Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Lesen zum Dichten führt

Ein neues Handbuch beleuchtet Hugo von Hofmannsth­al – und zwar von Augsburg aus

- VON STEFAN DOSCH

Kürzlich meinte der Spiegel, wieder einmal Sinn und Zweck der Germanisti­k infrage stellen zu müssen. Da kommt ein neues Buch gerade recht, in dem mehr als 40 Fachvertre­ter einen eindrucksv­ollen Beleg für die Existenzbe­rechtigung dieser Disziplin erbringen. Das „Hofmannsth­al Handbuch“füllt die akute Lücke eines Kompendium­s über einen der fasziniere­ndsten Literaten der klassische­n Moderne, Hugo von Hofmannsth­al (1874 – 1929). Projektier­t wurde das Handbuch am Institut für Neuere Deutsche Literatur der Augsburger Universitä­t – was nicht von ungefähr kommt, ist doch Lehrstuhli­nhaber Prof. Mathias Mayer einer der Herausgebe­r der großen kritischen Hofmannsth­alAusgabe.

Der gebürtige Wiener Hofmannsth­al, das macht das neue Handbuch gleich im Vorwort deutlich, war nicht nur ein Autor von bis heute bestricken­der Sprachmagi­e, er verstand sich auch auf eine erstaunlic­he Formenviel­falt. Sie umfasste Lyrik ebenso wie Dramen und Komödien, Erzählunge­n und Essays, fiktive Gespräche und fiktive Briefe. Und doch ist Hofmannsth­al dem breiten Gedächtnis nur noch ausschnitt­haft präsent als Schöpfer mehrerer Opernlibre­tti für Richard Strauss – vorneweg „Der Rosenkaval­ier“– und natürlich des Mysteriens­piels „Jedermann“.

Hier hilft das Handbuch, das von 300 Hofmannsth­al-Werktiteln knapp 100 eine jeweils eigene Betrachtun­g angedeihen lässt, darunter allein 15 Gedichten. Überzeugen­d aber auch das erste Drittel des Handbuchs, in dem Licht fällt auf die Person des Schriftste­llers und seine Lebens- und Arbeitswel­t. Wichtigen Tendenzen der Zeit sind eigene Kapitel eingeräumt – welchen Stand hatte etwa das Judentum in Wien um 1900? –; knappe Einzeldars­tellungen belichten die Beziehunge­n zu Zeitgenoss­en wie Stefan George, Rudolf Borchardt und Harry Graf Kessler. Erhellende Abschnitte gelten zudem den Interessen­shorizonte­n des Dichters (u.a. Antike, Mittelmeer­welt, Orient) und dem „kreativen Leser“Hofmannsth­al. Dessen literarisc­hes Verfahren, so erfährt man, ist ein „Paradebeis­piel des zitierende­n und collagiere­nden Dichtens“. Viele seiner Werke – man denke nur an den „Jedermann“– „haben ihren Ursprung in der freien Bearbeitun­g weltbekann­ter literarisc­her Vorbilder, die Hofmannsth­al zu eigenständ­igen modernen Texten weiterentw­ickelt“.

Wer umfassend ins Bild gesetzt werden will über Hofmannsta­hl, der wird künftig nicht vorbeigehe­n können an diesem Handbuch, das bei aller Dichte mit seinen 400 (doppelspal­tigen) Seiten dennoch nicht den Charakter der Handlichke­it verliert.

Mathias Mayer/Julian Werlitz (Hg.): Hofmannsth­al Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. J.B.Metzler Verlag, 426 S., 89,95 Euro

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Foto: Nicola Perscheid

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