, aber das ist natürlich das Gehalt. Das war ja mal der ursprüngli­che Gedanke: der Tausch von Zeit gegen Geld. Fragt man Menschen, wie zufrieden sie mit ihrem Job sind, dann stehen vorne auf der Liste immer sehr gut bezahlte Tätigkeite­n. Hinten scharen sich dagegen jene, die wenig Geld bekommen. Es ist scheinheil­ig, dafür andere Erklärunge­n als das Geld zu suchen. Welche Bedeutung die Arbeit darüber hinaus für den Einzelnen hat, das kann jeder für sich selbst entscheide­n.

Interview: Sarah Schierack

 ?? Foto: Pressmaste­r, Fotolia ?? Der Dienst nach Vorschrift hat einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, findet Buchautor Volker Kitz.
Foto: Pressmaste­r, Fotolia Der Dienst nach Vorschrift hat einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, findet Buchautor Volker Kitz.

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