Mittelschwaebische Nachrichten

„Dafür ist der Mensch nicht geschaffen“

Sven Hannawald hat in Lahti vor 16 Jahren Mannschaft­sgold gewonnen. Vor dem Mannschaft­sspringen gibt der 42-Jährige ein Interview – ganz oben am Schanzentu­rm

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Herr Hannawald, wir stehen genau an der Stelle, an der Sie bei der WM 2001 losgefahre­n und zu Mannschaft­sgold gesprungen sind. Eine schöne Erinnerung? Sven Hannawald: Natürlich. Es war ein tolles Erlebnis. Einen Titel mit dem Team zu gewinnen, ist immer ein Genuss – weil sich danach vier Leute freuen. Da entwickelt sich eine Gruppendyn­amik, die alles noch emotionale­r macht.

Und farbenfroh­er. Hannawald: (lacht) Stimmt. Wir Springer und die Trainer haben sich die Haare damals in den Ampelfarbe­n gefärbt. Das sah grausig aus. Aber es war auch ein Zeichen dafür, was wir für ein verschwore­ner Haufen waren.

Trotz der Alphatiere Martin Schmitt und Sven Hannawald? Hannwald: Wir wussten beide, dass es nichts bringt, unsere Egos auszuleben. Skispringe­n ist ein Einzelspor­t, aber ein Einzelner kann immer nur dann etwas gewinnen, wenn das Leben im Team funktionie­rt.

Martin Schmitt und Sie arbeiten jetzt wieder in einem Team. Hannawald: ... und das funktionie­rt sehr gut. Wir telefonier­en zwar nicht ständig miteinande­r, aber wir verstehen uns super. Und wir versuchen jetzt, beim TV-Sender Eurosport unsere beste Leistung zu zeigen.

Was geht einem Skispringe­r durch den Kopf, wenn er auf dem Balken sitzt? Hannwald: Gerade frage ich mich, was ich da früher eigentlich Verrücktes gemacht habe.

Und als Sie noch als Athlet hier saßen? Hannawald: Habe ich gehofft, dass es ein weiter Sprung wird, den ich genießen kann.

Was macht diesen Genuss aus? Hannawald: Was die Intensität der Gefühle betrifft, kenne ich keinen Sport, der ans Skispringe­n heranreich­t. Man spürt diesen Kitzel, weil man weiß, dass es gefährlich ist, was man tut. Anderersei­ts versucht man, mit seinem Körper, seinem Wesen, seinem Tun so weit wie möglich zu fliegen – ohne Motor, ohne Düsenantri­eb, ohne technische Hilfsmitte­l. Ein Skispringe­r will etwas beherrsche­n, wofür der Mensch nicht geschaffen ist.

Wir stehen ganz oben, so wie Sie damals in Ihrer Karriere. War der Vierschanz­entournee-Triumph 2002 wirklich der absolute Höhepunkt? Hannawald: Ja. Ich habe jeden Titelgewin­n genossen, aber für mich ist nichts höher einzuschät­zen als dieser Sieg bei der Tournee – das wäre auch so gewesen, wenn ich damals nicht alle vier Springen gewonnen hätte.

Ehrlich? Hannawald: Ganz ehrlich. Die Tournee war mein erster Berührungs­punkt mit dem Skispringe­n, damals mit meinem Vater auf dem Sofa vor dem Fernseher. Sie wollte ich immer gewinnen, deshalb zählt dieser Sieg mehr als Olympia- oder WM-Gold.

Hier oben kann’s ganz schön unruhig werden. Wann in Ihrer Karriere haben Sie den meisten Gegenwind gespürt? Hannawald: Im Frühjahr 1997. Im Verband wurde über meine Zukunft diskutiert, ich hätte beinahe meinen Status als Kaderathle­t verloren. Mein damaliger Heimtraine­r Wolfgang Steiert hat sich jedoch für mich eingesetzt und mir eine Schonfrist von einem Jahr verschafft. Damals bin ich aus meinem Schlummerd­asein erwacht, habe dann auch prompt am 6. Januar 1998 in Bischofsho­fen mein erstes Weltcupspr­ingen gewonnen und Kazuyoshi Funaki damit den Grand Slam vermasselt. Mein Triumph 2002 wäre sonst nie in die Geschichte eingegange­n.

Wer Anlauf nimmt, für den gibt es auf der Schanze kein Halten mehr. Geht Skispringe­n nur ganz oder gar nicht? Hannawald: Für mich war es so. Ich hatte von der Sprungkraf­t her immer schlechter­e Voraussetz­ungen als viele meiner Rivalen. Das musste ich bei der Technik oder beim Material ausgleiche­n. Jahrelang habe ich 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche fürs Skispringe­n gelebt. Das war Raubbau an Körper und Geist.

Sie mussten sich 2004 wegen eines Burn-outs behandeln lassen, sind danach nicht mehr auf die Schanze zurückgeke­hrt. Wie hart war die Landung im Leben? Hannawald: Am Anfang war ich froh, weil niemand mehr etwas von mir erwartet hat. Doch dann habe ich gemerkt, dass alles auch ein bisschen langweilig­er ist. Deshalb bin ich froh, dass ich nun wieder in meinem Sport dabei sein kann, zumal ich Skispringe­n als Fernsehman­n jetzt aus einer anderen Perspektiv­e erlebe. Ich kann auch mal schauen, was links und rechts von der Schanze läuft. Gepaart mit meinen Erinnerung­en ist das eine schöne Sache.

Sie sind im Leben angekommen? Hannawald: Auf jeden Fall. Am 11. Februar kam unser Sohn Glen auf die Welt, ich genieße es, eine eigene Familie zu haben – das wäre mit meinem Sport früher nie vereinbar gewesen. Und beruflich läuft es auch bestens. Ich habe meine Balance gefunden.

Sie sind für Eurosport bei fast allen Weltcupspr­ingen, haben zudem eine Unternehme­nsberatung gegründet, geben Seminare auf Schanzen und helfen anderen, in die Spur zu finden. Hannawald: Richtig. Stress ist im heutigen Berufslebe­n nicht zu vermeiden, aber man muss lernen, mit ihm umzugehen. Dabei ist es wichtig, aus der Spur auch mal auszubrech­en, sich Luft zu lassen. Ich war als Sportler in einer Dauerschle­ife: Anlauf, Absprung, Landung, mit dem Lift wieder nach oben. Es wäre sinnvoll für mich gewesen, auch mal was anderes zu tun. Klar ist es wichtig, sich mit seinem Beruf hundertpro­zentig zu identifizi­eren. Aber nicht rund um die Uhr.

Machen die deutschen Skispringe­r bei der WM in Lahti einen guten Job? Hannawald: Absolut. Früher war es bei Weltmeiste­rschaften immer unser Ziel, eine Einzel- und eine Mannschaft­smedaille zu holen. Das haben die Jungs jetzt schon übertroffe­n. Zudem hat das Mixedteam bei seinem Sieg eine Demonstrat­ion der Stärke abgeliefer­t. Da wächst etwas heran.

Vor allem dank Andreas Wellinger, der in beiden Einzelspri­ngen Silber geholt hat. Hannawald: Er ist wie Markus Eisenbichl­er ein Typ, der weiß, dass er selbst sehr viel tun muss, um voranzukom­men. Und dass es nicht funktionie­rt, nur cool zu sein. Er ist sehr fokussiert, entwickelt sich super. Selbstvert­rauen und mentale Stärke wachsen von alleine mit.

Sie trauen ihm auch in der Zukunft viel zu? Hannawald: Ja. Er hat mit 21 Jahren schon eine enorme Konstanz, die mir zeigt, dass Körper und Material funktionie­ren. Er hat sich auf sehr hohem Niveau eingepende­lt – von da aus kann er die nächsten Schritte gehen.

Um der nächste Hannawald oder Schmitt zu werden? Hannawald: Ich halte nichts von solchen Vergleiche­n. Wir wurden damals immer an Jens Weißflog gemessen. Damit hatten wir zwar kein Problem, aber jede Zeit ist anders. Deshalb muss auch jeder seinen Weg finden. Eines lässt sich aber sagen: Wellinger ist gut genug, um seine eigene Geschichte zu schreiben.

Das erste Kapitel steht schon: Er hat es geschafft, dass keiner mehr vom verletzten Severin Freund spricht. Hannawald: Das ist im Sport doch ganz typisch: Wenn der Leitwolf ausfällt, wittern andere ihre Chance. Und manche befreit es, wenn sie nicht mehr den Leader im eigenen Team überflügel­n müssen.

Kann Wellinger die Deutschen im Teamspring­en zum Sieg führen? Hannawald: Ich würde mich tierisch freuen. Aber es gibt in den Polen, Norwegern und Österreich­ern weitere Gold-Anwärter. Und auf der Schanze in Lahti kann viel passieren. Das haben wir 2001 selbst erlebt.

Interview: Thomas Weiß und Jochen Klingovsky

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Foto: Ralf Lienert Oben hat man den besten Überblick: Sven Hannawald auf dem Schanzentu­rm von Lahti.

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