Mittelschwaebische Nachrichten

Von Jammerbrie­fen und Pensionskü­hen

- EIIN ALBUM DER JJAHRE 1914 BIIS 1918

Es wird Frühling, aber die Folgen des Hungerwint­ers 1916/17 bleiben. Im Vergleich zu 1913 etwa nimmt ein Erwachsene­r nur noch ein Drittel der Kalorien zu sich, die Kinderster­blichkeit ist um um 50 Prozent gestiegen, doppelt so viele Mütter sterben an den Folgen einer Geburt, die Zahl der Geborenen ist etwa in Berlin auf weniger als die Hälfe gefallen. Dort notiert der Arzt Alfred Grotejahn am 20. Februar 1917 im Tagebuch: „Die Allgemeins­terblichke­it steigt jetzt stark. … Langsam aber sicher gleiten wir in eine zur Zeit allerdings noch wohlorgani­sierte Hungersnot hinein.“Da veröffentl­icht Oberste Heeresleit­ung am 2. März einen Aufruf in allen regionalen und überregion­alen Zeitungen: „… Glaubt nicht bei uns manche Frau, manche Mutter, ihrem im Felde stehenden Angehörige­n von den Sorgen des täglichen Lebens Kenntnis geben zu sollen?… Denkt sie daran, dass derartige Klagen in die Hände der Feinde fallen könnten, die daraus Waffen gegen uns schmieden? Macht sie nicht mit solchen Jammerbrie­fen dem Kämpfer draußen an der Front das Herz unnötig schwer?… Ihm wird das Sterben fürs Vaterland nicht leichter, wenn er weiß, dass seine Lieben zu Hause mit Sorgen zu kämpfen haben… Was sind alle Entbehrung­en gegen die großen Aufgaben, die jeder an der Front auf sich nehmen muss!“

Zusätzlich werden Maßnahmen eingeleite­t. So wie seit 1. März Metall-Ressourcen gesammelt werden (alles Aluminium konfiszier­t, Bronzegloc­ken beschlagna­hmt, pro Kirche nur noch eine), ist es längst auch mit Lebensmitt­eln. Am 6. März etwa folgt der Aufruf, dass Kinder künftig auch alle Kerne von Zitrusfrüc­hten an den Schulen sammeln sollen wie längst die aller einheimisc­her Steinobsta­rten – zur Weiterverw­ertung durch den Kriegsauss­chuss für Öle und Fette. Im Rheinland ist zu jener Zeit gerade das Verbot in Kraft getreten, Milch direkt vom Bauern an die Verbrauche­r abzugeben. In der Folge aber kommt es dazu, dass weniger Milch für die Bevölkerun­g zu kaufen ist. Warum? Am 7. März deckt der Magistrat in Lüdenschei­d gesetzeswi­drige Machenscha­ft auf: Bemittelte Städter hätten sich sogenannte „Pensionskü­he“zugelegt – hätten also Kühe von Bauern gekauft, sodass auch deren Milch ihr Eigentum ist, die Tiere aber zur Versorgung beim Bauern (der nun oft kein einziges eigenes Tier mehr hat) in Pension gelassen. Diese Praxis wird nun unter Androhung drakonisch­er Strafen verfolgt … Im Ersten Weltkrieg sind rund 800 000 Menschen in Deutschlan­d an den Folgen des Hungers gestorben. (ws)

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany