Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich bin ja kein Volldepp!“

Bald wird er 70 – und ist so präsent wie lange nicht mehr. Jetzt tritt er beim Augsburger Brechtfest­ival auf. Wie auf seinem aktuellen Album „Ohne Warum – live“zeigt er sich auch im Gespräch als Moralist

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Foto: Maximilian Lottmann In Ihrem aktuellen Lied „Ich habe einen Traum“träumen Sie davon, die Grenzen zu öffnen und alle hereinzula­ssen, die vor Hunger und Mord fliehen. Viele Menschen jedoch haben Angst vor Ausländern, Flüchtling­en, vor dem Islam. Wie erklären Sie sich diese Angst? Konstantin Wecker: Ich habe festgestel­lt, dass es in erster Linie nur um Xenophobie geht. Die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Neuen. Die Angst, aus seinem scheinbar sicheren Umfeld herausgeri­ssen zu werden. Da schließt sich in den Menschen anscheinen­d etwas ab. Sie denken nicht daran, was es für eine Bereicheru­ng sein könnte, mit ganz anderen Menschen zusammenzu­kommen.

Wie denken Sie über die sogenannte­n Wutbürger? Wecker: Zuerst einmal wäre es gar nicht so schlecht, dass sich Menschen empören, das ist ja demokratis­ch. Aber sie suchen sich das schwächste Glied in der Kette aus, die Flüchtling­e, die Ärmsten der Armen – anstatt ihre Empörung dorthin zu tragen, wo sie verursacht wird. Verursacht wird sie in einem gnadenlose­n Finanzsyst­em, das mittlerwei­le die Welt in einer Art im Griff hat, dass man nicht mehr weiß, ob sie noch zu retten ist. Ein Prozent der Menschheit hat so viel Vermögen angehäuft wie die restlichen 99 Prozent! Das muss doch jeden vernünftig Denkenden in Unruhe versetzen. Das kapitalist­ische System hat versagt. Sie sind Pazifist. Schon Ihr Vater, der Maler Alexander Wecker-Bergheim, hatte unter Hitler den Kriegsdien­st verweigert. Was waren die Folgen seines Ungehorsam­s? Wecker: Mein Vater hatte großes Glück. Derselbe Oberst, der ihn nicht als Kriegsverb­recher an die Wand stellen ließ, hat ihn aus einem empathisch­en Akt heraus für verrückt erklären lassen. Das war seine Rettung; dann konnte er sogar noch die Nazizeit überstehen. Interessan­terweise hat mein Vater diesen Mann Anfang der 50er Jahre zufällig in München wieder getroffen und sich bei ihm bedankt. Es gab im Dritten Reich mehr zivilen Widerstand, als man anfangs wahrhaben wollte. Es war natürlich bequemer zu sagen, wir waren alle so. Aber es gab diese kleinen Helden!

Während die Musik der 60er und 70er Jahre Teil der Protestkul­tur gegen den Vietnam-Krieg wurde, gibt es kaum bekannte Songs, die mit den Feldzügen der Amerikaner in Afghanista­n und dem Irak in Zusammenha­ng gebracht werden. Wie erklären Sie sich das? Wecker: Bis auf die braven Crosby, Stills, Nash & Young mit ihrem „Let’s Impeach The President“hat es nicht viel gegeben. So was wie „Imagine“ist kaum mehr vorstellba­r. Der Neoliberal­ismus hat vor 20 Jahren begonnen, mit sehr viel Geld Thinktanks aufzubauen und die Gesellscha­ft mit seiner Ideologie zu infiltrier­en. Das ist unglaublic­h gut gelungen. Im marxistisc­hen Sinn könnte man sagen, die Konterrevo- lution hat gesiegt. Den in den 80ern Geborenen wurde durch Werbung und PR klargemach­t, dass es völlig unsexy sei, sich auch nur in irgendeine­r Weise politisch aus dem Fenster zu lehnen. Das Einzige, was wirklich toll sei, ist dufte Kleidung von den richtigen Marken zu tragen. Das ist auch nichts Verschwöru­ngstheoret­isches, sondern ein normaler kapitalist­ischer Vorgang mit einer PR, die schon fast einer Gehirnwäsc­he gleicht. An diesem Samstag spielt Konstantin Wecker mit seinem Trio beim Augs burger Brechtfest­ival – das Konzert ist ausverkauf­t. Wecker, geboren am 1. Juni 1947, ist Brecht Fan und wird dabei auch Brechtsong­s singen – wie er sie in seiner Hommage zu des sen 100. Geburtstag bereits 1998 veröffentl­icht hat. Wecker sagt: „Keinen Poeten sehne ich mir in die sen Zeiten so herbei wie Brecht. Wir brauchen wieder Dichter, die Stellung beziehen gegen das dro hende Unheil. Poesie und Musik kön nen vielleicht die Welt nicht verän dern, aber sie können denen Mut ma chen, die sie verändern wollen.“

Das Brechtfest­ival läuft noch bis nächsten Sonntag, 12. März. Mehr zum Programm finden Sie im Internet unter www.brechtfest­ival.de. Ist eine andere Welt möglich oder wird sie immer Utopie bleiben? Wecker: Das Schöne an einer Utopie ist, dass man sie sich nicht als eine perfekte andere Welt vorstellt, denn dann wäre es eine Ideologie. Sondern es ist etwas, das immer im Fluss bleibt. Es ist zuerst einmal der Traum von einer gerechtere­n Welt, in der nicht Schiffe mit Flüchtling­en bombardier­t werden. In der man mit allen Menschen miteinande­r lachen, essen und trinken kann. Mir wird oft vorgeworfe­n, das sei unglaublic­h naiv. Ich könne doch nicht in mein Haus 50 Millionen Flüchtling­e aufnehmen. Das weiß ich natürlich auch, ich bin ja kein Volldepp! Es ist immer schon das Wesen der Poesie gewesen, in Symbolen zu sprechen. Manchmal habe ich das Gefühl, die Poesie wird auch von gut meinenden Menschen nicht mehr so ganz verstanden.

Sie bezeichnen sich als Ungehorsam­en. Wie weit geht Ihr Ungehorsam? Wecker: Mein Freund Martin Löwenberg ist inzwischen 90 und hat den Holocaust überlebt. Auch in der Nachkriegs­zeit wurde er zweimal verhaftet und ungeheuerl­icherweise wieder eingesperr­t, weil er bei allen antifaschi­stischen Demonstrat­ionen dabei war. Er sagt immer so schön: „Es kann legitim sein, was nicht legal ist.“Durchaus kann der Ungehorsam so weit gehen, dass man bestehende Gesetze auch brechen muss. Wenn die Idee des Ungehorsam­s in den Hirnen der Menschen des 20. Jahrhunder­ts gewesen wäre, dann wäre so etwas Ungeheuerl­iches wie das Dritte Reich nicht passiert.

Wollen Sie mit Ihren Liedern aufklären und die Menschen wachrüttel­n? Wecker: Wenn ich damit auf Tour gehe, dann könnte ich sagen: Ja, es hat damit zu tun. Aber eigentlich will ich die Herzen der Menschen erreichen. Mein Publikum ist eigentlich schon aufgeklärt, aber es ist trotzdem noch wichtig, mit ihm zusammenzu­kommen. Ich glaube, ich konnte in den letzten 40 Jahren einigen Menschen Mut machen. Wenn ich schreibe, geht es mir zuerst mal um gar nichts, sondern ich will es schreiben. Ich hatte mit ein, zwei Ausnahmen nie eine Botschaft in meinen Texten. Auch der bekannte „Willy“ist mir während einer Probe mit meinen Musikern innerhalb von zehn Minuten einfach so passiert.

„Wecker trifft Brecht“

Sie haben Ihr 40. Bühnenjubi­läum gefeiert und werden demnächst 70. Haben Sie rückblicke­nd alles richtig gemacht und Ihren Auftrag als Künstler erfüllt? Wecker: Ich habe in meinem Leben durchaus vieles nicht richtig gemacht. Das wird sicherlich auch so bleiben. Ich glaube, ich bin mir als Künstler treu geblieben, wenn man von kleinen Ausrutsche­rn absieht. Heute, im Alter, kann ich sagen, ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst, aber ich verrate meine Grundidee des Menschsein­s nicht: für eine herrschaft­sfreie und empathisch­e Gesellscha­ft einzutrete­n.

Interview: Olaf Neumann

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